Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 8 Dom, Schatzkammer 11. Jh.

Beschreibung

Kapselreliquiar, Inv. Nr. 24;1) Silber vergoldet, getrieben, punziert, graviert, nielliert, über einen Holzkern geschlagen. Der in der Mitte des unteren Randes mit einer Öse versehene Schiebedeckel des hochrechteckigen Reliquiars zeigt auf einer nach allen Seiten abgefasten, doppelt von Perlstäben gerahmten Innenplatte, frontal stehend den heiligen Demetrios mit erhobenen Händen. Zu beiden Seiten des Nimbus der Titulus (A). Im Inneren, in eine etwas eingetiefte zweite Ebene eingelassen, oben ein Bildnis des Heiligen, unten das heute leere Reliquiengrab, verschlossen von je einer zweiflügeligen Tür, deren außen liegende Scharniere mit Perlstäben verziert sind; jeder der noch erhaltenen drei Flügel zeigt einen ähnlich wie Demetrios gekleideten Heiligen, oben seine Gefährten Nestor und Lupos, jeweils ein Handkreuz in der Rechten, auf dem unteren rechten Flügel Damianos mit einem Salbgefäß in Händen mit den Tituli (B–D). Im Hohlraum unter der oberen Tür Demetrios in Halbfigur mit dem Titulus (E), die Tituli jeweils zu beiden Seiten des Nimbus in teilweiser Konturschrift vertikal verlaufend. Auf den beiden seitlichen und auf der unteren Zarge der Kapsel zweizeilig umlaufend die niellierte Authentik (F). Die Rückseite zeigt ein Lebensbaumkreuz mit profilierten Rändern und Kugelenden, begleitet von stilisierten Blattornamenten, in den Kreuzwinkeln in teilweise konturierter Schrift die Initialen (G). Die untere rechte Ecke des Holzkerns ist verrottet, das Silberblech verbeult; ein kleines Loch auf dem Nimbus links neben dem Kopf des Heiligen auf dem Schiebedeckel; die unteren Teile auf der Rückseite, Teile der Rahmung und der linke untere Türflügel im Inneren – vermutlich mit dem Bild des Hl. Kosmas – fehlen. Die Öse an der oberen Schmalseite ist ausgebrochen, die vermutlich emaillierten Teile, wie z. B. Nimbus des Heiligen oder Tablion des Mantels, verloren, ebenso eine lange Pergamentcedula, die im Jahr 1950 noch im Reliquienfach aufbewahrt wurde.2)

Maße: H. 10,1 cm, B. 6,1 cm, T. 3,4 cm, Bu. 0,3 cm (A), 0,2–0,3 cm (B–E), 0,7 cm (F), 0,4 cm (G).

Schriftart(en): Byzantinische Majuskel, ohne Worttrennung (Scriptura continua), mit diakritischen Zeichen (F).

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle (Karl Geipl) [1/8]

  1. A

    O Α(ΓΙΟC)a) ΔΗΜΗ//TPIO(C)b)ὁ ἅ(γιος)a) Δημή//τριο(ς)b)

  2. B

    O Α(ΓΙΟC)a) NEC//TOPὁ ἅ(γιος)a) Νέσ//τορ

  3. C

    O Α(ΓΙΟC)a) ΛΟΥ//ΠΟCὁ ἅ(γιος)a) Λοῦ//πος

  4. D

    O Α(ΓΙΟC)a) ΔΑΜ(Ι)//ANOCὁ ἅ(γιος)a) Δαμ(ι)//ανός

  5. E

    O Α(ΓΙΟC)a) ΔΗΜΗ//TPIOCὁ ἅ(γιος)a) Δημή//τριος

  6. F

    + OYX AIMA MONON ΑΛ//ΛΑ KEc) MYPON // ΦΕΡΩ ΤΑΦΟC Ω ΠΑΡΩΝd) // ΜΑΡΤΥΡΟC ΔΗΜΗΤΡΙΟΥ //ΡΩCΙΝ ΠΑΡΕΧΩΝe) // TYCf) ΠΟΘΩ ΕΙΛΗΦΟCΙΝ+ οὐχ αἷμα μόνον ἀλ//λὰ κὲc) μῦρον // φέρω τάφος ὡ παρὼνd) //μάρτυρος Δημητρίου //ῥῶσιν παρέχωνe) // τῦςf) πόϑῳ εἰληϕόσιν

  7. G

    A // Π // M // Cg)

Übersetzung:

A: Der heilige Demetrios. B: Der heilige Nestor. C: Der heilige Lupos. D: Der heilige Damianos. E: Der heilige Demetrios. F: Nicht Blut allein, sondern auch Myron trage ich, gegenwärtiges Grab des Märtyrers Demetrios, denen Kraft gebend, die es aus wahrem Verlangen hingenommen haben.3)

Versmaß: Drei byzantinische Zwölfsilbler (F).

Kommentar

Das Reliquienbehältnis enthielt, wie die Inschrift F verrät, außer Blut auch Myron, heiliges Öl, das dem Grab des Heiligen entströmte.4) Wegen geringer Vergleichsgrundlagen hinsichtlich byzantinischer Treibarbeiten ist das Behältnis aufgrund motivischer und/oder stilistischer Übereinstimmungen bzw. Unterschiede mit den Fragmenten der Monomachoskrone in Budapest sowie den Michaelsikonen im Schatz von San Marco in Venedig nur vage in das 10. oder eher noch 11. Jahrhundert einzuordnen.5) Das Reliquiar scheint, wie die beiden anderen im Halberstädter Domschatz aufbewahrten Demetriosreliquiare, zu dem Schatz an Reliquien und Kirchenornat gehört zu haben, den Konrad von Krosigk vom Vierten Kreuzzug mitbrachte.6) Daß es sich dabei um die nur in der Schenkungsurkunde Bischof Konrads von 1208, aber nicht in der Aufzählung der „Gesta episcoporum“ erwähnten „tres ampullas nobiles“ gehandelt hat, wie Effenberger vermutete, ist eher unwahrscheinlich.7)

Textkritischer Apparat

  1. O ΑΓΙΟC] (ὁ ἅγιος) A in O eingeschrieben.
  2. ΔΗΜΗΤΡΙΟC] (Δημήτριος) Kürzungsstrich unten rechts.
  3. KE] Für KAI (καὶ); KT Hermes.
  4. Ω ΠΑΡΩΝ] = ὁ παρών.
  5. ΠΑΡΕΧΩΝ] Kleines N über das Omega gestellt.
  6. TYC] Für TOIC (τοῖς).
  7. Α Π Μ C] Über jedem Buchstaben eine Doppelquadrangel zur Kennzeichnung der Abkürzung. Die bei Grabar bzw. Janke und Der heilige Schatz verzeichneten Vorschläge, z. T. in unterschiedlicher Leserichtung, sind allesamt spekulativ (z. B. ἀρχὴ πίστεως Μωϋσαϊκὸς σταυρός, „Der Anfang des Glaubens ist das Kreuz Mose“; ἅγιε μάρτυς πιστοὺς σῶζε, „Heiliger Märtyrer, rette die Gläubigen“.

Anmerkungen

  1. Siehe dazu: Elis 1857, S. 75; Lucanus 1866, S. 42; Nebe 1889/1890, S. 90; Zschiesche 1895, S. 158 f.; Hermes 1896, S. 100; BKD, S. 273; Doering 1927, S. 66; Meyer 1936, S. 26; Falke 1936, S. 268 mit Abb. 3; Braun 1940, S. 690; Grabar 1950, S. 6; Hinz 1964, S. 217; Katalog Berlin 1977, Nr. 110 S. 57 f. (A[rne] E[ffenberger]); Flemming 1979, S. 68 f. mit Abb. 31–33; Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 246 mit Abb. 116; Janke 2006, Nr. 2c S. 141–143 mit Abb. 39; Der heilige Schatz 2008, Nr. 6 S. 54–57 mit Abb. (Petra Janke).
  2. Janke 2006, Nr. 2 c S. 143.
  3. Vgl. die Übersetzungen bei Nebe 1889/1890, S. 90, Hermes 1896, S. 100, Hinz 1964, S. 217 Anm. 72, Katalog Berlin 1977, S. 58 (A[rne] E[ffenberger]), Flemming 1979, S. 69, Janke 2006, Nr. 2 c S. 143.
  4. Vgl. dazu die Literaturangabe in Nr. 5 Anm. 3.
  5. Katalog Berlin 1977, Nr. 110 S. 57 f. mit Taf. 30 (A[rne] E[ffenberger]); Flemming 1979, S. 69 mit Abb. 31–33; Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 246 mit Abb. 116; Janke 2006, S. 124 f. Zur Monomachoskrone siehe Wessel 1967, Nr. 32 S. 98–106; zu den Michaelsikonen Wessel 1967, Nr. 28 S. 91–93 mit Abb. 28, Nr. 30 S. 94–97 mit Abb. 30, Katalog Köln 1984, Nr. 12 S. 149–153, Nr. 18 S. 179–182 (B[arbara] D[rake] B[oehm]); „zweite Hälfte 11. Jahrhundert“ datiert jetzt Der heilige Schatz 2008, Nr. 6 S. 54–57 mit Abb. (Petra Janke).
  6. GEH, S. 118–121; Der heilige Schatz 2008, Nr. 6 S. 54–57 mit Abb. (Petra Janke); vgl. auch Nr. 5 und 6.
  7. Katalog Berlin 1977, S. 110, 58 mit Taf. 30; zu ergänzen ist nach „tres ampullas nobiles, quas ad consecrationem cri[s]matis deputamus, et unam, de qua crisma in fontem sabbato sancto fundetur“. Offensichtlich hat es sich um insgesamt vier solcher Gefäße gehandelt. Ob aber Reliquiare für einen solchen Zweck umgewidmet werden konnten, selbst dann, wenn Ausgießvorrichtungen vorhanden waren, ist fraglich. Auch hat tatsächlich nur eines der drei Demetriosreliquiare (Nr. 5) einen Ausguß mit Stopfen und konnte dementsprechend verwendet werden. Vergleicht man die Schenkung von 1208 mit der Aufzählung der mitgebrachten Reliquien in den „Gesta episcoporum Halberstadtensium“, so fällt auf, daß in der Urkunde nur Reliquiare genannt werden, die entweder in dieser Form aus Byzanz stammten oder aber in den Jahren zwischen der Rückkehr 1205 und der Schenkung 1208 geschaffen worden sein müssen. In den Gesta werden jedoch nur die Reliquien ohne jeden Schmuck erwähnt, darunter auch solche des Demetrius, Kosmas und Damian. Denkbar ist es, daß diese zusammen mit denjenigen der auf dem Reliquiar abgebildeten Heiligen Nestor und Lupus in diesem und anderen Behältnissen aufbewahrt worden sind; weitere Reliquien des Demetrius befanden sich in der Nr. 5. Die in den Gesta und der Urkunde von 1208 nicht eigens erwähnten konnten unter Sammelbezeichnungen enthalten sein. Solche wurden z. B. als „multe alie reliquie sanctorum martirum, confessorum atque virginum, quas enumerare longum esset“ in den GEH erwähnt bzw. unter „capsam magnam argenteam cum reliquiis infinitis“ in der Urkunde genannt; vgl. UBHH Bd. 1, Nr. 449 S. 404; GEH, S. 120 f.

Nachweise

  1. Nebe 1889/1890, S. 90 (A, G).
  2. Hermes 1896, S. 100 mit Abb. S. 96 (F, G).
  3. Braun 1940, S. 690 (F).
  4. Grabar 1950, S. 6 (G).
  5. Katalog Berlin 1977, Nr. 110 S. 57 f.
  6. Janke 2006, Nr. 2 c S. 141–143 mit Abb. 39 und Taf. 2 (A, E–G).
  7. Der heilige Schatz 2008, Nr. 6 S. 54–57 mit Abb. (Petra Janke) (A, F, G).

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 8 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0000805.