Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 75: Halberstadt Dom (2009)
Nr. 52 Dom, Chor um 1400
Beschreibung
Bildfenster I’ im Obergaden des Chors;1) Farbglas, Schwarzlot; vier Scheiben ergänzt, sonst gut erhalten. Drei Bahnen zu sechs Zeilen mit einer Kreuzigungsgruppe, in den Scheiben 2a–2c auf den Schriftbändern in Händen der Propheten Jesaias, David und Jeremias die Bibelzitate und -paraphrasen bzw. die Antiphon- bzw. Responsorienanfänge (A–C), auf dem Schriftband (Tafel) am oberen Kreuzende der Kreuztitulus (D), sämtlich aufgemalt.
Maße: H. 753 cm, B. 178 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
- A
· ut oues · si // occidun[t]a)2)
- B
· fod//[e]ru(n)tb) // man(us) · measc) ·3)
- C
· nond) · // est · d[..]//mie)4)
- D
i(hesus) · // n(azarenus) // · r(ex) // · i(udeorum) // ·5)
Übersetzung:
A: Wie die Schafe, wenn sie sterben. B: Sie durchbohrten meine Hände. C: Es gibt keinen [Schmerz, wie den meinigen. (?)]
Textkritischer Apparat
- occidunt] Das n beschädigt.
- foderunt] Der dritte und der vorletzte Buchstabe beschädigt.
- meas] Der erste Buchstabe beschädigt.
- non] Der erste Buchstabe beschädigt.
- d..mi] Sic! Wohl für dolor meus; deolimi bei dem zweiten bis fünften Buchstaben handelt es sich um entstellende moderne Ergänzungen. Der zweite Buchstabe durch ein Blei beschädigt.
Anmerkungen
- Vgl. Fitz 2003, S. 385–391 mit der älteren Literatur.
- Nach Is 53,7: „sicut oves ad occisionem ducetur“. „Sicut ovis ad occasionem ductus est …“ Halle Universitätsund Landesbibliothek, Za 44, Liber Horarum Canonicarum Ecclesie Halberstadensis, fol. 137r.
- PsG 21,17.
- Vielleicht nach Lam 1,12: „videte si est dolor sicut dolor meus“. „Videte omnes populi si est dolor similis sicut dolor meus“ Halle Universitäts- und Landesbibliothek, Za 44, Liber Horarum Canonicarum Ecclesie Halberstadensis, fol. 135r, 137r.
- Io 19,19.
- Siehe auch die Wandmalereien über dem Chorbogen der Pfarrkirche St. Michael in Heiningen aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, die ein ähnliches Bild- und Inschriftenprogramm zeigen; vgl. DI 41 (Landkreis Göppingen), Nr. 25.
- Berlin Staatsbibliothek SMPK, Liber canonicarum horarum Halberstadensium, fol. CXXXIr, CXLr, XXXVIIIv–XXXIXr; Breviarium Halberstadense 1515, fol. CXXXIr, CXLr, XXXVIIIv–XXXIXr; Halle Universitäts- und Landesbibliothek, Za 44, Liber Horarum Canonicarum Ecclesie Halberstadensis, wie Anm. 2 und 4.
- Auch zum Folgenden Fitz 2003, S. 390 f.
- Zu Albrecht von Rikmersdorf siehe auch Nr. 50 †.
- Fitz 2003, S. 395.
Nachweise
- Fitz 2003, S. 396 f. mit Abb. 245–252.
Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 52 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0005203.
Kommentar
Die gotische Minuskel wurde dem Rang der Glasmalereien entsprechend sehr sorgfältig aufgebracht. Die die Schäfte beschließenden Sporen zeigen starke Ausbuchtungen nach innen. Zierstriche befinden sich am oberen Bogenende des c und an der Fahne des r, das zum Quadrangel reduziert ist, sowie am Balken des t. Die Quadrangel als Worttrenner werden gegenläufig ausgezogen. Vgl. Nr. 62 (†).
Die als typologische Vorausdeutungen auf die Kreuzigung zu interpretierenden alttestamentlichen Prophetenworte wurden in Halberstadt in der Liturgie der Karwoche, hauptsächlich des Karfreitags und Karsamstags, genutzt.6) Sie sind im Halberstädter Brevier von 1515 und einer Vorgängerhandschrift von 1421 wiedergegeben.7) Als ikonographisches Vorbild könnte nach Eva Fitz die um 1340 anzusetzende Kreuzigung im Achsfenster des Wiener Stephansdomes gedient haben.8) Der Halberstädter Bischof Albrecht III. von Rikmersdorf (1366–1390) hatte sich in den Jahren nach 1364 im Auftrage Rudolfs IV., des Stifters, zur Vorbereitung der Gründung der Wiener Universität – deren Gründungsrektor er dann wurde – in Wien aufgehalten und könnte Vermittler des Bildprogrammes gewesen sein.9) Der zeitliche Ansatz der Schrift steht dem stilistischen von Fitz nicht entgegen, die das Bildfenster „gegen 1400“ datiert.10)