Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 45 Dom, Chorscheitelkapelle vor 1362

Beschreibung

Bildfenster nord II der Marienkapelle;1) dreibahnig von zwölf Zeilen, Farbglas, Schwarzlot, mäßig erhalten, zahlreiche Ergänzungen von Ferdinand Müller, Quedlinburg, aus dem Jahr 1890;2) nach dem Konzept des Fensters sah man ursprünglich jeweils hierarchisch gegliedert in der linken Bahn (a) personifizierte Tugenden, in der mittleren (b) Engelchöre repräsentierende Engel, in der rechten (c) schließlich Evangelisten, Apostel, Märtyrer, Jungfrauen und andere heilige Frauen, überfangen in der zwölften Zeile von einer Marienkrönung; auf den Schriftbändern in Händen der Tugenden bzw. der Heiligen in 1b Justitia, 2a Constantia mentis, 3a Castitas, 4a Temperantia, 5a Oboedientia, 6a Prudentia, 7a Fides, 7c Agapit?, 8a Fortitudo, 9a Spes, 10a Matthäus (A, B, D, F, H, I, K, M, N, P, R) bzw. auf der Sockelleiste unterhalb der Engelchöre deren Bezeichnungen 2b Angeli, 3b Angeli, 4b Principatus, 6b Virtutes, 7b Potestates, 8b Throni, 9b Cherubim, 10b Seraphim (C, E, G, J, L, O, Q, S) radiert zwischen Linien die Bildbeischriften.

Maße: H. 844 cm, B. 131 cm, Bu. ca. 1,8–2,3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel teilweise mit Versalien (A–L, N–Q, S), gotische Majuskel (M, R).

CVMA Deutschland Potsdam/Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Renate Roloff) [1/1]

  1. A

    · Justitia ·

  2. B

    · constantiaa) mentis ·

  3. C

    · Angelib)

  4. D

    · castitas ·

  5. E

    angeli ·

  6. F

    · temperantia ·

  7. G

    · principat(us)

  8. H

    · Obedientia ·

  9. I

    · prudentia ·

  10. J

    · Virtutesc) ·

  11. K

    · Fidesd) ·

  12. L

    · potestates ·

  13. M

    S(ANCTVS) AGOPSe)

  14. N

    · fortitudo ·

  15. O

    · thronif) ·

  16. P

    · Spes ·

  17. Q

    · Cherubyn

  18. R

    S(ANCTVS) MA//TeVSg)

  19. S

    · Seraphy(n)h)

Übersetzung:

A: Die Gerechtigkeit. B: Die Beständigkeit im Geiste. C: Die Angeli. D: Die Keuschheit. E: Die Angeli. F: Die Selbstbeherrschung. G: Die Principatus. H: Der Gehorsam. I: Die Klugheit. J: Die Virtutes. K: Der Glaube. L: Die Potestates. M: Der heilige Agapit (?). N: Die Tapferkeit. O: Die Throni. P: Die Hoffnung. Q: Die Cherubim. R: Der heilige Matthäus. S: Die Seraphin.

Kommentar

Die Minuskelschrift, die in diesem Fenster überwiegt, weist kursive Elemente auf und darf als buchschriftliche gotische Minuskel betrachtet werden. Eine Brechung von Buchstaben hat noch nicht stattgefunden, so daß Rundungen und fließende Übergänge vorherrschend sind. Oft gibt es Buchstabenverbindungen. Nicht immer ist genau unterscheidbar, ob die Anfangsbuchstaben der Minuskel als Versalien oder als Kleinbuchstaben zu betrachten sind. Die wenigen Buchstaben der erhaltenen Majuskelschrift entsprechen in etwa dem Repertoire im Fenster I, sind allenfalls etwas feinstrichiger.

Nach den Forschungen von Eva Fitz handelt es sich bei dem Bildprogramm um ein hierarchisch aufgebautes und in- sowie miteinander verschränktes Marienlob, das analog zu zeitgenössischen oder überkommenen Texten, wie etwa dem Rheinischen Marienlob oder Allerheiligensequenzen, die alles überstrahlenden Tugenden der Gottesmutter, der Patronin der Kapelle, zeigt.3) Vgl. dazu auch Nr. 44.

Textkritischer Apparat

  1. constantia] Der letzte Buchstabe beschädigt.
  2. Angeli] Der vierte Buchstabe beschädigt.
  3. Virtutes] Das s hoch- und schräggestellt.
  4. Fides] Vermutlich entspricht der erste Buchstabe einem Versal.
  5. AGOPS] Für AGAPITVS? Der Heilige Agapit ist im Halberstädter Festkalender am 18. August verzeichnet; vgl. Grotefend 1892, S. 61, Fitz, S. 118.
  6. throni] Der erste Buchstabe beschädigt.
  7. MATeVS] Die Form des vierten Buchstaben ist nicht mehr genau verifizierbar. Vermutlich handelt es sich um ein Minuskel- e.
  8. Seraphyn] Das r beschädigt.

Anmerkungen

  1. Vgl. Fitz 2003, S. 108–120 mit der älteren Literatur.
  2. Zu den Ergänzungen ebd., S. 108, 112–120.
  3. Ebd., S. 108–112. Vgl. auch die Allerheiligensequenzen des Notker Balbulus (ca. 840–912), die ebenfalls Engelchöre, Patriarchen, Propheten, Apostel, Bekenner, Märtyrer, heilige Mönche, Jungfrauen und Witwen aufzählen oder die Heiligenchöre mit Maria in Verbindung bringen; Kehrein 1873, Nr. 335 f. S. 242 f.

Nachweise

  1. Fitz 2003, S. 112–120 mit Abb. 33–54.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 45 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0004508.