Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 31 Dom, Bischofskapelle, oberer Raum 2. H. 13. Jh.

Beschreibung

Deckel einer Dose, Domschatz Inv. Nr. 114;1) Holz, gedreht, farbig gefaßt, kreisrund, wenige Risse und Abplatzungen, zwei einander gegenüberliegende Einkerbungen am Rand; auf der Oberseite auf braunem Grund konzentrisch angeordnet um ein leicht erhabenes, rundes, aufgemaltes Medaillon fünf weitere, die gemeinsam eine Rosette darstellen, in den Zwischenräumen der Medaillons je vier Rosetten mit je fünf weißen Blütenblättern um einen roten Butzen.2) Das mittlere der jeweils von einem gelben Kreis gerahmten Medaillons zeigt einen Adler, je eines der umgebenden Medaillons ist mit einem Panther, einem schreitenden Löwen, einem Greifen,3) einem Einhorn und einem hersehenden Löwen (Leopard) – jeweils gelb auf rotem mit weißen, dreiblättrigen Blüten bestreuten Grund – bemalt. Auf der Zarge umlaufend einzeilig, gelb auf Rot aufgemalt, der Beginn des Ave Maria als Antiphonanfang.

Maße: D. 14,7 cm, H. 2,7 cm, Bu. 1,8 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/5]

  1. +a) AVE · MARIA · GRACIA · PLENA · Db)4)

Übersetzung:

Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade, [der Herr].

Kommentar

Die Schrift ist ausgezeichnet stilisiert und sehr sorgfältig gemalt. Die Schäfte und Balken sind verbreitert und weisen kräftige und/oder lange Sporen auf. Die Bögen, die gerade, nicht der Bogenschwellung folgende Innenkonturen haben, enden in Abschlußstrichen. Die Bogenenden sind weit nach innen gezogen. Die leicht schräggestellten Schäfte des flachgedeckten, kapitalen A werden immer durch Doppelbalken verbunden. Der Deckbalken steht beidseitig über. C zeigt einen parallel zur Innenkontur verlaufenden feinen Zierstrich. E kommt nur in unzialer Ausformung vor, auch hier mit einem doppelten Mittelbalken. Ein Nodus ziert die Schaftmitte des I. Das unziale M in der gerundeten symmetrischen Form beschließt ein Abschlußstrich am unteren Buchstabenende. Bogen und Cauda des R setzen beide am Schaft an, ohne einander zu berühren. Als Worttrenner werden Kreise benutzt.

Die Funktion des Behälters, den der Deckel verschloß, ist unbekannt.5) Wegen des an seinem Rand angebrachten Antiphonanfangs ist einerseits an eine liturgische oder paraliturgische Verwendung zu denken. Andererseits wirken die Schmuckmotive heraldischen Ursprungs, die auf der Oberseite des Deckels angebracht wurden, eher der weltlichen Sphäre zugehörig.6) Der Adler, der das zentrale Medaillon ziert, ist als Wappenfigur der Halberstädter Dompropstei bekannt.7) Eine Verbindung zu anderen heraldischen Motiven läßt sich nicht herstellen.8) Als Ornament waren Tierdarstellungen im Mittelalter gerade auf Kleinkunstwerken wie Kästchen und an Gerät beliebt. Ein im Zweiten Weltkrieg verschollenes Holzmodel des 14. Jahrhunderts zeigte Adler, Löwe, Einhorn und Hirsch sowie als Inschrift den Beginn des Ave Maria.9) Nach den Schriftformen ist die Entstehungszeit des Halberstädter Deckels in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts zu setzen (vgl. Nr. 2830).

Textkritischer Apparat

  1. Tatzenkreuz.
  2. D] Zu ergänzen zu DOMINVS.

Anmerkungen

  1. Siehe dazu: BKD, S. 299.
  2. Ganz ähnliche Blüten zeigt ein in seiner Form und handwerklichen Machart nach ganz unterschiedliches Kästchen aus mit geprägtem Leder bezogenen Kiefernholz, das bei der Weihe des Hauptaltars von St. Michael zu Lüneburg im Jahre 1305 eingebracht wurde; DI 24 (Lüneburg I: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne), Nr. 7 mit Abb. 7; Katalog Braunschweig 1985 Bd. 2, Nr. 1094 S. 1259 mit Abb.
  3. Das Medaillon ist beschädigt, allerdings sind die Flügelansätze des Greifen zu erkennen.
  4. Ave Maria nach Lc 1,28, Antiphon und auch Responsorium zahlreicher Marienfeste; vgl. Carmina Scripturarum, S. 424; CAO Vol. III, Nr. 1539; ebd. Vol. IV, Nr. 6157.
  5. Eine zylindrische Hostienbüchse des 14. Jahrhunderts, allerdings ohne Farbfassung, befindet sich im Weserrenaissance-Museum Schloß Brake; vgl. DI 59 (Stadt Lemgo), Nr. 9. Ein Inschriftenfragment ist auf dem Deckel angebracht. Ähnliche Formen allerdings wesentlich älterer Pyxiden, die aus Elfenbein gefertigt wurden, in Katalog Köln 1975, Nr. D 18 f. S. 177–179.
  6. Eine ähnliche Mischform findet sich am sog. Karlspokal; vgl. dazu Nr. 38 sowie Fuhrmann 2002 b, S. 57–59 und Fuhrmann 2006 a, S. 294–298 mit Abb. 2; Der heilige Schatz 2008, Nr. 32 S. 120 f. (Hans Fuhrmann).
  7. Vgl. Siebmacher Bi, S. 144.
  8. Einige dieser Fabeltiere (Adler, Löwe, Einhorn, Leopard/Panther) galten auch als Symbole Mariens; vgl. Marienlexikon Bd. 2, S. 229 f., 304–308, Bd. 4, S. 141–144, Bd. 6, S. 421–424.
  9. Kohlhaussen 1928, S. 50 f. sowie Nr. 21 mit Taf. 22; Kohlhaussen 1949, S. 7 mit Abb. 13; Einhorn 1976, S. 447–450 bes. S. 447 mit Nr. 804.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 31 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0003104.