Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 100(†) Dom, Neuer Kapitelsaal um 1460, 1629/30?

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Altaraufsatz, Kalvarienberg, Domschatz Inv. Nr. 381; bis ins 19. Jahrhundert Aufsatz des Kreuzaltars,1) 1857 auf einer Predella mit Brustbildern von 14 Heiligen;2) Alabaster und Holz, Fassung teils vorhanden, teils in Resten sichtbar, die Medaillons in den Kreuzenden beschädigt, nach Kriegsbeschädigungen restauriert. Über felsiger Hügellandschaft der gekreuzigte Christus und die beiden Schächer an zwei Tau-Kreuzen, zwischen den Kreuzen links Maria mit gefalteten Händen, rechts Johannes mit beiden Händen ein geöffnetes Buch umfassend, unter den beiden Schächerkreuzen je eine Reitergruppe, römische Soldaten und Juden darstellend; die ehemals in der Mitte unter dem Kreuz befindliche Gruppe der um Jesu Rock würfelnden Kriegsknechte – seit dem Zweiten Weltkrieg verloren – 2001 im Kunsthandel aufgetaucht.3) An den Enden von Kreuzesstamm und -balken in reliefierten Medaillons die Evangelistensymbole jeweils mit aufgemalten Tituli (A–C), das vierte Medaillon am unteren Ende des Kreuzesstammes mit dem Johannesadler fehlt. Über dem Gekreuzigten auf einem Spruchband der Kreuztitulus (D) erhaben ausgeführt. Auf dem Leib des Pferdes ganz rechts ist eine Ritzinschrift des 18. Jahrhunderts zu sehen.4) Die Predella, auf der „in 2 Reihen 14 Köpfe von Heiligen“5) – die Vierzehn Nothelfer – zu sehen waren, wird heute im Depot aufbewahrt (vgl. Domschatz Inv. Nr. 433h). Am ursprünglichen Standort des Aufsatzes war seit 1635 noch ein weiteres, heute verlorenes Kreuz angebracht.6)

Maße: H. 214,4 cm, B. 156,5 cm, T. 23 cm, Bu. 0,5–0,6 cm (A–C), 4,3 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien der gotischen Majuskel (D), frühhumanistische Kapitalis (modern?) (D).

"Würfelnde Kriegsknechte" aus dem Alabaster-Kalvarienberg. Dom und Domschatz Halberstadt, Berlin 2010, S. 117 (Juraj Lipták) [1/2]

  1. A

    S(anctus)a) · math[eu]sb)

  2. B

    [. . . .]S ·c)

  3. C

    S(anctus)a) // marcus // : Evangel/[ista]

  4. D

    I(HESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDEORVM)7)

Übersetzung:

A: Der heilige Matthäus. C: Der Heilige Evangelist Marcus. D: Jesus aus Nazareth, der König der Juden.

Kommentar

Inschrift A ist als Kursive zu bezeichnen. Die Bögen sind fast nie gebrochen. Die Buchstabenenden sind mit Sporen besetzt. Ausschließlich einstöckig kommt das a vor, das einmal stärker gebrochen wirkt. Die Fahne des r ist abgesetzt. Der Schaft des Majuskel-E ist leicht nach rechts durchgebogen, der untere Balken geschwungen. Bogen und Schaft des g treffen in spitzem Winkel aufeinander. Das E aus dem Medaillon des Lukas überrestauriert, kapitales E ohne Sporen. Schaftenden der Buchstaben in Inschrift D sind leicht ausgestellt. Die Schräghaste des N ist breiter als die Schäfte. Der Sporn des R ragt links über den Schaft hinaus, die Cauda verläuft geschwungen.

Die Buchstaben sind nicht mehr diejenigen der ursprünglichen Inschriften. So wurde die Tafel mit dem Kreuztitulus gänzlich erneuert und auch das Alter der aufgemalten Tituli läßt sich aus den Buchstabenformen nicht mit Gewißheit bestimmen.8) Möglicherweise handelt es sich um eine kopiale Erneuerung der ursprünglichen Inschriften. Es kann sich um Übermalungen bzw. Restaurierungen oder Neufassungen des 17. Jahrhunderts handeln. So wurde laut dem Bauregister des Domes für das Jahr 1629/30 einem Samuel Stinger eine Geldsumme „vor die Altar Taffel vnnd Alabaster Stein außzubeßern zue illuminieren vnnd zu uersetzten“ gegeben.9) Jedoch ist nicht sicher, ob sich dieser Eintrag auf den Aufsatz des Kreuzaltars bezieht. Nur der Hinweis auf das Material läßt daran denken. Aber es mag weitere mit Alabasterplastiken geschmückte Altäre gegeben haben.

Der Altaraufsatz schmückte den Kreuzaltar in der Kirchenmitte.10) Dieser bedeutendste Altar für den Laiengottesdienst wird in Halberstadt zuerst anläßlich der Domweihe 992 erwähnt, als dort neben einer Kreuzreliquie auch Reliquien des hl. Georg und anderer Heiliger eingeschlossen wurden.11) Bischof Konrad von Krosigk stattete ihn 1208 mit einem golddurchwirkten Altartuch aus, das er vom Vierten Kreuzzug aus Konstantinopel mitgebracht hatte.12) An ihm wurden die Totenmessen gehalten.13) 1449 stiftete der Vikar des Kreuzaltars, Johannes Meistorp, einen Leuchter für den Chor.14) 1458 bestätigte Bischof Gebhard von Hoym die Stiftung einer zweiten Vikarie zu Ehren des Leibes und Blutes Christi am Kreuzaltar durch denselben Vikar.15) In den Jahren 1461 und 1462 erhalten die beiden Vikarien des Altars weitere Zuwendungen.16) Etwa zu dieser Zeit könnte auch der Altaraufsatz entstanden sein, wie der stilistische Vergleich mit einigen Chorpfeilerfiguren aus der Zeit um 1460 und kostümgeschichtliche Einzelheiten nahelegen.17) Er steht in einem Werkstattzusammenhang mit einer weiteren Skulpturengruppe aus Alabaster aus der Liebfrauenkirche in Halberstadt, die möglicherweise mit der heute in der Andreaskirche aufbewahrten identisch ist, und in stilistischer Beziehung zu weiteren mitteldeutschen Alabasterwerken.18)

Textkritischer Apparat

  1. Sanctus] Kürzungszeichen fehlt.
  2. matheus] Der vierte Buchstabe beschädigt.
  3. Der folgende Schriftzug E 3 resultiert in dieser Form aus einer Restaurierung.

Anmerkungen

  1. Haber 1739, S. 25; Plato 1791, S. 325 f.; Müller 1795, S. 161; Büsching 1819, S. 238 f.; Niemann 1824, S. 23; Elis 1857, S. 95 f. Vermutlich wurde das Retabel 1864, als „der kleine liturgische Altar [also der Kreuzaltar], sonst zwischen den zwei letzten Pfeilern des Mittelschiffs [gemeint sind die westlichen Vierungspfeiler, Anm. d. Bearb.], … näher an den Bischofsstuhl gerückt“ worden war, in den Kapitelsaal verbracht; vgl. DKK 1864, S. 11. Zuerst erwähnt ihn dort Lucanus 1866, S. 49. Vgl. zum Altaraufsatz Zschiesche 1895, S. 156; Hermes 1896, S. 132; BKD, S. 291; Doering 1927, S. 60; Meyer 1936, S. 20; Sänger 1942, S. 27 f.; Hinz 1964, S. 200 f.; Flemming/Lehmann/ Schubert 1990, S. 228; Findeisen 1996, S. 56; Kostbarkeiten 2001, S. 94 ([Ute] B[ednarz]); Der heilige Schatz 2008, Nr. 105 S. 350–353 mit Abb. (Norbert Jopek).
  2. Elis 1857, S. 95. Nach Elis’ Beschreibung hat es sich dabei wohl um die Predella Inv. Nr. 433 h mit den Vierzehn Nothelfern gehandelt.
  3. Vgl. Kostbarkeiten 2001, S. 94 ([Ute] B[ednarz]), allerdings zum Jahre 2000; so auch Der heilige Schatz 2008, Nr. 105 S. 353 (Norbert Jopek).
  4. IAH / HCB / 1728.
  5. Elis 1857, S. 96.
  6. Nr. 260 †; vgl. auch Haber 1739, S. 25; Plato 1791, S. 326; Elis 1857, S. 96.
  7. Io 19,19.
  8. Jopek 1988, Kat. Nr. 35 S. 138; Der heilige Schatz 2008, Nr. 105 S. 350 (Norbert Jopek).
  9. LHASA Magdeburg, Rep. A 15, D 25 fol. 123r.
  10. Haber 1739, S. 25; zum Kreuzaltar allgemein Oswald 1969.
  11. GEH, S. 87.
  12. UBHH Bd. 1, Nr. 449 S. 401.
  13. LHASA Magdeburg, Rep U 5, XVII f, Nr. 68 von 1432 X 9; ebd., Nr. 71 von 1462 VIII 24 und X 28; vgl. auch allgemein Oswald 1969, S. 313, 320 f.
  14. LHASA Magdeburg, Rep. U 5, XVIII, Nr. 240; vgl. auch BKD, S. 279; Diestelkamp 1929 a, S. 261; Jopek 1988, S. 72.
  15. LHASA Magdeburg, Rep. U 5 XVIIe, Nr. 19 von 1458 VIII 9; vgl. auch BKD, S. 269; Jopek 1988, S. 72.
  16. LHASA Magdeburg, Rep. U 5 XI, Nr. 44 von 1461 X 21; ebd., XVII f., Nr. 71 f.
  17. Jopek 1988, S. 69–73 und Kat. Nr. 35 S. 137–139 mit ausführlicher Diskussion und Angabe der älteren Literatur.
  18. Rudolph 1930, S. 79–82, 93 f., 96, 120; Jopek 1988, S. 68–84; siehe dazu DI 86 (Stadt Halberstadt), Nr. 44.

Nachweise

  1. Meyer 1936, Abb. 23 (Detail).
  2. Sänger 1942, Abb. S. 97–99.
  3. Jopek 1988, Abb. 29.
  4. Flemming/Lehmann/Schubert 1990, Abb. 186.
  5. Findeisen 1996, Abb. S. 80.
  6. Kostbarkeiten 2001, Abb. S. 95 ([Ute] B[ednarz]).
  7. Der heilige Schatz 2008, Nr. 105 S. 350–353 mit Abb. (Norbert Jopek).
Addenda & Corrigenda (Stand: 23. August 2019):

In den Anmerkungen ist jeweils zu ergänzen:

Anmerkungen

  1. 3.Die verlorene Figurengruppe ist nach ihrer Wiederauffindung erneut erworben und seit Juni 2009 – als sich der Inschriftenband DI 75 schon im Druck befand – wieder am Altar angebracht; vgl. „Würfelnde Kriegsknechte“ aus dem Alabaster-Kalvarienberg, Dom und Domschatz Halberstadt (Patrimonia 349), hgg. von der Kulturstiftung der Länder in Verbindung mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Berlin 2010.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 100(†) (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0010004.