Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 32 Dom, Textilsaal 2. H. 13. Jh., 1. H. 14. Jh.

Beschreibung

Antependium, Domschatz Inv. Nr. 203; vielleicht identisch mit dem im Inventar von 1811 erwähnten „seidnen Antependium“;1) Halbseidenatlas,2) rot und grün, Hanfkette, Webkanten grünweiß, farbige Perlstickerei mit Glas- und Flußperlen sowie Korallen und Metallplättchen teils auf Leinen, teils auf Pergament. Das Parament ist rechteckig und besteht aus drei breiten Bahnen. Die seitlichen Borten sind aus 2 cm breitem grünem Seidenrips (?). An den oberen Ecken grüne Sammetstücke und eine Brettchenborte; am Rand umlaufend zwei Streifen aus rotem (außen) und grünem (innen) Atlas, letzterer mit zwei Goldborten besetzt; Futter: Leinen. In der Mitte auf einer von Löwen getragenen Thronbank3) rechts Christus mit Kreuznimbus. Mit der Linken auf dem Schoß das Buch des Lebens haltend, krönt er mit der Rechten die links sitzende Maria, die von den Erzengeln Gabriel links und Michael rechts flankiert wird und Überreste eines Drachen unter den Füßen hat.4) Zu seiten der Erzengel zwei weibliche Heilige die aufgrund fehlender bzw. nicht aussagekräftiger Attribute nicht zuzuordnen sind.5) Die Gewandung meist in Grün und Rot, die Nimben rot und hellblau; auf die aufgesetzten grünen inneren Atlasstreifen zwei hellrot gesäumte, nicht vollständig erhaltene 8 mm breite Goldborten genäht, darauf zwischen Begrenzungslinien eingewebt die Inschrift (A) als Segenswunsch(?), sich noch sechzigmal wiederholend. Auf dem Futter der Rückseite am oberen Rand mittig, in grüner Seide im Kreuzstich gestickt die Initialen (B).6) Das Antependium ist teilweise zerschlissen und hat einige Löcher. Etliche Perlen und Metallplättchen des Besatzes sind ausgefallen und werden teils in einer beiliegenden Schachtel aufbewahrt.

Maße: H. 85,5 cm (Leinen 65,4 cm), B. 197–204 cm, Bu. 0,6–0,7 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel (A) mit Elementen der Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/1]

  1. A

    · FINEa) · ABONb) ·

  2. B

    A · K / C · A

Kommentar

Die Schrift der Inschrift A besteht aus sieben, sich wiederholenden Buchstaben fast ohne Sporen. A ist gespreizt und trapezförmig ohne überstehenden Deckbalken. B weist zwei innen nicht bis zum Schaft durchgezogene Bögen auf. I zeigt in der Schaftmitte einen angedeuteten Nodus. O ist kreisrund. Als Worttrenner dienen waagerechte Rauten. Die Buchstaben der Inschrift B weisen an ihren Enden keilförmig verbreiterte Schäfte und Balken auf. C wird an den Bogenenden von kräftigen Sporen begrenzt und weist in der Bogenmitte einen Nodus auf. Die obere Schräghaste des K ist verkümmert. Als Worttrenner wurden Kreuze verwendet – einmal in Form des Andreaskreuzes mit gegabelten Enden, einmal als lateinisches Krückenkreuz geformt.

Die Einschätzungen der Entstehungszeit des Antependiums nach stilistischen Kriterien weichen voneinander ab. Marie Schuette setzte sie als einheimische (niedersächsische) Arbeit – sie vergleicht ornamentale Einzelheiten mit solchen an drei Armreliquiaren des späten 12. Jahrhunderts aus dem Welfenschatz7) – in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts, wies auf einen starken byzantinischen Einfluß hin und verglich sie hinsichtlich ihrer Farbigkeit mit byzantinischen Emailarbeiten,8) deren es mehrere im Halberstädter Domschatz gibt. Johanna Flemming gibt „Anregungen der französischen Kathedralkunst und die Abwendung von den byzantinischen Vorbildern“ als stilistische und ikonographische Kriterien für eine Entstehung im späten 13. Jahrhundert an.9) Motivisch sieht sie eine Nähe zu einem Quedlinburger Altaraufsatz und bezüglich der Farbigkeit zu einer Wandmalerei in Gurk. Barbara Pregla und Elisabeth Rüber-Schütte machen auf weitere Übereinstimmungen mit Wandmalereien und Textilien in Quedlinburg und Helmstedt (Kloster Marienberg aus Kloster Heiningen) aufmerksam.10) Auch die Bewertung der Inschriften kann einen zeitlichen Ansatz nicht näher begründen, da ungewiß ist, ob die Inschrift A nicht auch noch nach der Entstehung des Antependiums hinzugefügt worden ist. Dennoch finden sich besonders auf Stickereien der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts oder um 1300 immer wieder Inschriften mit Buchstaben fast ohne Sporen, die der Kapitalis angenähert erscheinen.11) Inschrift B dürfte wohl zusammen mit der Anbringung des Futters, auf dem sie sich befindet, entstanden sein; nach den Buchstabenformen könnte sie auch noch um 1300 oder in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden sein. Die Bedeutung der Inschrift A erschließt sich nicht. Im Kölner Schnütgen-Museum wird jedoch ein Stück einer Kölner Borte aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts aufbewahrt, die neben dem Wappen einer Kölner Bürgerfamilie in Majuskeln die Inschrift BELA trägt.12) Reste einer weiteren schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgegangenen Borte des 14. Jahrhunderts trugen die Inschrift FRANCIA. Bock las auf einem Leinenhandtuch „zum kirchlichen Gebrauch“ aus St. Emmeran in Mainz die auf drei Streifen immer wiederkehrende Buchstabenfolge BONAE.13) Diese Inschriften lassen sich nicht immer enträtseln, jedoch könnten sie auf Herkunft oder Werkstatt weisen. Vielleicht bedeuten sie aber auch eine Art Segensspruch oder Devise, etwa französisch: à bonne fin oder italienisch: a b(u)ona fine.14)

Textkritischer Apparat

  1. FINE] Eine Schuette.
  2. ABON] Aron Schuette.

Anmerkungen

  1. Vgl. Schuette 1930, S. 75; im Inventar von 1811 wird als Nr. 133 „ein gewirktes seidnes Antependium mit einzelnen kleinen Schildern von Silberblech und etwas kleinerer Perlen zum hohen Altar gehörig“ geführt. In dem zugehörigen Verzeichnis wird zur Bekleidung der beiden Altäre unter Nr. 4 „ein Altar-Laaken von Atlaß, welches unter das vorige gelegt wird, und vorn herunter hängt, mit verschiedenen Figuren“ genannt; vgl. auch Berlin Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, HA V Rep. B 11 a No. 486 fol. 10r Nr. 4 und fol. 14v Nr. 133. Im Verzeichnis der Reliquien auf dem Cyther, das 1711 erstellt wurde, vgl. LHASA Magdeburg, Rep. A 14 Nr. 1852 wird das Antependium nicht erwähnt. Auch das könnte ein Hinweis sein, daß es damals noch am Hauptaltar Verwendung fand.
  2. Eine genaue Beschreibung einschließlich der technischen Details und der Farben bieten Schuette 1930, S. 74 f. mit Taf. 46/47; Schuette/Christensen 1963, S. 37 mit Farbtaf. VIII; Bock 1966, S. 261 f. Nr. 39 mit Taf. 19; vgl. auch Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 234 f.; Der heilige Schatz 2008, Nr. 83 S. 288–291 mit Abb. (Barbara Pregla, Elisabeth Rüber-Schütte).
  3. Nach Schuette 1930, S. 75 und Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 235 durch die Löwen als Thron Salomons nach 1 Kö 10,19 (III Rg 10,19) bezeichnet.
  4. Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 235.
  5. Johanna Flemming sieht in der Heiligen rechts Katharina; Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 235.
  6. Den Hinweis auf diese Inschrift verdanke ich Frau Dipl. phil. Barbara Pregla, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle.
  7. Schuette 1930, S. 75; vgl. dazu Brandt 1998, S. 356 ff. mit Abb. 1 und 3; Winter 1986, S. 90 Abb. 101, 104, S. 92 Abb. 105 sowie Junghans 2002, S. 57 ff. Nr. 10, S. 69 ff. Nr. 12 und S. 112 ff. Nr. 18. Zu den daran befindlichen Inschriften DI 35 (Stadt Braunschweig), Nr. 15 (nach 1173) und Nr. 37, 38 (1. Hälfte 14. Jh.).
  8. Schuette 1930, S. 75.
  9. Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 235; der Altaraufsatz aus der Aegidienkirche in Quedlinburg ist 1945 noch nach Abbruch der Kämpfe des Zweiten Weltkrieges um die Stadt Berlin bei einem Großbrand vernichtet worden; vgl. dazu Gemäldegalerie Berlin Gesamtverzeichnis 1996, S. 608 Nr. 1570; Gemäldergalerie Berlin Dokumentation der Verluste 1995, S. 53 Nr. 1570 mit Abb.; vgl. dazu auch Kroos 1997, S. 73–86.
  10. Der heilige Schatz 2008, Nr. 83 S. 290 (Barbara Pregla, Elisabeth Rüber-Schütte).
  11. Siehe die Beispiele bei Kroos 1970, S. 115 f. Nr. 6 mit Abb. 77, 79–82 (Brandenburg, um 1290), S. 120 Nr. 17 mit Abb. 114 (Ebstorf, gegen 1300), S. 131 Nr. 54 mit Abb. 49 f. (Helmstedt, Mitte 13. Jh.), S. 144 f. Nr. 91 mit Abb. 148 f. (Lüneburg, Anf. 14. Jh.), aber auch in Halberstadt gibt es Vergleichbares siehe Nr. 26 (2. V. 13. Jh.), vgl. auch Kroos 1970, S. 123 Nr. 30 a–b mit Abb. 115 f. (die Buchstaben hier kaum zu erkennen), Nr. 42 (Inschrift: 1. H. 14. Jh.), vgl. dazu auch Kroos 1970, S. 122 Nr. 27 mit Abb. 52–58 (die Buchstaben hier nicht abgebildet, da zwei wohl etwas jüngere Stücke einer Borte mit der Inschrift auf der Rückseite des Stolenendes angenäht wurden) sowie oben Nr. 18 (wohl um 1200?), vgl. dazu auch Happach 1984, S. 96 f. und Bellmann 1984 a, S. 98–101.
  12. Scheyer 1932, S. 51 f.
  13. Bock 1859–1871 Bd. 3, S. 16, 30, 93 mit Abb. Taf. XIX; DI 2 (Stadt Mainz), Nr. 1015 mit Abb.
  14. Vorschlag meines Heidelberger Kollegen Dr. Harald Drös, dem ich dafür herzlichst danke.

Nachweise

  1. Schuette 1930, S. 74 f. mit Abb. Taf. 46/47.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 32 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0003201.