Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 51 Dom, Remtergang um 1400, 1637–1649

Beschreibung

Chorschrankentüren; ehemals an der Nord- und Südseite des Chors als Verbindung zum Chorumgang in zum Chorumgang hin profilierten Rundbogengewänden; Holz, Pergament farbig gefaßt; beschädigt, Ausbrüche an den Kanten, teilweise Verlust der Pergamentauflage, teilweise Übermalungen durch Restaurierungsarbeiten des 19. Jahrhunderts.1) Die beiden jeweils zweiflügeligen Türen mit rotlackiertem Pergament beklebt, alle Flügel weisen im oberen Drittel ein rund- bis spitzbogiges Fenster mit Eisenvergitterung auf und sind mit Eisenbeschlägen und -schlössern versehen. Die nördliche Tür (I) zeigt außen, zum Chorumgang hin, rechts Karl den Großen als Heiligen, gekleidet nach Art des ausgehenden 14. bzw. beginnenden 15. Jahrhunderts in Lentner mit tiefsitzendem Dusing und hermelingefüttertem Mantel, enganliegenden Beinlingen und spitzen Schuhen, ein Szepter und ein geschlossenes Buch haltend, links hält ein Engel ein aufgemaltes Spruchband mit Teilen eines liturgischen Textes (Sequenz) als Bildbeischrift (A). Am oberen Abschluß beider Türflügel je eine als Prophet oder Philosoph zu deutende Halbfigur mit langem Bart, links mit Kappe oder Hut, rechts sich nachdenklich in den Bart greifend. Auf der Innenseite auf beiden Flügeln eine Verkündigung, links der Engel, rechts Maria mit einem Buch im Arm, beide Spruchbänder leer, unter dem oberen Abschluß des linken Flügels Gottvater, der durch „Ätherwellen“ mit dem vor dem Haupte Mariens schwebenden Heiligen Geist in Gestalt einer Taube verbunden ist, gegenüber hält ein Engel das zugehörige einzeilig aufgemalte Spruchband mit dem Bibelzitat als Bildbeischrift (B). Die südliche Tür (II) zeigt auf der ehemals zum Chorumgang weisenden Außenseite die Kirchenpatrone, links St. Stephanus in Dalmatik mit Stola, in der Rechten Steine und mit der Linken ein Buch haltend, rechts den hl. Sixtus in päpstlichem Ornat mit Tiara, Kreuzstab und halbaufgeschlagenem Buch, unter dem oberen Abschluß auf beiden Flügeln je ein Engel mit Spruchband mit den aufgemalten Tituli (C, D). Die ehemalige Innenseite der südlichen Tür ist unbemalt.2) An der Außenseite der nördlichen Chorschrankentüre jeweils zwei eingeritzte Namen mit Jahreszahlen (E, F), an der südlichen Türe die Initialen mit Jahreszahl (G). Die beiden Originaltüren sind außerdem von Kopf- bis Kniehöhe mit Ritzinschriften in Kapitalis und Minuskeln des 17. bis 20. Jahrhunderts übersät.3)

Maße: H. 232 cm (I), 267 cm (II), B. 127 cm (I), 149,3 cm (II), T. 6 cm (I), 4,5 cm (II), Bu. 4,5–5,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

CVMA Deutschland Potsdam/Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Renate Roloff) [1/3]

  1. A

    +a) o · rex · sancte · karole · mundib) [·] triumphator ·4)

  2. B

    · sp(iritu)s · s(an)c(tu)s · sup(er)c) · / ve[niet]d) · in tee) ·5)

  3. C

    s(anctus)f) [·] stephan(us)g) · prothom(a)rtirh) · chr(ist)ii)

  4. D

    s(anctus) · sixtusj) · p(a)p(a)k) ·// etl) · martir [·] chr(ist)im)

  5. E

    T. G. TAPPE / A(NN)O 1637

  6. F

    IOST ROCKENFVS / A(NN)O 1644

  7. G

    I D R / 1649

Übersetzung:

A: O heiliger König Karl, Beherrscher der Welt. B: Der Heilige Geist wird über dich kommen. C: Der heilige Stephanus, Erzmärtyrer Christi. D: Der heilige Sixtus, Papst und Märtyrer Christi.

Versmaß: Sequenz/Hymnus (A).

Kommentar

Die unteren Schäfte und Bogenabschnitte der Buchstaben sind nur umgeknickt, nicht gebrochen. Die Buchstaben mit Oberlängen ragen deutlich über das Mittelband hinaus. Der linke Teil des oberen Bogens des doppelstöckigen a ist aus einem geschwungenen dünnen Strich gebildet, der den waagerecht verlaufenden rechten Teil des Bogen an seinem verbreiterten Ende berührt. Der linke Bogenabschnitt des d ist gebrochen, der rechte oben nach links abgeknickt. Der Schaft des h ist verhältnismäßig kurz, der untere Bogenabschnitt unter die Grundlinie gezogen. Der untere Balken des k verläuft schräg, der obere waagerecht. Als Worttrenner setzte man Punkte auf die Zeilenmitte.

Die von böhmischem Einfluß bestimmte Malerei auf den Chortüren wurde von demselben Atelier geschaffen, das um 1400 auch die heute in den Fenstern süd VII und nord VII und IX befindlichen Glasmalereien des ehemaligen Bildfensters nord VI, des sog. Zehn-Gebote-Fensters, schuf (vgl. Nr. 67, 68, 71).6) Eine kleine Kreuzigungsgruppe an der südlichen Chorschrankenschräge stammt ebenfalls aus dieser Werkstatt und vielleicht aus ihrem Umkreis ein Korporalienkästchen aus der Zeit um 1380 (Halberstadt, Domschatz, Inv. Nr. 61). Schon 1337 war für den Karlsaltar eine Vikarie gestiftet worden, die später mit weiteren Stiftungen bedacht wurde.7) Am 21. Mai 1343 wurde die Feier des Karlsfestes durch den damaligen Domdekan Themo eingerichtet.8) Die große Verehrung, die man Karl d. Gr. als Bistumsgründer und Heiligen um 1400 entgegenbrachte, indem man ihn als Compatron des Domes darstellte, zeigt sich in der Auswahl des Inschriftentextes, der zwei Zeilen der achten Strophe der Sequenz „Urbs Aquensis urbs regalis“ wiedergibt.9) Dort heißt es: „O rex mundi triumphator [Iesu Christi conregnator sis pro nobis exorator] sancte pater Carole.“ Diese Textstelle weist auch darauf hin, daß man wohl wegen der direkten Anrufung des Heiligen absichtlich eben diese Verse illustrierte, die in einem Halberstädter Missale des 14. Jahrhunderts überliefert sind, während der Messe gesungen wurden und Karl als Fürbitter für das Volk bezeichnen.10) Denn in der folgenden Strophe wird Maria als Fürsprecherin angerufen, die auf der Innenseite der nördlichen Chortür während der Verkündigung dargestellt ist. Stiftungen weiterer Ausstattungsstücke, wie des um 1230 entstandenen Karlsteppichs (vgl. Nr. 23), dessen Bildprogramm vielleicht in den beiden Philosophendarstellungen der nördlichen Türe aufgenommen wurde, des sog, Karlspokals mit Reliquien (vgl. Nr. 38) und des ebenfalls um 1400 entstandenen Karlsfensters (vgl. Nr. 68), beförderten den Heiligenkult.11)

Textkritischer Apparat

  1. Ein Tatzenkreuz als symbolische Invocatio. Der Buchstabe selbst, wie auch die der beiden folgenden Wörter, beschädigt. D. Hermes.
  2. mundi] Die letzten drei Buchstaben beschädigt. Vermutlich befand sich auf dem folgenden, heute fehlenden Pergamentstück ein Worttrenner, wie aus dem großen Wortabstand zum folgenden Wort zu schließen ist.
  3. super] Die Buchstaben, wie auch die des folgenden Wortes beschädigt.
  4. veniet] VEIT Hermes; VEJT BKD.
  5. in te] MRE Hermes, BKD.
  6. sanctus] Der einzige Buchstabe beschädigt. Vermutlich folgte ein Worttrenner.
  7. stephanus] Die ersten vier Buchstaben beschädigt.
  8. prothomartir] Kürzungszeichen fehlt.
  9. christi] Befund: xpi.
  10. sixtus] Die ersten drei Buchstaben beschädigt.
  11. papa] Durch ein hochgestelltes a gekürzt, ein zweites Kürzungszeichen fehlt.
  12. et] Beide Buchstaben beschädigt.
  13. christi] Vermutlich stand vor dem Wort ein Worttrenner. Befund: xp, der letzte Buchstabe, ein i, zerstört.

Anmerkungen

  1. Hinz 1964, S. 102. Vgl. auch die Abzeichnungen bei Elis 1883, S. 40 f. Schon Büsching 1819, S. 237 nennt die Türen „zerschnitten und beinahe ganz undeutlich geworden“.
  2. Eine Kopie der südlichen Türflügel zeigt auf dieser Seite eine Anbetung der Heiligen Drei Könige. Nach 1896 wurden die Türen zeitweise durch Kopien des Hofmalers Quensen aus Braunschweig ersetzt, die Originale im Kapitelsaal aufbewahrt, später dann in der Stephanuskapelle; vgl. Hermes 1896, S. 66; Giesau 1929, S. 29; Dehio Magdeburg 1975, S. 148.
  3. CHRIST / AN(N)O / 1681 / Bercktter // W. Koch // GWS / 1659 // MARTIN SCHVMAN // August / Schreiber / den Meij / 1790 // C/RISTIAN // A : Körner // A DVNAC / AN(N)O / 1715 // hissingleben // ICHJ · R · HEISE // Munchhoff // Deubert / 1763 // F: OELZE / 1824 // A. H. W. / 1660 // A G H // Lutzemann / 1869 // H. K. Kugel // Meyer // Burnich // JJ G / 1696 // Grupe 1791 // C : L : GLEICHMANN. Aufgenommen wurden nur ganze Namen, z. T. in Verbindung mit Jahreszahlen. Einzelne Initialen und Jahreszahlen blieben unberücksichtigt.
  4. AH Bd. 55, Nr. 225.
  5. Lc 1,35.
  6. Vgl. Fitz 2003, S. 255 f.
  7. Vgl. UBHH Bd. 3, Nr. 2292 S. 394 f., Nr. 2596 S. 636; ebd. Bd. 4 Nr. 3031 S. 320.
  8. UBHH Bd. 3, Nr. 2354 S. 452–454. Die Errichtung des Festes wurde nicht, wie Folz 1951, S. 25 Anm. 132 durch Analogieschluß folgert, von Heinrich von Münster betrieben, den er durch unkorrekte Wiedergabe der Datierung eines Teiles des Nekrologs von St. Bonifatius durch Gustav Schmidt in die ersten Dekaden des 14. Jahrhunderts setzt; vgl. dazu Schmidt 1873, S. 393, 400. Heinrich starb 1411. Seine Grabplatte befindet sich heute an der Südwand der Taufkapelle der Liebfrauenkiche; vgl. BKD, S. 355 Nr. 46 mit falschem Todesdatum, dazu DI 86 (Stadt Halberstadt), Nr. 29. Deshalb findet sich das Fest auch nicht, wie immer wieder behauptet, im Kalendarium des sog. Semeca-Missales; vgl. Halberstadt, Domschatz, Inv. Nr. 479 (= Schmidt 1881, S. 3, Ms 114), fol. 5r (vor 4r)–7v. Erst auf S. 428 (die Hs ist teilweise paginiert) befindet sich zwar auf der ursprünglichen Lineatur, aber von einer Hand des 14. Jahrhunderts geschrieben, der Eintrag eines Karlsgebetes; zum Text vgl. Folz 1951, S. 116 Nr. 13. Noch 1590 heißt es in einer „Adnotatio Memoriarum Anniversariarum“, daß zu Caroli Regis aus dem Testament des Themo den Domherren und Großvikaren ein Geldbetrag zuzuwenden sei; vgl. LHASA Magdeburg, Rep. Cop. 671 a, fol. 8. Vgl. zur Verehrung Karls d. Gr. im Halberstädter Dom Fuhrmann 2002 b, Fuhrmann 2006 a; zu seiner Verehrung noch nach der Reformation Odenthal 2005, S. 115 f.
  9. Vgl. AH Bd. 55, Nr. 225; Clemen 1890, S. 98; Folz 1951, S. 25 f. und 124; Kötzsche 1967, S. 173; DI 31 (Aachen Dom), Nr. 10 †, 132, 199.
  10. Halberstadt, Stadtarchiv, Ms 81, fol. ciiii. Vgl. auch Folz 1951, S. 26, 85–87 und bes. 124. Ein im Wortlaut ähnliches Reimoffizium „O rex orbis triumphator“ gehörte zur Halberstädter Festliturgie und wurde zur Vesper des Karlsfestes gesungen; hier wird Karl zwar auch direkt angeredet, jedoch nicht als Heiliger benannt; vgl. Halberstadt, Domschatz, Inv. Nr. 479 (Lektionar von 1434 = Schmidt 1881, S. 3, Ms 115), fol. 309v; Breviarium Halberstadense 1515, fol. CLXXXVv; vgl. auch AH Bd. 52, Nr. 148; Clemen 1890, S. 99 Anm. 1; Lehmann 1934, S. 38; Folz 1951, S. 66, 75.
  11. Vgl. auch Kötzsche 1967, S. 169–176, der jedoch die Glasmalereien völlig außer acht läßt.

Nachweise

  1. Elis 1857, S. 62 (A).
  2. Hermes 1896, S. 66 (A, B).
  3. BKD, S. 266 (A, B).
  4. Kötzsche 1967, S. 173.
  5. Der heilige Schatz 2008, Nr. 114 S. 384–387 (Eva Fitz) (A–D).

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 51 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0005106.