Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 75: Halberstadt Dom (2009)
Nr. 10 Dom, Teppichsaal M. 12. Jh.
Beschreibung
Wirkteppich, sog. Abrahams-, Michaels- oder Engelsteppich, Domschatz Inv. Nr. 516, Teilstücke unter den Inv. Nr. 516 a–j; früher als Rücklaken über dem südlichen Chorgestühl verwendet.1) Schlitzwirkerei, Kette: Leinengarn, Schuß: Wolle, Leinen, 5–6 Kettfäden pro Zentimeter, Ripsbindung, Verzahnungen und Vernähungen. Vor grünem bzw. links bläulichem Hintergrund mit blauer Umrandung, die unten von einem weißen Streifen, oben von den Inschriftenleisten eingefaßt wird, sind – links beginnend – vier Szenen aus der alttestamentlichen Geschichte Abrahams dargestellt: die Ankunft der Engel im Hain Mamre, Abrahams Gastmahl, der Weg zur Opferstätte Isaaks und die Opferung Isaaks. Es folgt in einem eigens von Rot, Grün und Blau gerahmten Bildfeld der Erzengel Michael den Drachen tötend. Die erste Szene von links zeigt Abraham in einer Architektur sitzend, mit der Linken ein leeres Spruchband haltend, die Rechte grüßend zu Gott erhoben, der – durch einen Kreuznimbus als der präexistente Christus identifizierbar – aus einer Gloriole Abraham die Rechte entgegenstreckt und in der Linken ein Spruchband mit dem Titulus (A) hält. Rechts davon erscheinen die drei Fremden als geflügelte und nimbierte Engel dargestellt. Einer grüßt Abraham mit erhobener Hand, die beiden anderen halten Gefäße; einer von ihnen ist durch Kasel, Dalmatika sowie darunter hervorlugende Stola und Albe als Priester kenntlich gemacht. Diese Szene wird am rechten Rand durch eine weiße, von dunkelbraunen Streifen eingefaßte, diejenige des oberen Randes vertikal fortsetzende Inschriftenleiste mit den Bildbeischriften (B) von der folgenden geschieden, die das Gastmahl im Hain Mamre zeigt. Links reicht Sara in einer Architektur sitzend dem zum Tisch schreitenden Gemahl Speise und Trank. Die Engel sitzen mit segnenden Gesten zu Tisch, auf dem sich bereits aufgetragene Speisen befinden. Ein ornamental stilisierter Baum, der für den Hain Mamre steht, trennt die folgende Darstellung, den Weg Abrahams und Isaaks zur Opferung, ab. Auf der darüber befindlichen Inschriftenleiste kommentieren Bildbeischriften (C), die weit in die folgende Szene reichen, das Geschehen. Den Opfergang Isaaks führt rechts mit Schwert und Fackel voranschreitend Abraham an; ihm folgen Isaak, das Brandholz tragend, und ein Knecht, der einen Esel führt; dies wird auf der fortgesetzten Inschriftenleiste durch Bildbeischriften (D) erläutert, auf der blauen Rahmung darunter wird Isaak mit einem weiteren Titulus (E) namentlich bezeichnet. Wiederum durch einen ornamental stilisierten Baum, der den Berg Moria vorstellt, abgetrennt zeigt die nächste Szene die Opferung Isaaks. Vor der Opferstätte ganz rechts, auf der das Feuer schon lodert, hält Abraham seinen Sohn mit der Linken im Haar gefaßt – oder er legt ihm dieselbe aufs Haupt –, in der erhobenen Rechten führt er ein Schwert. Aus einer Gloriole am oberen Rand weist der Engel Gottes – hier der Nimbus ohne Kreuz – mit einer Hand auf den Widder vor dem Stamm des Baumes. Die Fortsetzung der Bildbeischrift (D) erläutert auf der fortgeführten Inschriftenleiste, die am oberen Rand und rechts die Darstellung abschließt, die Handlung. Ein durch mehrfache farbliche Rahmung abgesetztes Bildfeld zeigt den Erzengel Michael, der mit Lanze und Schild bewaffnet einen als Attribut vertikal am rechten Bildrand angeordneten Drachen ersticht. Der Teppich ist beschädigt. Es fehlen Teile links und am unteren Rand; etliche Löcher und Flicken. Zu Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts restauriert. Die Mäanderborte am rechten unteren Rand ist teilweise wieder angefügt.2)
Maße: H. 122 cm, L. 1026 cm (mit Borte rechts), Bu. 3,5–6 cm.
Schriftart(en): Romanische Majuskel.
- A
EGUa) SV(M) · AETb) +3)
- B
+ ESTc) HABRAHAMd) QV//INT(VS)e) · S(VN)Tf) QVATVORg) HII FORIS4) INT(VS)h) + AN(TE)i) TAB(ER)NACLOj)5) T(ER)k) / ADORAT P(RO)l) T(R)IB(VS)m) VNV(M)6)N(ON) A(N)I(M)O DVPLEX7) S(ED) (CON)TINVA / PRECE7)SVPRLAXn)
- C
OBSECRO NOBISCV(M)o) PLACEAT TIBI SVMERE CIBV(M) ·ESCAS DV(M) SARE SIC · ANGL(I)p) SIVNTq) HOIESTEr) ·SVMVNT · CONC(I)PIECs)8) (Y)SAACt) [....]RIESu) ·
- D
[...] DVCITv) PVERVMw) CHR(IST)Ix) IVSSV CRVCIANRVMy) +TRVNCCATVRz) CA//PITE SED S(I)Caa) · P(RO)HIBFTbb) OEV/Scc)IPSDdd)AGNVM · P(RO) NATO IVBEO TE P(ER)DERE CARO9)
- E
YSAAC
Übersetzung:
A: Ich bin ewig [oder: Ich bin das Alpha und das Omega (?)]. B: Abraham, als Fünfter, ist herinnen, diese vier sind draußen. Vor der Hütte betet er dreimal statt drei den einen an, im Geiste nicht zweideutig, sondern durch anhaltendes Gebet flehend. C: Ich bitte, möge es dir gefallen, mit uns die Speise zu nehmen, während die Speisen der Sara die Engel so – gleichsam ehrenhalber – entgegennehmen. Du wirst empfangen den Isaac … [und?] gebären. D: [Hier] führt er den Knaben auf Christi Geheiß zur Kreuzigung. Er wird enthauptet, aber so hindert es Gott selbst: Das Lamm, befehle ich dir, anstatt des geliebten Sohnes zu opfern.
Versmaß: Dreimal drei leoninische Hexameter ein- und zweisilbig leoninisch gereimt, teilweise prosodisch gestört (B, C, D).
Textkritischer Apparat
- EGU] Sic! Für EGO. Es ist ein O gemeint, wie sich aus der Buchstabenform erkennen läßt. EGO Lessing/Creutz, Kurth, Preiß 2002, Preiß 2006.
- AET] Unklar bleibt, in welcher Bedeutung. Neben EGO SVM A ET Ω ist auch EGO SVM AET(ERNVS) + möglich; vgl. Lessing/Creutz, Kurth, Flemming/Lehmann/Schubert; Schwab, Berschin folgend, weist die zweite Auflösung zurück und weist darauf hin, daß die Buchstaben A und Ω auch als „Trinitätsformel verstanden“ wurden, „da beide Buchstaben je drei Striche haben“.
- EST] Sämtliche Inschriften in Scriptura continua. Von dem Invokationskreuz vor dem ersten Wort ist nur noch der rechte Kreuzbalken eines Tatzenkreuzes erhalten; SST Kurth aufgelöst als: S est hic Abraham.
- HABRAHAM] H(ic) ABRAHAM Lessing/Creutz.
- QVINTVS] Kürzungszeichen fehlt, will man nicht den folgenden, als Worttrenner gedeuteten Punkt als Kürzungszeichen betrachten. Aufgelöst als Qui intus Kurth.
- SVNT] Kürzungszeichen fehlt; (si)T Lessing/Creutz. Aufgelöst als est Kurth.
- QVATVOR] Der Bogen des Bogen- R nicht bis zum rechten Bogenabschnitt des vorausgehenden O geführt. Q(ue) VI(de)T V(iros) Q(ui) Lessing/Creutz, QVITVQ Kurth aufgelöst als qua videt.
- INTVS] Kürzungszeichen fehlt; (s)INT Lessing/Creutz; aufgelöst zusammen mit dem voranstehenden Wort als fori sint Kurth.
- ANTE] Kürzungszeichen fehlt.
- TABERNACLO] Sic! Für TABERNACL(V)M. Synkope prosodischer Natur; vgl. Berschin, (t)ABERNAC(u)L(i) Lessing/Creutz, TABNACLO Kurth aufgelöst als tabernaculo. Vermutlich handelt es sich bei dem letzten Buchstaben um ein nicht gelungenes seitenverkehrtes unziales M, das aus dem waggerechten, an das L angelehnten Strich und dem wie ein O wirkenden geschlossenen Teil des Buchstabens besteht, jedoch wesentlich kleiner ist als die übrigen O im Text.
- TER] Durch einen über dem Balken des T liegenden Kürzungsstrich gekürzt. OT(?ostium) T Lessing/Creutz, fehlt Kurth.
- PRO] Kürzungszeichen fehlt. P BKD, Kurth aufgelöst als pro.
- TRIBVS] Durch ein über das T gesetztes I sowie eine us-Kürzung gekürzt. + B(VS) BKD.
- SVPRLAX] Sic! Wohl für SVPPLAEX. Das E fehlt jedoch. Die Schreibweise mit AE als Nexus litterarum ist für die Zeit ungewöhnlich. Ebenso ist bei diesem Befund von einem Fehler oder einer hyperkorrekten Schreibweise für SVPPLEX auszugehen. Lessing/Creutz und Kurth lösen auf zu superlaxat.
- NOBISCVM] Das C – vermutlich versehentlich – durch Abschlußstrich vollständig geschlossen; NOBISQV(M) Lessing/Creutz aufgelöst zu NOBIS CV (cum), bei Kurth aufgelöst zu nobiscum.
- ANGLI] Sic! Aus prosodischen Gründen synkopiert; vgl. Berschin. ANGLVS (angelus) Lessing/Creutz, W GL Kurth aufgelöst zu angelus [?]. Vor dem geschwungenen linken Schrägschaft des A im oberen Drittel des Schriftbandes ein Punkt.
- SIVNT] Sic! Wohl für SICVT. Lessing/Creutz wahlweise (in te sunt homines?).
- HOIESTE] Sic! Wohl für HONESTE, so daß der Schaft nach dem O als der linke Schaft eines N zu verstehen ist und mit einem hier fehlenden Schrägschaft zu einem Nexus litterarum von NE zu ergänzen ist. Berschin HONESTE, so Preiß 2002, Preiß 2006; Lessing/Creutz lösen auf zu (homines te), Kurth löst auf zu homines te.
- CONCIPIEC] Sic! Für CONCIPIES. Kürzungszeichen fehlt. Fraglich ist, ob das C am Ende des Wortes hier als Majuskelform des griechischen Sigma aufgefaßt werden kann. Lessing/Creutz und Kurth lösen auf zu concipies.
- YSAAC] Kürzungszeichen fehlt.
- [....RIES] Zu ergänzen vielleicht zu NEC NON PARIES, da der zur Verfügung stehende Platz eher für fünf bis sechs Buchstaben ausreicht. PARIES Lessing/Creutz, Berschin, Preiß 2002, Preiß 2006. Nach dem Worttrenner folgen drei senkrecht übereinanderstehende Punkte, die vielleicht zum Bestand des folgenden, heute zerstörten Buchstabens gehören.
- DVCIT] Vielleicht ist vorher das Wort HIC zu ergänzen, das in vielen Tituli vorkommt. PATER ergänzen zuvor Lessing/Creutz, HIC Berschin, Preiß 2002, Preiß 2006.
- PVERVM] Das E beschädigt.
- CHRISTI] Befund: XPI mit Kürzungszeichen durch den Schaft des P.
- CRVCIANRVM] Sic! Für CRVCIANDVM. Das R wird von Kurth als Wirkfehler für D bezeichnet. Vielleicht versuchte der Wirker, möglicherweise Illiterat, dem Binnenreim zu PVERVM – wie auch im folgenden Vers – in dieser Form gerecht zu werden. CRVCIANDVM Lessing/Creutz, Berschin, Preiß 2002, Preiß 2006.
- TRVNCCATVR] Sic! Für TRVNCETVR, wie in einem freundlichen Hinweis Dr. Harald Drös, Heidelberg, und Dr. Rüdiger Fuchs, Mainz, vorschlagen, oder capitur nach Berschin?
- SIC] Kürzungszeichen fehlt. SC Lessing/Creutz und Kurth lösen auf zu sanctus.
- PROHIBFT] Sic! Für PROHIBET. Statt E ein F ausgeführt. Als Wirkfehler bezeichnet, daher PROHIBET Lessing/ Creutz, Kurth, Berschin, Preiß 2002.
- OEVS] Sic! Für DEVS. Das S am Wortende spiegelverkehrt. Statt D ein O ausgeführt. Als Wirkfehler O statt D bezeichnet bei Kurth. DEVS Lessing/Creutz, Kurth, Berschin, Preiß 2002, Preiß 2006.
- IPSD] Sic! Für IPSE. Das S ebenso wie hier wohl auch das unziale E spiegelverkehrt, letzteres ohne Mittelbalken gewirkt. Lessing/Creutz löst auf zu IPS(e) D(ixit), Kurth zu ipse d[icit?], PS BKD, das S seitenverkehrt; IPSE lösen Lessing/Creutz und Berschin, Preiß 2002, Preiß 2006 auf. Aber der Wirker könnte auch der Versuchung erlegen sein, das bei SED vermutete Vorbild des Binnenreimes nachzuformen.
Anmerkungen
- Erste Hinweise auf Teppiche finden sich in einem Inventar des Cyters des Halberstädter Doms aus dem Jahre 1465; LHASA Magdeburg, Rep. Cop. Nr. 671 A 1, fol. 51v; Diestelkamp 1929 b, S. 87; vgl. auch Erler 1989, S. 8 f. Genannt werden ein „tapetium cum figura Danielis“ und „aliud tapetium“. Ob es sich bei dem zweiten Teppich um einen der noch existierenden handelte, ist ungewiß und wenig wahrscheinlich. Der erste ist, nach dem Bildthema zu urteilen, wohl verloren. Die Wandteppiche erwähnt danach zuerst Uffenbach 1753, S. 147 als im Chor „herum hangenden alte Tapeten“. Büsching 1819, S. 235 f. benennt als erster Inschriften am Abrahamsteppich: „über den Rücklehnen der Sitze für die Domherren finden sich wiederum beiderseits Teppiche. … Auf der rechten [der südlichen, Anm. d. Bearb.] Seite sind wunderliche, zum Theil mir ganz unverständliche Darstellungen, doch steht rundum erklärende Schrift.“ Mit den Teppichen auf dem Hochaltar, die [Augustin] 1823 b, S. 333 für die Einführung Bischof Heinrich Julius’ in den Halberstädter Dom im Jahr 1578 erwähnt und die auch Plato 1791, S. 326 auf dem Hauptaltar bemerkte, sind wohl eher Altardecken bzw. Antependien gemeint gewesen; Niemann 1824, S. 32; Lucanus 1837, S. 7 sieht darin „ein[en] heiligen Georg, das Opfer Isaak’s, Christus mit den Jüngern“; Lucanus 1845, S. 47 spezifiziert eine „Anbetung der Engel; Christus zu Emmaus; das nachgebildete ‚Opfer Abrahams’ und ein heiliger Georg“; Kugler 1853, S. 133; Elis 1857, S. 88 schreibt: „Auf den gewirkten Tapeten, die nun folgen, sehen wir die Opferung Isaaks und den Engel Michael.“; Lucanus 1866, S. 40; Bock 1859–1871 Bd. 1, S. 182; Zschiesche 1895, S. 164 erwähnt zwar schon die „berühmten Wandtapeten“ im Chor, der Abrahamsteppich wird jedoch als einziger nicht beschrieben; Hermes 1896, S. 64, 107 f.; BKD, S. 289; Kurth 1926, S. 38–45, 205 f. und Bd. II mit Taf. 3–6; Doering 1927, S. 75 f. weist als erster darauf hin, daß die Teppiche ehemals im Chor hingen, sie jetzt aber „in Gewahrsam gebracht“ worden seien; Giesau 1929, S. 40 f. berichtet wieder, daß sich die Teppiche noch im Chor befänden; Meyer 1936, S. 21 bemerkt zwar, daß der Karlsteppich im Neuen Kapitelsaal aufbewahrt wird, erwähnt die übrigen Teppiche jedoch nicht; Meyer 1942/43, S. 67 geht davon aus, daß der Teppich „seinen alten würdigen Platz im Chorgestühl … wieder einnehmen soll“; um oder nach 1940 wurden sie vorsorglich eingelagert; vgl. Becker/Richter 2005, S. 43. Seit 1959 sind die Teppiche wieder ausgestellt; vgl. Wilckens 1967, S. 279, die annimmt, daß der Teppich erst 1837 zum ersten Mal erwähnt wird. Zum Abrahamsteppich siehe auch Hinz 1964, S. 156–160 mit Abb.; Nickel 1976, S. 43–48; Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 160, 228–230 mit Abb. 126 und 129–131; Findeisen 1996, S. 72 f. mit Abb. S. 76 f.; Kostbarkeiten 2001, S. 40 f. mit Abb. S. 113 ([Anja] P[reiß]); Preiß 2002, S. 71–96; Janke 2003, S. 76 f. mit Abb.; Preiß 2006, S. 251–264; Der heilige Schatz 2008, Nr. 88 S. 304 f. mit Abb. (Anja Preiß); Fuhrmann 2009.
- Zu Material, Technik, Erhaltung und Restaurierungen vgl. Hermes 1896, S. 108, der annimmt, der Domküster Haber habe in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Teppiche ausgebessert; Kurth 1926, S. 205; Meyer 1942/43, S. 65–67; Nickel 1976, S. 43 f.; Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 228; Wilckens 1991, S. 262. Wilckens 1967, S. 282 f. schließt aufgrund genauerer Untersuchung, daß die linke untere Ecke wegen Beschädigungen, die möglicherweise dem Dombrand 1179 zuzuordnen seien, schon kurz nach seiner Entstehung in diesem Bereich angeflickt worden und dabei die Inschrift auf dem Spruchband in Händen Abrahams verlorengegangen sei; zu weiteren Restaurierungen in der Nachkriegszeit siehe Happach 1983, S. 382 und 387 f. und Preiß 2002, S. 74 f.
- Apc 1,8, 21,6, 22,13. Die Deutung bei Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 229 fände eine Annäherung Ex 3,14 und 15: „… ego sum qui sum … Deus Abraham Deus Isaac … hoc nomen mihi est in aeternum …“; vgl. auch bei Cassiodor, Expositio psalmorum, Ps. LXXX, Sp. 224 f.: „Primum quod deus noster immutabilis atque aeternus est, qui de se dixit: ego sum qui sum“. Vgl. oben Anm. b.
- Vgl. Ambrosius Mediolanensis, De Abraham, 1,5,37 (S. 530, Z. 21 f.); dort heißt es – allerdings nicht in gebundener Sprache –: „f o r i s maritus invitat, i n t u s Sarra adornat convivium“.
- Vgl. Ambrosius Mediolanensis, De Abraham, 1,5,37 (S. 530, Z. 19–21), wo es – ebenfalls nicht in gebundener Sprache – heißt: „ante tabernaculum vir hospitum explorat adventus, intra tabernaculum Sarra tuetur feminae verecundiam et opera muliebra tuto exercet pudore“.
- Vgl. die abweichende Formulierung bei Ambrosius Mediolanensis, De Abraham, 1,5,33 (S. 527, Z. 12 f.): „deus illi adparuit et tres aspexit.“; ebd. 1,5,36 (S. 530, Z. 8 f.): „tres vidit et unum dominum adpellavit …“; ders., De excessu fratris Satyri, 2,96,2–5: „… trinitaem in typo vidit … tres suscipiens unum adorans … unum tamen dominum nominabat …“.
- Die Junkturen duplex animo und continua prece sind zu geläufig, als daß eine Vorlage wahrscheinlich gemacht werden kann.
- Vgl. Idc 13,3, 13,5, 13,7, Lc 1,31.
- Vgl. Ambrosius Mediolanensis (dubium), Tituli Ambrosiani, Nr. 12 Sp. 588: „Patris ei est pietas, caro non parcere nato.“ Vgl. auch Merkle 1896, S. 218 (12).
- Berschin 1980, S. 273–277.
- Ambrosius Mediolanensis, De Abraham, 1–2,499–636; vgl. auch die Übersetzung ins Englische bei Tomkinson 2000 und Biermann 1995, S. 52–81, 122–133.
- Es ist vermutlich diese Betonung der symbolischen Bedeutung, die Wilckens 1967, S. 282 die Komposition als „bezeichnend halberstädtisch“ erwähnen läßt mit der Ausführung: „Es wird nicht ausführlich geschildert, sondern knapp verbildlicht und in dieser Verbildlichung nicht ‚aktiv’ gehandelt.“
- Gn 18,1–16, 22,5–13. Abbreviatur und Symbolik meint Wilckens 1967, S. 283 wohl mit ihrer Erklärung: „Mit der bildmäßigen Trennung von Begrüßung und Bewirtung wird noch nachdrücklich hervorgehoben, daß jede Szene ihre besondere, über die bloße Verbildlichung hinausgehende Bedeutung besitzt.“ Zu den Formen der Abbreviatur vgl. Schwab 1981, S. 445–449. Der Hain Mamre wird in der Vulgata als „convallis“ = Tal bezeichnet. Bei Ambrosius, De Abraham wird er „quercus“ = Eiche genannt; Ambrosius Mediolanensis, De Abraham, 1,5,8 (S. 527, Z. 8); vgl. zu weiteren Bedeutungen Erffa 1995 Bd. 2, S. 96.
- Siehe auch zum Folgenden Schwab 1980, S. 240, 242 ff., 255–260; Schwab 1981, S. 440–445, 457 f.; vgl. auch Erffa 1995 Bd. 2, S. 92–102.
- Die von Berschin 1980, S. 275 zuerst erkannte Zahlensymbolik ist jedoch bis heute nicht gedeutet worden. Vgl. zu den die Trinität betreffenden Bibelstellen auch Meyer/Suntrup 1987, Sp. 17, 234 ff.
- Schott, S. 418 f.; vgl. auch Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 229; Preiß 2002, S. 78 f.
- Vgl. dazu Schwab 1981, S. 445–457; vgl. auch Erffa 1995 Bd. 2, S. 145–188; Schubert 1974, Nr. 5, S. 20–22.
- Wilckens 1967, S. 283.
- Schwab 1980, S. 256; Schwab 1981, S. 442 f.; vgl. auch Erffa 1995 Bd. 2, S. 96; Schubert 1974, Nr. 4 und 4 a, S. 18–20.
- Vgl. Erffa 1995 Bd. 2, S. 96 f.; Schubert 1974, S. 19 f.
- Vgl. Ambrosius Mediolanensis, De Abraham, 1,5,33 (S. 527, Z. 12 f.), ebd. 35 (S. 529, Z. 10–12).
- Wilckens 1967, S. 283–285, vgl. auch unten bei Anm. 26.
- Zur Funktion der Pyxis vgl. Braun 1932, S. 469; vgl. zum Gewand auch Kostbarkeiten 2001, S. 40 ([Barbara] P[regla]).
- Vgl. Gn 18,8 und Erffa 1995 Bd. 2, S. 96.
- Vgl. die Bemerkung von Wilckens 1967, S. 281: „Jede Einzelheit – Farben, Flächen, Linien, Haltung, Gebärden – ist dienender Bedeutungsträger.“
- Wie Anm. 22.
- Wilckens 1967, S. 285.
- GEH, S. 88; MGH SS VI, S. 637 (Annalista Saxo); Leopold/Schubert 1984, S. 17 mit Anm. 45, 40 ff. und die beigegebenen Grundrisse Nr. 42, 43, 44 sowie der isometrische Rekonstruktionsversuch Nr. 45; vgl. auch Preiß 2006, S. 261 f.
- Wilckens 1967, S. 285.
- Vgl. den Vorschlag von Preiß 2002, S. 92 f. und Preiß 2006, S. 263 f.; danach hätten „die Bilder der beiden Erzengel den Hauptaltar flankiert“.
- Schott, S. 406 f.; Rituale Romanum, S. 117 f. Vgl. Elbern 1965, S. 60–63; RDK Bd. VI, Sp. 162 f. Art. Eucharistie (Helmtrud Gescher/Klaus Lankheit); Suntrup 1980, S. 283–289, 306 f., 309 f., 312; Suntrup 1984, S. 517 f., 523; Erffa 1995 Bd. 2, S. 95 f., 97, 151 f., 172, 177, 185; Schott, S. 406 f. Bislang unbeachtet geblieben ist, sowohl nach tatsächlicher als auch symbolischer Bedeutung ein vor Saras Füßen aufgestellter Leuchterfuß samt darauf befindlicher, nicht entzündeter Kerze; vgl. dazu die Leuchterfüße bei Falke/Meyer 1935, S. 97 Nr. 21 mit Abb. 22.
- Kurth 1926, S. 40–45; Wilckens 1967, S. 288 f.; Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 288 f.; Kostbarkeiten 2001, S. 43 ([Barbara] P[regla]).
- Halberstadt, Domschatz, Inv. Nr. 471 (= Schmidt 1881, S. 7 Nr. 132); Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 251 mit Abb. 141. Zu Marquard, der zwischen 1133 und 1144 als Diakon bzw. Presbyter des Halberstädter Doms belegt ist, siehe UBHH Bd. 1, Nr. 169 S. 139 f., Nr. 184 S. 153, Nr. 193 S. 164 f., Nr. 198 S. 167 f., Nr. 205 S. 173 f.; UB S. Bonifacii et S. Pauli, Nr. 1 S. 1 f. (St. Bonifatius), Nr. 3 S. 295 f. (St. Pauli); UB St. Johann, Nr. 2 S. 1–3, Nr. 6, 7, S. 7–9, Nr. 10 S. 11 f.
- Halberstadt, Domschatz, Inv. Nr. 471 (= Schmidt 1881, S. 7 Nr. 132), fol. 7v und 8v; Flemming/Lehmann/Schubert 1990, Abb. 141. Vgl. allgemein zum Einfluß von Material und Herstellungstechnik auf die Schriftgestaltung Bayer 1999, bes. S. 102–114; zum Verhältnis von Buchschrift zur epigraphischen Schrift in romanischer Zeit Koch 1999.
- Schubert 1984, S. 203 f. mit Abb. 76/77; Schubert 1994, S. 28 f. mit Abb.; Krause/Schubert 1968, S. 46–57 bes. mit Abb. 10, 21 f., 37; Mende 1994, S. 77–83 mit Abb. 100–121 bes. Abb. 105, 114 und 121. Daß Erzbischof Friedrich von Magdeburg († 1152) – wie in der Forschung häufig behauptet – zum Geschlecht der Wettiner gehörte, läßt sich nicht nachweisen. In den Genealogien des Geschlechts taucht er nicht auf; vgl. Europäische Stammtafeln Bd. I, 1, Taf. 150 f.
Nachweise
- Lessing/Creutz 1903, S. 2 f. mit Taf. 22–25 (fehlt E).
- Kurth 1926, S. 205 f.
- BKD, S. 289 (B und C nur teilweise).
- Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 229 (A).
- Schwab 1980, S. 256 (A, B nach Berschin).
- Berschin 1980, S. 273–275 mit Abb. S. 276 f.
- Wilckens 1967, S. 284 (A, B und C teilweise) mit Abb.
- Preiß 2002, S. 76 mit Abb. -Preiß 2006, S. 254.
- Der heilige Schatz 2008, Nr. 88 S. 304 f. mit Abb. (Anja Preiß) (A).
- Teilabb. Hermes 1896, S. 109.
Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 10 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0001005.
Kommentar
Die Schrift zeigt starke Verbreiterungen bzw. extrabreite Sporen an Schaft-, Balken- und Bogenenden. A kommt entweder in der spitzen Form vor und weist eine starke Linksschrägenverstärkung auf oder im Nexus litterarum als unziales A. Dem unzialen A fehlt zweimal der Mittelbalken, ansonsten verläuft er meist waagerecht, in drei Fällen aber nach unten spitz gebrochen. Bogen- und Balkenenden des unzialen E enden auf gleicher Höhe, wie es sich auch am kapitalen E beobachten läßt. Das untere Schaftende des F als verunglücktem E im Wort PROHIBFT ist stark verbreitert. Kapitales M kommt in zwei Varianten vor. Der Mittelteil kann verkürzt sein oder fast bis zur Grundlinie gezogen werden. Die linke Haste des kapitalen M ist schwächer als die rechte, die linke Schräghaste des Mittelteils verstärkt. Oval bis vollrund ist das Q. In den mittleren Bogenabschnitten finden sich Bogenschwellungen. Die Cauda ist entweder geschwungen oder leicht nach oben durchgebogen und setzt am unteren rechten Bogenabschnitt an. Ein Sporn nach links zeigt sich auch am linken oberen Schaftende des R. Sein Bogen ist verhältnismäßig groß und wird bis zum Schaft zurückgeführt. Die Cauda setzt am unteren Bogenabschnitt rechts an und ist geschwungen und teilweise an ihrem Ende leicht nach oben umgebogen. X besteht aus zwei geschwungenen Schräghasten. Mal ist die rechte, mal die linke stärker ausgeführt. Kürzungen werden sowohl mittels Schaftdurchstreichungen als auch durch einen rechts am Schaft ansetzenden Balken durchgeführt. Auch ein über einem Buchstaben hochgestelltes I dient zur Kürzung. Kürzungstriche über dem Schriftband enden stumpf und werden von serifenartigen Sporen begrenzt. Ebenfalls sind virgelartige Kürzungen zu beobachten. Durch die entsprechenden Kürzungen der Buchschrift für per und pro wird die Unterlänge des P entweder waagerecht durchstrichen, bzw. links davon nach unten umgebogen und endet leicht verbreitert auf der Grundlinie. Durch Nexus litterarum werden NT und TE, OR, mit unzialem A auch AN und AR verbunden. Als symbolische Invocatio dient das Tatzenkreuz, als Worttrenner werden Punkte benutzt.
Die Tituli B, C und D sind erst durch die Auflösung und die Konjekturen Walter Berschins, der Metrik und Reimschema der Texte erkannte, in einen sinnvollen Bezug zu den Darstellungen gebracht worden, der früher nur bruchstückhaft aufschien.10) Wenn sich auch nur wenige textliche Entsprechungen nachweisen lassen, so könnte doch das Werk des Ambrosius, De Abraham, Vorbild für die Verse gewesen sein.11) Der Teppich ist seiner Bedeutung nach trinitarisch, christologisch und eucharistisch.12) Er zeigt in Text und Bild die typologischen Entsprechungen und symbolischen Grundlagen von Trinität und Eucharistie in einer Abbreviatur von zweimal zwei Szenen – Begrüßung und Gastmahl im Hain Mamre (Philoxenie), Opfergang und Opfer Abrahams.13) Die bildliche Umsetzung beruht nach den Forschungen von Ute Schwab auf augustinischer Bibelauslegung, läßt aber auch Rückschlüsse auf rabbinisches Gedankengut zu.14) Abraham sieht in der ersten Bildsequenz weder drei gleichgestaltige Engel, wie sie der trinitarische Typus als Sinnbild der Trinität im zweiten Bild der Darstellung wiedergibt, noch nach dem scheinbar hieratischen Typus einen unter den drei Engeln Hervorgehobenen als den Herrn, sondern er nimmt mit seinen körperlichen Augen die drei Engel wahr, erkennt aber gleichzeitig mit seinem geistigen Auge Gott den Herrn. Die Bildbeischrift B erläutert die trinitarische Symbolik. Der erste Vers nennt die im Bild gezeigten insgesamt fünf Personen. Abraham sitzt als fünfter innen in seiner Hütte, vier, drei Engel und Gott selbst in der Gestalt Christi darüber schwebend, befinden sich davor. Die beiden folgenden Verse fassen wohl die im Bild ausgelassene Szene der Anbetung durch Proskynese in Worte, daß Abraham vor der Hütte dreimal statt der drei Engel, indem er sich ihnen zu Füßen wirft, den einen Gott anbetet.15) Die Verse zeigen, daß die Darstellung der Engel im ersten Bild nicht dem hieratischen Bildtypus entspricht, sondern trinitarisch zu deuten ist.
Die folgenden drei Verse erklären die eucharistische Bedeutung von Abrahams Gastmahl. Die drei jetzt nach trinitarischem Bildtypus wiedergegebenen Engel haben auf dem wie ein Altar gestalteten Tisch Speisen und Getränk vor sich, während Abraham aus den Händen Saras wohl Milch und einen Bissen des zubereiteten Kälbchens, die Wein und Brot versinnbildlichen, entgegennimmt. Er kniet und tritt dabei auf Kopf und Bein des Kälbchens, das als „Prototypus des christlichen Meßopfers“ das Corpus Christi symbolisiert. In den beiden ersten Versen der Inschrift C bittet Abraham im Singular Gott, mit ihnen gemeinsam Saras Speisen zu nehmen. Die Worte des ersten Verses „placeat tibi sumere cibum“ verweisen auf das Gebet „placeat tibi sancta Trinitas“ des „Ordo missae“, symbolisieren so das Meßopfer und vermitteln damit eucharistische wie trinitarische Bedeutung.16) Die letzten Worte des dritten Verses geben wohl in biblischen Worten die christologisch zu deutende Prophezeiung der Geburt Isaaks durch Gott an Sara wieder, symbolisiert in der Geste des Grußes durch den ganz links sitzenden Engel, die auf den englischen Gruß der Verkündigung an Maria verweist.
Im rechten Teil des Teppichs wird wiederum in Abbreviatur zweier Szenen Abrahams Opfer, das typologisch der Kreuzigung Christi entspricht, dargestellt.17) Die beiden Szenen sind christologisch und eucharistisch zu verstehen. Die erste zeigt den Aufbruch zur Opferstätte auf dem Berg Moria, der Stelle, die nach christlicher Überlieferung entweder den Tempelberg in Jerusalem oder aber die Schädelstatte, den Berg Golgatha, den Ort der Kreuzigung bezeichnet. Im Bild verweist der durch den Knecht am Zügel gehaltene Esel auf das Eselfüllen des Einzugs Jesu in Jerusalem und die vier Stämme des Opferholzes, die Isaac – hier jedoch nicht in Kreuzesform – trägt, auf Jesu Kreuztragung. Das freiwillige Erlösungsopfer Christi ist hier durch den ungefesselt knienden Isaak versinnbildlicht, opferbereit während sein Vater schon sein Schwert hebt. Auch der hier nicht im Gesträuch verfangene ungebundene Widder symbolisiert das Kreuzesopfer Christi, das auch im letzten Vers der Bildbeischrift D thematisiert und im ersten Vers durch die Verwendung des Wortes CRUCIANDVM besonders betont wird. Ikonographische Parallelen mit Kunstwerken der Spätantike weisen „auf ein gemeinsames vorchristlich-hellenistisches Vorbild“18) hin. Motivische Übereinstimmungen gibt es für diese Szenen seit dem 9. Jahrhundert auch in Westeuropa.
Jüdischer Tradition könnte die Darstellung Abrahams entstammen, der die Ankömmlinge sitzend begrüßt und den Schwab besonders herausstreicht, da die Begegnung im Hain Mamre entsprechend rabbinischer Überlieferung nur drei Tage nach der Beschneidung Abrahams stattfand und dieser Schmerzen hatte und deshalb bei der Ankunft sitzen blieb.19) Auch die drei Engel der ersten Bildsequenz könnten in altjüdischer Tradition wurzeln. Danach entsprechen sie unterschieden „nach ihrer Bedeutung und Funktion … Dienstengeln, die zu Abraham kamen“.20) Jedoch finden sich auch im Werk des Ambrosius von Mailand Textstellen, die als Vorbild gedient haben könnten. Nach der Bibelstelle Gn 18,1 heißt es dort: „ante ostium sedebat Abraham“; und auch wenn es zuvor hieß: „deus illi adparuit, et tres aspexit“, so steht an anderer Stelle zur symbolischen Bedeutung: „Abraham dum peregrinantibus defert hospitium, deum a t q u e angelos eius hospitio suscepit“.21) In der Mitte steht Michael, die Verkörperung der Allmacht Gottes (potestas Dei), die sich in den Abrahamsszenen manifestiert, und der auch am Ende dieses Teppichs dargestellt ist, erhöht und mit einem Gegenstand – vielleicht einer Schriftrolle – in der Linken, zu seiner Rechten Gabriel (fortitudo Dei), dem nach einer Hypothese von Leonie von Wilckens ein zweiter Teppich gewidmet war.22) Durch die grüßende Geste ist er als Engel der Verkündigung bezeichnet. Zur Linken Michaels schließlich steht Raphael (medicina Dei), seiner Kleidung nach, der Pyxis, in der die konsekrierten Hostien zur Krankenkommunion aufbewahrt wurden, in seiner Linken und der darüber segnenden Rechten als Priester charakterisiert.23)
Eine unterscheidende Rolle scheinen die Farben der Kleidung zu spielen. Sehen wir Abraham in der ersten Szene bei der Begrüßung der Engel, wie diese selbst noch in differenzierter Kleidung – in weißem Gewand und rotem Mantel –, so ist der Farbton seines Untergewandes in der zweiten Szene, als er die Engel demütig bedient,24) einem Gelbbraun gewichen. Eine ähnliche Farbe hat auch das Obergewand der Sara. Diese Farbe der Demut zeigt auch die Kleidung des den Esel haltenden Dieners und Isaaks. Der Farbwechsel am Körper des Esels im Unterschied zu dem ihn führenden Knecht bestätigt die symbolische Bedeutung der Farbwahl.25) Ebenso ist im Unterschied zum Christlogos der Begrüßungsszene der Engel Gottes, der Abrahams Hieb wehrt und auf den Widder zeigt, in diese Farbe gekleidet. Erst der im Begriff das Opfer zu vollziehende Abraham ist wieder in Weiß und Rot gekleidet.
Leonie von Wilckens postulierte in einer Arbeit über den Abrahams- bzw. Michaelsteppich einen weiteren Engelsteppich.26) Aus einer Kopie von der Hand des Domküsters Haber vom Beginn des 18. Jahrhunderts, die ein mittelalterliches Teppichfragment mit dem Traum Jakobs von der Himmelsleiter – als typologischer Entsprechung der Himmelfahrt Christi bzw. des Himmlischen Jerusalem – wiedergibt (vgl. Nr. 11 †), schloß sie auf ein Pendant zum Abrahams- bzw. Michaelsteppich. In diesem sog. Gabrielsteppich sei in Ergänzung zum Michaelsteppich, der die Allmacht Gottes (potestas Dei) versinnbildlicht, die Stärke Gottes (fortitudo Dei), die der Erzengel Gabriel präsentiert, durch die Abfolge von drei Bildern visualisiert gewesen: die Stärke des Löwen Juda, die Kraft des [mit Jakob ringenden] Engels, „und in der direkten Verheißung des Himmels, die sich ihm im Traum auftut“. An die erhaltene Szene von Jakobs Traum habe sich analog zum Abrahams- bzw. Michaelsteppich als Abschluß eine Darstellung des Erzengels Gabriel angeschlossen. Die beiden Teppiche hätten ein Ensemble gebildet, das der Gabrielsteppich beschloß.
Diese Frage berührt dann auch diejenige des Anbringungsortes des oder der Teppiche im ottonischen Dom. Nach den Überlegungen Leonie von Wilckens’ kommt für die Aufhängung der beiden Teppiche der Westbau des ottonischen bzw. romanischen Domes in Frage.27) Das liegt sowohl nach dessen Breitenmaß von ca. 11 Metern, die in etwa demjenigen des Abrahams- bzw. Michaelsteppich entspricht, als auch nach seiner liturgischen Bestimmung nahe. Die obere Kapelle des Westbaus, deren Abmessungen wir jedoch nicht kennen, war am Ende des 10. Jahrhunderts nämlich als supremum altare oder supremum oratorium zu Ehren der „heiligen Erzengel [Michael, Gabriel und Raphael] und aller Himmelsbewohner sowie darüber hinaus des heiligen Bischofs Martin und des heiligen Bekenners Gallus“ geweiht worden.28) Daß die Teppiche keinen „vorbestimmten Platz gehabt … und in den Seitenschiffen untergebracht“ waren,29) ist unwahrscheinlich. Im (östlichen) Chor des ottonischen Domes, wo sie im gotischen Dom vielleicht seit der Zeit seiner Fertigstellung 1401 und gewiß seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hingen, hätten Teppiche dieser Größe nach 992 keinen Platz mehr gehabt, will man nicht annehmen, daß sie im Sanktuarium gehangen haben.30) Daß der Abrahamsteppich wohl ehestens für einen Altarraum gedacht war und einen solchen geschmückt hatte, geht aus seiner eucharistischen Bedeutung hervor. Als Symbole des Meßopfers gelten das im Abrahamsteppich dargestellte Kälbchen, das geschlachtet wird, der einem Altar gleichende Tisch, an dem das Gastmahl stattfindet, Brot und Kelch darauf sowie das Abrahamsopfer selbst, das im Gebet „supra quae“ seit dem vierten Jahrhundert in die Meßliturgie und auch in die christliche „Commendatio animae“, das Sterbegebet, Eingang fand.31)
Schwierigkeiten bereitet eine Datierung des Wirkteppichs, da in gleicher oder verwandter Technik keine Vergleichsbeispiele erhalten sind. Kunsthistorisch wird seine Entstehungszeit um 1150 angenommen. Diese Einschätzung beruht auf ikonographischen bzw. stilistischen Ähnlichkeiten mit Kunstwerken der Buchmalerei und der Gießkunst Niedersachsens, durch die auch eine ungefähre Lokalisierung des Teppichs in oder um Halberstadt gestützt wird.32) So ist das vor der Mitte des 12. Jahrhunderts in Halberstadt oder seinem geographischen Umkreis entstandene Lektionar des 1148 verstorbenen Halberstädter Kanonikers Marquard stilistisch vergleichbar.33) Ein Schriftvergleich mit zwei als Auszeichnungsschrift in Majuskeln geschriebenen Stellen der Handschrift bestätigt diese Einschätzung. Sie bieten eine Darstellung der Maiestas Domini mit der im Buch des Lebens verzeichneten Bibelstelle „EGO SV(M) A Ω“ (Sic!) und das Widmungsgedicht.34) Wenn auch die Buchstaben des Teppichs aufgrund von Material und Technik in Flächigkeit und Schwellung der Buchstaben ein wenig starrer erscheinen, so sind die formalen Übereinstimmungen der Buchstaben unziales E, eingerolltes G, unziales H, kapitales M, T und besonders A überzeugend. A kommt wie auf dem Teppich in drei Formen vor: in der unzialen Form, meistens ohne Mittelbalken, in der kapitalen mit verstärktem rechten Schrägbalken und sowohl mit als auch ohne gebrochenen Balken. Auch das kapitale M mit der auffällig verstärkten bis zur Grundlinie durchgezogenen linken Schräghaste findet sich dort. Ebenso weisen unziales H und das kapitale T Ähnlichkeiten auf. Zu diesem Befund stimmen auch die beiden aus Magdeburg stammenden Bronzedenkmäler, die 1152 oder danach entstandene Grabplatte des Magdeburger Erzbischofs Friedrich und die Nowgoroder Bronzetür, die wohl um 1154–1156 gegossen wurde.35) Beide wirken jedoch durch Material und Technik auf ihre Schrift bezogen archaischer als der Abrahamsteppich. Ist die Schrift auch insgesamt linearer, so lassen sich doch die Schriftformen, besonders an der Bronzetür vergleichen. Übereinstimmungen bieten vor allem das unziale A, das zum Teil ebenfalls ohne Mittelbalken ausgeführt ist, und unziales E, auch wenn die Bogenschwellung weniger stark ausgeprägt ist. Ebenso weisen C, kapitales D und E mit den links über die Schaftenden hinausragenden Balken sowie auch das R mit seiner geschwungenen Cauda Ähnlichkeiten auf. Selbst die Formen des B und des kapitalen M lassen manchmal Verwandtschaft erkennen. Auch das verunglückte E des Teppichs im Wort PROHIBFT findet eine Entsprechung auf der Bronzetür.