Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 101 Dom, Kreuzgang 1462

Beschreibung

Grabplatte des Domkantors Heinrich Thamme; im siebten Joch von Osten in 43 cm Höhe in die Südwand des Kreuzgangs eingelassen1); Stuck auf Sandstein, sowohl das Innere als auch die Mitte der linken Schriftleiste stark beschädigt, Schriftverlust. Im Inneren der Platte, durch einen Steg von der Schriftleiste abgesetzt, ist noch eine auf Säulen mit Sockel, Basen und Kapitellen ruhende Kielbogenarchitektur mit Zackenbogenfries zu erkennen, die in einer die Schriftleiste sprengenden Kreuzblume endet, in den Zwickeln Lilienornamentik. Die Darstellung ist nur noch in Teilen zu erkennen, so Füße und Gewandteile im Knie- und Fußbereich, Teile eines bestickten Manipels, die Fransen einer Stola und ein am Boden liegendes Buch. Die Zeichnungen2) von Schäfer und Teitge zeigen einen Kleriker, gewandet in Birett, Kasel und Tunica, mit Manipel und gekreuzter Stola angetan, einen Kelch segnend. Im Hintergrund an einem Pult ein zwei Schülern vorsingender Lehrer. Auf 9 cm breiter, durch eingeritzte Linien abgesetzter Schriftleiste am Rand umlaufend, eingetieft (= eingeritzt in den weichen Stuck) die Grabbezeugung.

Ergänzungen nach Halberstadt, Domarchiv, Zeichnungen von Johann Schäfer und SAW Inschriftenkommission, Reproduktion der Zeichnungen von Teitge.

Maße: H. 182 cm, B. 98 cm, Bu. 7 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien der gotischen Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/2]

  1. Cantor · ca(n)to//ru(m) · iacet · hic · / cui · regna · polor(um) ·Eia) · sine · [v]e · Flam(m)e · donec · [c]ogno(m)i(n)e · tha(m)me · /Annos · post · mille quadri(n)ge(n)tos / obit · ille ·Uade(n)s · [e mundo · sexagesinob) ·] q(ue) · secu(n)doc) ·iii · k(a)l(enda)s · ap(ri)lis3)

Übersetzung:

Der Sangmeister (Domkantor) mit Beinamen Thamme liegt hier, bis ihm ohne das „Ach weh“ der Flamme das Himmelreich werde. Nach (Christi Geburt) tausend vierhundert Jahren stirbt jener, geht aus der Welt im zweiundsechzigsten (Jahr) am dritten Tag vor den Kalenden des April.

Versmaß: Vier leoninische Hexameter, zweisilbig rein gereimt.

Kommentar

Eine sehr gedrängte gotische Minuskel. Die Versalien stammen aus einer in Handschriften weitergepflegten Majuskel mit regulären Bogenschwellungen und Abschlußstrichen. Auf diese Quellen sind der dreieckig verbreiterte Anschwung des U, die asymmetrische Form des A, das dem pseudounzialen A nahekommt, einschließlich des geschwungenen Deckstrichs zurückzuführen. Das Majuskel-E wird durch einen Zierstrich abgeschlossen, der über die Bogenenden hinausragt und nach rechts umgebogen endet. Die schlanke, eng stehende Minuskel enspricht der Zeitstellung. Auffällig ist die dem Duktus zuwiderlaufende, weit nach rechts ausgreifende Gestaltung von Bögen in b, c, e, f, langes s, Quadrangel, so am k, r, und Balken, etwa des g. Als que- und rum-Kürzung dienen zwei vertikal übereinander angeordnete Quadrangel, das untere wird nach unten haarstrichartig ausgezogen. Als Trennzeichen werden Quadrangel auf Zeilenmitte verwendet.

Am 23. Oktober 1439 ist der „sangmeister“ des Doms, Heinrich Thamme, einer der Bürgen der Urfehde des Bartholomäus Stolzenberg mit der Stadt Halberstadt.4) Der Urkunde hängt sein Siegel an, in dem er im Schilde einen Drudenfuß führt.5) Vielleicht ist der Domkantor identisch mit einem gleichnamigen Hildesheimer Priester, dem zehn Jahre zuvor, am 2. Oktober 1429, eine Pfarre in Nordhausen bestätigt und dem schon früher eine Vikarie am Marienalter in Wolslage (Wolterslage?) verliehen worden war.6) Während der Kirchenvisitationen im Bistum Halberstadt in den Jahren 1562 und 1564 kamen die Einkünfte der Altäre der Bäcker- und Schneiderinnungen, ebenso des Altars Transfigurationis Domini in der Stephanskirche zu Aschersleben, wie es hieß, „noch immer“ dem Domkantor zugute. Möglicherweise hatte diese, wenn es sich um einen alten Brauch handelte, auch Heinrich Thamme inne.7)

Textkritischer Apparat

  1. Ei] et Schäfer in seiner Transkription.
  2. sexagesino] Sic!
  3. secundo] Die ersten vier Buchstaben beschädigt.

Anmerkungen

  1. Hier befand sich die Platte schon Mitte des 19. Jahrhunderts; vgl. Elis 1857, S. 106. Auf der Handzeichnung des Domküsters Haber vom Beginn des 18. Jahrhunderts ist an der bezeichneten Stelle „an der Thür zur Wohnung des Custos“ ein rechteckiger Rahmen eingezeichnet, jedoch fehlt jede Beschriftung; vgl. Halberstadt, Domarchiv, Grundriß des Kreuzgangs nach Haber von Carl Elis … 1836, ohne Signatur. Im Rahmen von Bauarbeiten im Kreuzgang 2004–2007 wurde die Grabplatte unter Inkaufnahme weiterer dadurch entstandener Schäden ausgebaut. Sie wird jetzt in der Stephanuskapelle aufbewahrt.
  2. Vgl. dazu Einleitung, S. XXV.
  3. 30. März 1462.
  4. Vgl. UB Stadt Halberstadt Bd. 2, Nr. 900 S. 195 f.
  5. Ebd.
  6. RG Bd. IV, Sp. 1309.
  7. Vgl. Nebe 1880, S. 187 und 197.

Nachweise

  1. Halberstadt, Domarchiv, Zeichnung von Johann Schäfer v. 1842, ohne Signatur.
  2. SAW Inschriftenkommission, Reproduktion der Zeichnung von Teitge (1. V. 20. Jh.), Aufnahmeunterlagen 1462 b.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 101 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0010101.