Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 33 Dom, Querhaus, Südempore A. 14. Jh.

Beschreibung

Taufkessel, Domschatz Inv. Nr. 399;1) nach Elis und Lucanus aus der Paulskirche herrührend,2) heute auf der Südempore aufgestellt; Metall (Bronze oder Messing), gegossen, Farbfassung weitgehend verblaßt. Von rundem Querschnitt und konischer, sich leicht konkav nach unten verjüngender Form, auf vier Füßen stehend.3) Am unteren Rand unter einem doppelten Rundsteg ein hängender Palmettenfries, am oberen Rand zwischen eingekerbten Linien ein vielgestaltiger Blatt-, Ranken- und Blütenfries. Zwischen beiden Friesen in acht von fialenbekrönten Halbsäulen getragenen, krabbenbesetzten Giebelarchitekturen (Wimpergen) farbig gefaßte Szenen der Kindheit und Jugend Jesu bis zur Taufe, in den Zwickeln darüber Halbfiguren aufgemalter Engel: 1. Verkündigung an Maria, auf Spruchbändern die Bibelworte (A, B), 2. Heimsuchung Mariens und Geburt Christi, die Bildbeischriften zwischen dem Giebel und einer eingetieften Linie (C und D) und auf dem oberen Rahmen des Wochenbettes (E), 3. Verkündigung an die Hirten, im oberen Bildfeld auf Spruchbändern das paraphrasierte Bibelwort (F) und die Bildbeischrift (G), 4. Anbetung der Hl. Drei Könige, auf einem Spruchband der Antiphonanfang (H), 5. Bethlehemitischer Kindermord, auf einem Spruchband die Bildbeischrift in Anlehnung an ein Bibelwort (I), 6. Darstellung im Tempel, die Bildbeischrift in der oberen linken Ecke des Feldes zwischen eingetieften Linien zweizeilig (J) und über den Köpfen der Dargestellten (K und L), 7. Flucht nach Ägypten, auf einem Spruchband über dem Kopf Josephs das Bibelwort (M), darunter die Bildbeischrift (N), 8. Taufe Jesu, über den Köpfen der Dargestellten in einem Spruchband die Bildbeischrift (O). Die Inschriften, soweit nicht anders vermerkt, eingetieft, teilweise in Konturschrift.

Maße: H. 52,4 cm, D. 77,3 cm (unregelmäßig), Bu. 0,7–1,1 cm (A, B), 0,6 cm (C, I, N, O), 0,8 cm (D), 0,4–0,5 cm (E), 0,4–0,6 cm (F), 0,5–0,7 cm (G), 0,9 cm (H), 0,5–1,1 cm (J), 0,5 cm (K, L), 0,6–0,7 cm (M).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/14]

  1. A

    AVE · / GR(ATI)A · PLENA ·4)

  2. B

    FIAT M(IH)Ia) SECVNDV(M)b) U(ER)BV(M)c) · TVU(M) ·5)

  3. C

    S//ALVT(ATI)Od) · MARIE · AD · ELIZ/ABET ·6)

  4. D

    IOSEP ·

  5. E

    PVERPERIV(M) · · · ·

  6. F

    NVNCTOe) : VOBIS : GAVD//IV(M) MAGNV(M)7)

  7. G

    PASTORES

  8. H

    TRIA · SV(N)T · MVNERAf)8)

  9. I

    ERODESg) · IRAT(VS)h)9)

  10. J

    PURI/FICACIO

  11. K

    · IH(ESV)Si) ·

  12. L

    SIMEON

  13. M

    DESCENDE · I(N) · EGYPTV(M)10)

  14. N

    IOSEP

  15. O

    BAPTISMV(M) ·

Übersetzung:

A: Gegrüßet seist du, voll der Gnade. B: Mir geschehe nach deinem Wort. C: Besuch Mariens bei Elisabeth. E: Kindbett. F: Ich verkünde euch große Freude. G: Die Hirten. H: Der Geschenke sind drei. I: Der erzürnte Herodes (oder: Herodes [ist] erzürnt). J: Reinigung. M: Gehe hinab nach Ägypten. O: Taufe.

Kommentar

Die Buchstaben weisen verbreiterte Schaft-, Balken- und Bogenenden, Sporen sowie Bogenschwellungen auf. Die unzialen Formen zeigen C und E stark gerundet mit gegenläufig gebogenen Abschlußstrichen. Die Schrift ist oft in Kontur ausgearbeitet, um Schwellungen darzustellen. D kann mit und ohne eingestellten Zierstrich vorkommen, jedoch ausschließlich kapital. E kommt ausschließlich unzial mit eingestelltem Zierstrich und abgeschlossen sowie mit langen Sporen vor, der Mittelbalken ist oft verdoppelt. G zeigt im oberen Verlauf eine eckige Form, sein oberes Bogenende ist verbreitert. Das M kommt in der symmetrischen offenen unzialen Form vor. Das O hat spitzovale Form und wirkt fast mandelförmig. Kapitale und unziale Formen prägen U und V. Y weist einen durchgehend schrägen rechten Schaft auf. Als Worttrenner fungieren einfach stilisierte Sterne oder Kreise bzw. Doppelkreise.

Die Benutzung der Wendung DESCENDE IN EGYPTVM folgt den Worten Gottes an Jakob vor der Übersiedlung nach Ägypten in der Genesis statt der englischen Worte im biblischen Text des Evangeliums nach Matthaeus „surge et accipe puerum et matrem eius et fuge in Aegyptum“ und weist vielleicht auf einen typologischen Nebensinn hin.10)

Die ungefähr gleichzeitige Entstehung des Taufbeckens im Dom und desjenigen in der Halberstädter Martinikirche zeigen außer ihrem identischen Bildprogramm auch beide Inschriften, die nicht nur text-, sondern annähernd wortgleich sind.11) Auch ihre Ausführung zeigt die große Nähe beider Fünten zu einander. Man muß vermuten, daß zumindest die Entwürfe, wenn nicht sogar der Guß, in derselben, vermutlich Halberstädter Werkstatt entstanden sind.12) Ob nun die Fünte aus St. Martini derjenigen aus St. Paul, die sich im Dom befindet, voraufging, wie Ute Bednarz vermutet, oder ob es sich umgekehrt verhält, wie Mundt glaubt, läßt sich nicht mehr feststellen.13) In Übereinstimmung mit dem kunsthistorischen Befund läßt sich eine Entstehung beider zu Anfang des 14. Jahrhunderts durch die Einordnung der Schriftformen in die Reihe der älteren Halberstädter Gußwerke nahelegen. Es handelt sich um im Dom befindliche Glocken (vgl. Nr. 28, Nr. 29), darunter besonders die jüngste (Nr. 30), sowie die ältere Glocke aus St. Martini, denen die älteste Glocke in St. Moritz vorangeht, während die beiden Glocken aus St. Moritz und Liebfrauen ihnen folgen.14) Daß man sowohl in St. Paul als auch in St. Martini um 1300 an Förderung für die Ausstattung interessiert war, zeigen zwei Ablässe, um die man sich im Jahr 1300 in Rom – sicher begünstigt durch das Heilige Jahr – bei Erzbischöfen und Bischöfen für beide Stifte bemühte.15) Vorher und nachher dauerte es jeweils viele Jahre, seit bzw. bis man ähnliches wieder versuchte. Beide Ablässe betonen unter anderem die Stiftungen von „ad fabricam ornamenta seu luminaria“ bzw. „fabrice … quibuscunque necessariis“.16)

Textkritischer Apparat

  1. MIHI] Das I als Kürzungszeichen hochgestellt.
  2. SECVNDVM] Das D verkleinert.
  3. UERBVM] Durch einen hochgestellten ER-Haken gekürzt.
  4. SALVTATIO] Kürzungszeichen fehlt.
  5. NVNCTO] Sic! Für NVNCIO.
  6. MVNERA] Zwischen dem zweiten und dritten Buchstaben ein Gußfehler, der schon vor der Anbringung der Inschrift vorhanden war, da auf ihn Rücksicht genommen wurde.
  7. ERODES] Die Schreibweise hyperkorrekt.
  8. IRATVS] Das VS-Kürzungszeichen liegend über dem Schriftband.
  9. IHESVS] Befund: IHC.

Anmerkungen

  1. Siehe dazu: Elis 1857, S. 68; Lucanus 1866, S. 49; Nebe 1889/1890, S. 88; Zschiesche 1895, S. 155; Hermes 1896, S. 91 mit Abb. S. 93; BKD, S. 275; Mundt 1908, S. 58 f. mit Abb. Taf. XXIV; Doering 1927, S. 69; Hinz 1964, S. 195 f. mit Abb.; Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 227 mit Abb. 169; Kostbarkeiten 2001, S. 84 f. mit Abb. ([Ute] B[ednarz]); Lüer 1904, S. 313, der auf das verwandte Taufbecken in der Halberstädter Martinikirche hinweist, das er allerdings noch ins 13. Jahrhundert setzt, entging die etwa gleichzeitig entstandene Fünte, die sich heute im Dom befindet; vgl. zum Taufbecken in St. Martini zuletzt Katalog Magdeburg 2006 a, Nr. A 3 S. 247 ff. mit Abb. (H[artmut] M[ai]).
  2. Die Paulskirche war nach der Auflösung des Stifts 1810 und der Pfarre 1812 verlassen und diente als Vorratsmagazin und war seither „alles Schmuckes im Innern beraubt“; UB S. Bonifacii et S. Pauli, S. XXVI. Vermutlich gelangte das Taufbecken damals in den Dom. Wohl nach dem Sommer 1837 dort aufbewahrt, als der Neue Kapitelsaal als Gemäldegalerie eingerichtet worden war und vor dem Jahr 1857, als sich die Fünte dort schon befand; vgl. DKK 1838, S. 6; Elis 1857, S. 68; Lucanus 1866, S. 49.
  3. Dagegen Kostbarkeiten 2001, S. 84 f. mit Abb. ([Ute] B[ednarz]) „steht auf drei kurzen Füßen“.
  4. Lc 1,28.
  5. Lc 1,38.
  6. Nach Lc 1,41.
  7. Nach Lc 2,10; vgl. CAO Vol. IV, Nr. 6576. Den genauen Wortlaut der Paraphrase geben einige mittelalterliche Schriftsteller wie Chromatius Aquileiensis (387–407) oder Sedulius Scotus (Mitte 9. Jh.) in ihren Predigten bzw. Evangelienkommentaren wieder; Chromatius Aquileiensis, Sermones 32,104 und 110; Sedulius Scotus, In Evanglium Matthaei, 1,1,1,17 (S. 34, Z. 66).
  8. Antiphon zu Epiphania; vgl. CAO Vol. III, Nr. 5181.
  9. Nach Mt 2,16.
  10. Gn 46,3; danach Ambrosius und besonders Rupert von Deutz; Ambrosius Mediolanensis, De Ioseph, 14,82, (S. 120, Z. 20); Rupertus Tuitiensis, De glorificatione trinitatis, 3,22,74,11 (PL Bd. 169, col. 74A); ders., De sancta trinitate, 21,23,737; ebd. 5, In Genesim V,339,292; ebd., 9, In Genesim IX,547,570 und 577 sowie 590; ebd., 10, In Exodum I,582,68; ders., Liber de divinis officiis, 3,83,834. Vgl. Mt 2,13 und Pictor in Carmine bei Baker 1991, XVIII, Nr. 79 und Wirth 2006, S. 154; Mt 2,13–14.
  11. Abweichungen an der Fünte in St. Martini finden sich in der Verkündigungsszene an Maria, wo statt des Bibelworts die Bildbeischrift AINNVNTIAT(IO) (Sic!) steht. In der Heimsuchung lautet die Bildbeischrift SALVTATIO ELIZABETH AD MARIAM statt umgekehrt. Die Bildbeischrift PVRIFICATIO in der Darstellung Jesu im Tempel fehlt. Statt dessen existiert eine weitere fragmentarische Inschrift vermutlich mit dem Namen Marias, der über der Frau, die die Tauben darbringt, angebracht ist, und in der Flucht nach Ägypten heißt es statt DESCENDE als Textanfang der Bildbeischrift HIC FUG(IVNT) oder HIC FVG(IT). Der übrige Text ist übereinstimmend. Vgl zur Fünte auch BKD, S. 405 mit Fig. 168 sowie DI 86 (Stadt Halberstadt), Nr. 5.
  12. Man weiß nicht, ob es sich dabei um die Vorgängerwerkstatt des „magister johannis von Halverstat“ oder „mester jan van halberstad“ handelte, der nach Mundt und Walter mit Johannes Apengeter identisch und seit 1327 bis 1350 nachweisbar ist, in der auch die Glocke aus St. Moritz von 1319 entstanden sein könnte; vgl. Mundt 1908, S. 47–67; Walter 1913, 780–782; Hartmann 1964, S. 188–190.
  13. Kostbarkeiten 2001, S. 84 f. mit Abb. ([Ute] B[ednarz]); Mundt 1908, S. 61. Der bewegtere Stil der Taufe in St. Martini spricht dafür, daß dieses Werk nach der heute im Domschatz aufbewahrten Fünte entstanden ist.
  14. Siehe zu den Glocken in St. Martini BKD, S. 399 Nr. 5, in St. Moritz, BKD, S. 383 Nr. 2 (von 1281) und Nr. 1 (von 1319) und in Liebfrauen Peter 2003/2004, S. 15 Glocke I (1. V. 14. Jh.). Dazu auch DI 86 (Stadt Halberstadt), Nr. 4, 7, 8, 9.
  15. UB S. Bonifacii et S. Pauli, Nr. 74 S. 355 f.; UB Stadt Halberstadt Bd. 1, Nr. 286 S. 216 f.; zum Heiligen Jahr siehe LexMA Bd. IV, Sp. 2024 f. (B[ernhard] Schimmelpfenning).
  16. Der Ablaß deutscher Bischöfe für St. Paul von 1287 III 19 und ein päpstlicher von 1291 VI 13 entbehren entsprechender Passagen; UB S. Bonifacii et S. Pauli, Nr. 63 S. 345 f. und Nr. 66 S. 348 f. Ähnliche Klauseln weisen lediglich die Ablässe für den Dom von 1285 X 25, für den Altar in der Krypta des Domes von 1289 (IX 1–XII 31) und zwei weitere Ablässe für den Dom von 1296 auf; UBHH Bd. 2, Nr. 1460, S. 481 f., Nr. 1549 S. 527 f., Nr. 1658 S. 577 f., Nr. 1659 S. 578 f.; St. Bonifatius von 1291, UB S. Bonifacii et S. Pauli, Nr. 91 S. 67 f.

Nachweise

  1. Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 227 mit Abb. 169 (J).
  2. Abb.: Hermes 1896, S. 91 mit Abb. S. 93.
  3. Mundt 1908, S. 58 f. mit Abb. Taf. XXIV.
  4. Kostbarkeiten 2001, S. 84 f. mit Abb. ([Ute] B[ednarz]).

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 33 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0003308.