Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 75: Halberstadt Dom (2009)
Nr. 20 Dom, Schatzkammer nach 1225
Beschreibung
Armreliquiar, Inv. Nr. 21;1) Silberblech vergoldet, Kern aus rötlichem Speckstein oder Alabaster, drei Löwentatzen aus vergoldetem Kupfer, Ärmelkanten, Handgelenk und Reliquienfenster mit perldrahtgefaßten Filigranbordüren besetzt, gemugelte und plangeschliffene Edelsteine, Fluß- und Glasperlen, z. T. wiederverwendet, je eine geschnittene und ungeschnittene Gemme, zwei steinbesetzte Ringe auf Zeige- und Ringfinger. Das ovale Reliquienfenster wie auch die gravierten Medaillons in den Zwickeln der Vorderseite durch gravierte Doppellinien gerahmt; darin vor schraffiertem Hintergrund oben links ein Hund mit einem Zweig in der Schnauze, oben rechts Agnus dei mit Kreuzstab und Siegesfahne, unten links ein Vogel mit Schwimmfüßen mit darüberstehendem sechsstrahligen Stern und nebenstehender achtblättriger Blüte sowie ein später punziertes Hakenkreuz, unten rechts ein geflügelter Drache, sich selbst in den Schwanz beißend. Auf der Rückseite und am Handgelenk gravierte Ranken- und Blattmuster flankiert von geometrischem Flechtband, unter dem Bergkristallcabochon in einer Höhlung des Specksteins auf ein Stück roten Taft gebettet die mumifizierte Fingerreliquie mit Draht in einer Hülse aus vergoldetem Silberblech an einer Öse befestigt, darauf umlaufend graviert die Reliquienbeischrift. Etwa ein Drittel der Steine, der Besatz der Daumenseite sowie Teile der Einfassung des Reliquienfensters, fehlen, das Silberblech an den Fingern z. T. gerissen.
Maße: H. 50,5 cm, B. 16 cm, T. 11 cm, Bu. 0,2 cm.
Schriftart(en): Romanische Majuskel mit Elementen gotischer Majuskel.
+a) DIGITVS · SANCTIb) · NICOLAI
Übersetzung:
Finger des heiligen Nikolaus.
Textkritischer Apparat
- DIGITVS] Das Invokationskreuz vor dem Wort wurde über dem Zwischenraum zwischen dem letzten Buchstaben des letzten Wortes und dem ersten Buchstaben des ersten Wortes der Inschrift hochgestellt; DIGITVS fehlt Toussaint 2005; Invokationskreuz fehlt Janke 2006.
- SANCTI] Das T zwischen C und I hochgestellt.
Anmerkungen
- Außer der bei Junghans 2002, S. 135–140, hier: 135 angegebenen Literatur siehe auch LHASA Magdeburg, Rep. A 14 Domkapitel zu Halberstadt Älteres Archiv Nr. 1852 Bd. 1, Nro. 28 fol. 2v (Inventar von 1717); Büsching 1819, S. 256 (erwähnt nur zwei Armreliquiare); Lucanus 1866, S. 42 (unter der alten Inv. Nr. 154); Nebe 1889/1890, S. 90; Zschiesche 1895, S. 158; BKD, S. 273; Hinz 1964 b, S. 70; Kostbarkeiten 2001, S. 58 mit Abb. S. 59 ([Petra] S[evrugian]); Janke 2003, S. 28 mit Abb. S. 29; Toussaint 2005, S. 98–100; Janke 2006, Nr. 8 b S. 180–182 mit Abb. 43.; Der heilige Schatz 2008, Nr. 24 S. 104 mit Abb. (Martina Junghans).
- UBHH Bd. 1, Nr. 572 S. 507 f.; GEH, S. 120.
- UBHH Bd. 1, Nr. 449 S. 400–403.
- UBHH Bd. 1, Nr. 572 S. 507 f.
- Ebd.: „… cenobium quasi filie dilecte matrici ecclesie subscriptas assignet reliquias … si poterit dividi, digitum beati Nycolai, pro cuius restauro honesta satis portio et decens de pignore reliquiarum eiusdem sancti restituetur condita venerabiliter in cristallo.“
- Falsch ist die bis heute in der Literatur transportierte Deutung, mit dem zu fertigenden Schmuck sei das im Dom befindliche Armreliquiar gemeint gewesen. Richtig versteht diese Stelle bisher nur Stefan Tebruck in seiner 2008 fertiggestellten, im Druck befindlichen Habilitationsschrift „Aufbruch und Heimkehr. Jerusalempilger aus dem Raum zwischen Harz und Elbe“, S. 33 mit Anm. 75. Ich danke Herrn Dr. phil. habil. Stefan Tebruck, Jena, für die Erlaubnis der Einsichtnahme in sein noch unveröffentlichtes Manuskript. Gemeint war ein vom Dom zu bezahlender Kristallschmuck, der dem Kloster Sittichenbach samt Reliquienanteil zuzuweisen sei. Das Kloster hat offensichtlich seinen Anteil nicht erhalten, da der Finger noch intakt ist.
- Katalog Braunschweig 1985 Bd. 2, Nr. 1212 f. S. 1212–1214 (M[ichael] Br[andt]); Kötzsche 1991, S. 46–48 mit Abb.; Katalog München 1991, Nr. 1 S. 52 mit Taf. 1 (Dietrich Kötzsche); Katalog Berlin 1992, Nr. 4 S. 44–47 mit Abb. (D[ietrich] K[ötzsche]).
Nachweise
- Junghans 2002, Kat. Nr. 22 S. 135–140.
- Toussaint 2005, S. 98–100 mit Abb. 6–9.
- Janke 2006, Nr. 8 b S. 180–182. Der heilige Schatz 2008, Nr. 24 S. 104 f. mit Abb. (Martina Junghans).
Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 20 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0002001.
Kommentar
Manche Buchstaben weisen schon Elemente der gotischen Majuskel auf. Bogenschwellungen sind jedoch kaum entwickelt. Schaft-, Balken- und Bogenenden zeigen kräftige Sporen. C ist schon durch einen Abschlußstrich geschlossen.
Die Reliquie stammt aus dem Nachlaß des Halberstädter Bischofs Konrad von Krosigk (1201–1208, † 1225), der sie auf dem Vierten Kreuzzug erworben und dem Kloster Sittichenbach hinterlassen hatte.2) Teile des Reliquienschatzes hatte er 1208 aber auch schon dem Halberstädter Domkapitel geschenkt.3) Einen Streit um die in Sittichenbach befindlichen Stücke entschied im Jahr 1225 der päpstliche Legat Konrad von Urach († 1227).4) Nach dem Schied sollte das Domkapitel den Finger des Hl. Nikolaus erhalten.5) Als Ersatz sollte dem Kloster ein Teil der Reliquie „aufbewahrt in Kristall“ erstattet werden. Daraus ist zu schließen, daß für die in Halberstadt verbliebenen Teile eine ähnliche Art der Aufbewahrung vorgesehen war, die demnach 1225 oder in der Zeit darauf in Form des Armreliquiars entstanden ist.6) Teile des Filigranschmucks stimmen mit demjenigen des Halberstädter Tafelreliquiars (Nr. 1) und des Samuhel-Evangeliars aus Quedlinburg überein und stammen wohl aus ein und derselben Werkstatt.7)