Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 25(†) Dom, Depot 2. V. 13. Jh.

Beschreibung

Kasel, Domschatz Inv. Nr. 209;1) Glockenform, Seide (Atlas),2) grün, mit breiten Stäben in Seiden- und Goldstickerei, Futter dünne rosafarbene Seide in Leinwandbindung; aus mehreren Teilen zusammengesetzt.3) Auf dem von Goldborten mit floralen und zoomorphen Ornamenten eingefaßten und bestickten Kaselstäben das Leben Christi. Auf der Rückseite von unten nach oben: Wurzel Jesse,4) Verkündigung Mariens (A, B), Geburt Christi (C, D), Verkündigung an die Hirten (E, F), Anbetung der Hl. Drei Könige, Taufe Christi mit den liturgischen Texten. Auf der Vorderseite von unten: Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingstwunder. Die Buchstabenreste des Beginns der Antiphon (F) in dem von einem Engel gehaltenen Schriftband der Verkündigung an die Hirten sind kaum noch wahrnehmbar. Die restlichen Inschriften der Verkündigung an Maria und der Geburt Christi sind vollkommen vergangen und lassen sich, wenn überhaupt, nur noch mittels Lichtbildaufnahmen entziffern. Die Seidenfäden sind sehr mürbe. Risse und größere Schadstellen wurden ausgebessert. Das Futter ist stark zerschlissen, einige Flicken wurden aufgesetzt. Die Stickerei auf der Vorderseite stark abgerieben, z. T. sind die Vorzeichnungen sichtbar, um 1930 gesichert.3)

Inschriften nach Kroos 19705) (A, B, E) und Schuette 19306) (C, D), ergänzt nach Kroos 19705) (F).

Maße: H. 155 cm, B. 148 cm, Bu. 1,1 cm.

Schriftart(en): Gotische (?) Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/3]

  1. A †

    AVE MARIA7)

  2. B †

    ECCE ANCILLAa) Db)8)

  3. C †

    TOLLE PVEc)9)

  4. D †

    GAVDE [– – –]10)

  5. E †

    ECCE EGOd)11)

  6. F

    G[LORIA] I[N EX/CELSe)]12)

Übersetzung:

A: Gegrüßet seiest du Maria. B: Siehe ich bin die Magd (des Herrn). C: Nimm den Knaben (und seine Mutter und gehe in das Land Juda). D: (Freuet euch alle und frohlocket. Oder: Freuet euch im Herrn). E: Siehe ich (verkündige euch große Freude). F: Ehre (sei Gott) in der Höhe.

Kommentar

Die beiden einzigen Buchstaben, die nach dem heutigen Befund noch beschrieben werden können, sind ein G und ein I. G weist vermutlich eine nach links abgeknickte Cauda auf und ist insgesamt ungewöhnlich. I zeigt einen Nodus in der Schaftmitte.

Sowohl Marie Schuette als auch Renate Kroos ordnen die Stickereien stilistisch in den niedersächsischen Kunstkreis und chronologisch mit leichten Abweichungen voneinander in das zweite Viertel des 13. Jahrhunderts ein.13) Technisch weisen beide auf einen engen Zusammenhang mit byzantinischen Stickereien im Halberstädter Domschatz (vgl. Nr. 17) hin, die wohl als Vorbild gedient haben. Da sich nur wenige Buchstaben bis zum heutigen Tage erhalten haben, richtet sich der zeitliche Ansatz nach der stilistischen Einschätzung. Zum zweiten Mal zeigt sich hier – nach denjenigen der Fanones einer Mitra (vgl. Nr. 18) – die später für Halberstadt typisch werdende Verwendung liturgischer Texte als Bildbeischriften.14) Es handelt sich bei den auf den Kaselbesätzen verwendeten Texten um Anfänge von Antiphonen bzw. Responsorien, die während der Messen, im Chorgebet des Advent oder zu Weihnachten gesungen wurden.

Textkritischer Apparat

  1. ANCILLA] Retrogrades N.
  2. D] Zu ergänzen zu DOMINI; Do Schuette 1930.
  3. PVE] Zu ergänzen wohl zu PVERVM.
  4. EGO] e. Schuette 1930.
  5. EXCELS] Zu ergänzen zu EXCELSIS; celis Schuette 1930.

Anmerkungen

  1. In der Ergänzung des Inventars der Reliquien auf dem Cyther von 1717 vom 30. Mai 1718 wird „ein grün meßgewand“ erwähnt, jedoch ist die Beschreibung zu vage, um sagen zu können, ob es sich um die spätere Inv. Nr. 209 handelt; vgl. Magdeburg LHASA Rep. A 14 Nr. 1852. Siehe auch Inventar 1811, Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, HA V Rep. BA Na 486, fol. 12r Nr. 13 oder 18?; Lucanus 1866, S. 56 unter Nr. 194; Hermes 1896, S. 111; BKD, S. 283; Schuette 1930, S. XIV, 71 f.; Doering 1927, S. 71; Meyer 1936, S. 13 mit Teilabb.; Schuette/Müller-Christensen 1963, S. 32 mit Abb. 111/112; Hinz 1964, S. 180; Kroos 1964, passim; Flemming/ Lehmann/Schubert 1990, S. 238 mit Teilabb.; Wilckens 1991, S. 195 mit Abb. 220; Der heilige Schatz 2008, Nr. 61 S. 226–231 mit Abb. (Barbara Pregla).
  2. Schuette 1930, S. 71 Anm. 1 schließt aus dem Material nach Berliner 1921–1922, S. 48 und 50 auf eine byzantinische Herkunft des Gewebes.
  3. Vgl. zu Material, Technik und zum Erhaltungszustand Schuette 1930, S. 71 f., Kroos 1970, S. 122 Nr. 26.
  4. Dieses Besatzstück weicht stilistisch und im Aufbau von den übrigen ab und ist etwas später, „um oder kurz nach der Mitte des 13. Jh.“, anzusetzen; vgl. Kroos 1970, S. 32; Der heilige Schatz 2008, Nr. 61 S. 23 (Barbara Pregla).
  5. Von Kroos 1970, S. 122 Nr. 26 immer in Minuskeln wiedergegeben. Die noch existierenden Buchstaben zeigen jedoch, daß es sich um Majuskelbuchstaben handelt bzw. gehandelt hat.
  6. Schuette 1930, Abb. 45.
  7. Nach Lc 1,28 CAO Vol. III, Nr. 1539; Carmina Scripturarum, S. 424 f.
  8. Nach Lc 1,38 CAO Vol. III, Nr. 2491; Carmina Scripturarum, S. 427.
  9. Auf dem Spruchband in den Händen des Engels über dem hl. Joseph war wohl nach Mt 2,20 der Anfang der Antiphon „Tolle puerum et matrem eius, et vade in terram Juda“ wiedergegeben, die zur Vigil der Anbetung und zu Mariae Lichtmeß gesungen wurde; CAO Vol. III, Nr. 5156; Carmina Scripturarum, S. 383.
  10. Auf dem Spruchband in der Hand eines Propheten oder Engels über der Krippe sind noch Buchstabenbestandteile feststellbar. Vielleicht stand dort der Anfang der Antiphon nach Is 35,4 „Gaudete omnes et laetamini“, die zur Matutin an den Adventssonntagen gesungen wurde. Der das Spruchband haltende Prophet wäre dann Jesaia; vgl. Carmina Scripturarum, S. 313. Jedoch käme auch die Antiphon des dritten Sonntags im Advent „Gaudete in Domino“ in Frage; vgl. CAO Vol. III, Nr. 2932.
  11. Nach Lc 2,10 und wohl ähnlich CAO Vol. IV, Nr. 6576.
  12. Nach Lc 2,14 und wie CAO Vol. III, Nr. 2946.
  13. Schuette 1930, S. 72; Kroos 1970, S. 32–34, 122 Nr. 26. Ähnlich auch Der heilige Schatz 2008, Nr. 61 S. 226 (Barbara Pregla).
  14. Vgl. auch z. B. Nr. 44, 48, 87, 154, 161, 176, 183.

Nachweise

  1. Schuette 1930, S. 71 f. mit Abb. 44, 45.
  2. Kroos 1970, S. 122 Nr. 26 mit Abb. 26–28.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 25(†) (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0002506.