Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 3 Dom, Chor 968

Beschreibung

Sarkophag Bischof Bernhards (923–968); in der Chormitte östlich vor dem Lettner in einer von einer Holzplatte abgedeckten Grabkammer stehend; Kalkstein, zwei quer durch den Deckel verlaufende Risse sind heute mit Mörtel verfugt, die Kanten der Unterseite stark beschädigt; der Sarg besteht aus zwei Teilen, einem trogartigen, rechteckigen Unterteil, den ein oben abgerundeter Deckel in der Form eines Halbzylinders schließt, auf dem über ein erhabenes Vortragekreuz hinweg die zeilenweise eingehauene Grabbezeugung verläuft.

Maße: L. 224,8 cm, B. 71,5 cm, H. 78 cm, Bu. 6–7 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Constantin Beyer, Weimar [1/1]

  1. III NON(AS)a) FEBR(VARII)1) / OBIIT EP(ISCOPV)S / BERNHARD(VS) / QVI HIC RE/QVIESCIT

Übersetzung:

Am dritten [Tag] vor den Nonen des Februar1) starb Bischof Bernhard, der hier ruht.

Kommentar

Die verwendete Schriftform ist eine fast klassisch zu nennende Kapitalis. Ihre Proportionen sind ausgewogen. Sporen sitzen an den Schaft-, Balken-, und Bogenenden. Leichte Abweichungen von der klassischen Form zeigen nur das A mit dem ganz leicht über den linken übergreifenden rechten Schaft und die eingestellte Cauda des Q sowie die verwendete us-Kürzung. A weist eine leichte Linksschrägenverstärkung des rechten Schrägschaftes auf. Der Sporn am oberen Schaftende des B fehlt in OBIIT. Die Balken von E und F sind gleich lang. Lediglich der obere Balken des E in BERNHARD ist länger als die beiden unteren. E ist im Vergleich zur klassischen Kapitalis sehr schmal. Der Balken des etwas breiter proportionierten H im Wort HIC verläuft leicht schräg. In der klassischen Variante des Q im Wort REQVIESCIT setzt die Cauda in der Mitte des unteren Bogenabschnitts an und läuft spitz aus. Der Bogen des P ist geschlossen. Die Cauda des R setzt am Beginn des unteren Bogenabschnitts an und endet spitz. Das untere Schaftende des T ist etwas verbreitert. Neben den von Sporen begrenzten einfachen Kürzungsstrichen wird ein solcher mit Ausbuchtung nach oben verwendet. Sie befinden sich sämtlich über der Oberlinie, während das us-Kürzel am Wortende hochgestellt ist. Die Buchstaben EBR im Wort FEBRVARII werden von feinen Hilfslinien begrenzt.

Lediglich das A mit dem leicht nach links übergreifenden Schaft und das Q mit der eingestellten Cauda weisen auf den in der Entstehungszeit sich wandelnden Schriftkanon hin. Die Schriftformen auf dem Sarkophag der wenige Wochen später verstorbenen Königin Mathilde, der Gemahlin Heinrichs I., die in der nahebei gelegenen Stiftskirche in Quedlinburg ihre letzte Ruhe fand, sind in dieser Hinsicht weiterentwickelt; trotzdem gleichen beide Inschriften einander so sehr, daß man von der Arbeit desselben Steinmetzen ausgehen muß.2) Auch die Buchstaben des zwischen 973 und 982 in Auftrag gegebenen Älteren Mathildenkreuzes (sog. Otto-Mathildenkreuz), das zwar in anderer Technik und räumlich entfernt hergestellt wurde, zeigen noch gewisse Ähnlichkeiten.3) Das Wort BERNHARD(VS) wurde vermutlich absichtlich mitten auf den Balken des Vortragkeuzes gesetzt.

Der Sarkophag, der mehrfach umgesetzt wurde, stand bei seiner Aufdeckung 1954 an einer Stelle, an die er im Verlauf der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts – vermutlich wegen der Bauarbeiten für den gotischen Chor – verlegt worden war.4) Sein ursprünglicher Standort muß westlich davon gewesen sein, wie sich aus dem Füllmaterial des 14. Jahrhunderts erkennen ließ. Zuletzt hatte er nach seiner Hebung im nordöstlichen Chorumgang seinen Platz gefunden.5)

Bischof Bernhard entstammte einem hochadligen sächsischen Geschlecht, seine genaue Herkunft ist umstritten.6) Er war zuvor Kaplan seines Vorgängers, des Bischofs Sigismund, und soll von diesem für das Amt designiert worden sein.7) Nach der Angabe Thietmars von Merseburg soll Bischof Bernhard am gleichen Monatstag wie dem seines Todes, an einem 3. Februar, also wohl im Jahr 923, von König Heinrich I. eingesetzt worden sein.8) Er vergrößerte den Reliquienschatz des Halberstädter Doms auf einer Romfahrt nicht unwesentlich.9) Im Jahre 932 nahm Bischof Bernhard an der Reichssynode in Erfurt, 948 an der allgemeinen Kirchensynode in Ingelheim teil.10) Seine Stiftung des Benediktinerinnenklosters Hadmersleben wurde in einem nicht vor 962 ausgefertigten Privileg Ottos II., dessen Handlung im Jahr 961 stattgefunden hatte, bestätigt.11) Zusammen mit seiner Verwandten Gundrad, die als erste Äbtissin von Hadmersleben eingesetzt worden war, wird Bernhard die Gründung des Pfortenhauses in Halberstadt zugeschrieben.12) Während seiner Amtszeit ist nach übereinstimmenden Berichten wohl im Jahre 965 der Dom eingestürzt.13) Gleich im Anschluß an die Katastrophe hat man wohl noch während seines Pontifikats mit den Baumaßnahmen zur Wiederherstellung oder einen Neubau begonnen.14) Im Jahre 955 war Bischof Bernhard von Papst Agapit II. für die Halberstädter Kirche das Rationale verliehen worden.15) Dadurch sollte dem Bischof wohl die Verlegung des Bischofssitzes nach Magdeburg und dessen Erhöhung zum Erzbistum nach dem ursprünglichen Plan Ottos I. schmackhaft gemacht und seine Erhebung zum Erzbischof von Magdeburg angedeutet werden, was am Widerstand Erzbischof Wilhelms von Mainz scheiterte. Bischof Bernhard hat dann langanhaltenden Widerstand gegen die Errichtung des Erzbistums Magdeburg geleistet, die auf Kosten des Bistums Halberstadt gehen mußte, nach Thietmar von Merseburg zeitlebens.16) Die jüngere Forschung hat Indizien gesammelt, nach denen Bischof Bernhard gegen Ende seiner Amtszeit unter bestimmten Bedingungen dem Plan Ottos I. zugestimmt habe.17) Der Vollzug – wenn auch widerwillig und mit einer Entschädigung für das Bistum – blieb jedoch seinem designierten Nachfolger Hildiward vorbehalten.18) Nur wenige Wochen nach Bernhards Tod am 3. Februar 968 starb am 14. März die Gemahlin Heinrichs I. und Mutter Ottos I., Mathilde, deren Sarkophag wohl aus derselben Werkstatt stammt wie derjenige des Halberstädter Bischofs.2) Wie uns Widukind von Corvey berichtet, wurde – wohl aufgrund der zeitlichen und räumlichen Nähe der Todesfälle – eine Affinität der Personen auch in einem frommen Gerücht verbreitet, das schilderte, wie die Seelen der Königin und des Halberstädter Bischofs von Engeln gemeinsam gen Himmel getragen worden seien.19) Während ihres Lebens hatte beide wohl auch ihre Einstellung gegen die Errichtung des Erzbistums Magdeburg einander verbunden.20)

Textkritischer Apparat

  1. NONAS] NON(iis) Leopold/Schubert.

Anmerkungen

  1. 3. Februar.
  2. Vgl. Schubert 2001, S. 83–86 bes. S. 83 mit Abb. S. 84 f.; Abb.: Schubert 1990, S. 52. Vgl. dazu auch Erdmann 1941, S. 35; Voigtländer 1989, S. 101–19, 145.
  3. Katalog Köln 1985 (Ornamenta Ecclesiae) Bd. 1, S. 150 Nr. B 1 mit Abb. S. 149 (U[lrike] B[ergmann]).
  4. Leopold/Schubert 1984, S. 14, 62–64.
  5. Schubert 2001, S. 85 mit Abb. 3.; Leopold/Schubert 1984, Taf. 27 mit Abb. 45.
  6. Vgl. dazu zuletzt Schrader 1975, S. 1–16, der Bernhard aufgrund von Besitzverhältnissen der Familie des Markgrafen Gero (937–965) zurechnet.
  7. MGH SS NS IX, S. 28 f. (Thietmar I,22); MGH SS VI, S. 595 (Annalista Saxo zu 923); vgl. auch Fritsch 1913, S. 16 f.
  8. MGH SS NS IX, S. 58 f. (Thietmar II,18); vgl. auch Fritsch 1913, S. 17 mit Anm. 2.
  9. GEH, S. 83; MGH SS VI, S. 621 (Annalista Saxo zu 968).
  10. MGH Concilia VI, I, S. 97–114, bes. 109 f.; ebd., S. 135–163 bes. S. 157 f.; MGH SS III, S. 395 (Flodoard, Annales zu 948); ebd., S. 603 und MGH SS XXXVIII, S. 149 (Richer von Reims, Historiae, Lib. II,69); MGH SS VIII, S. 361 (Hugo von Flavigny, Lib. I zur Synode von Ingelheim). Vgl. zur Ingelheimer Synode auch Fuhrmann 1964, S. 159–164; zur Erfurter Synode Althoff 1992, S. 78 mit Anm. 244.
  11. Vgl. MGH D O II, Nr. 2, S. 11 f.; UBHH Bd. 1, Nr. 32 S. 15 f.; GEH, S. 84 f.; vgl. auch Lucanus 1792, S. 58; Raumer 1836, S. 43 Nr. 190; Mülverstedt 1876, S. 59 Nr. 159; Dobenecker 1896, S. 95 Nr. 416; Parisse 1991, S. 473. Zur Urkunde auch Sickel 1877, S. 45; Ficker 1877, S. 158 f.; Stengel 1910, S. 159–163, 306, 678. Für Literaturhinweise danke ich Herrn Dr. Holger Brunsch, Bonn, recht herzlich.
  12. GEH, S. 85; vgl. zum Pfortenhaus Mülverstedt 1872, S. 52 f.; Augustin 1823 a, S. 113–159, 161–176 bes. S. 113-116; Lucanus 1791 c, S. 337–340.
  13. MGH SS NS IX, S. 82–85 (Thietmar, Chronicon, II,35, zum 31. März 965); MGH SS VI, S. 619 (Annalista Saxo zu 965).
  14. Leopold/Schubert 1984, S. 14.
  15. UBHH Bd. 1, Nr. 56 S. 42 f.; Honselmann 1975, S. 26–29, Nr. 23 S. 106 f., Nr. 29 S. 110 f., Nr. 47a S. 129; Beumann 1990, S. 44–47; Beumann 1994, S. 25 f. Vgl. zur Pallienverleihung an den Erzbischof von Magdeburg auch Zotz 1982.
  16. MGH SS NS IX, S. 50 f. (Thietmar II,11). Vgl. dazu auch Quiter 1969, S. 99–102, 118–123; Claude 1972, S. XVI, 81 ff.; Althoff 2001, S. 346–349; Hehl 2001, S. 231–235; Germania Pontificia, Vol. V/2, Pars VI, S. 196.
  17. Jäschke 1970, S. 203–206; Beumann 1974, S. 256 ff.; Beumann 1991, S. 384 f.; Beumann 2000, S. 162 ff.
  18. Beumann 1991, S. 383–398; Althoff 1998, S. 273 ff., der ebd., S. 268 mit Anm. 4 auch die Meinung über Bernhards Zustimmung zur Errichtung des Erzbistums Magdeburg zu Lebzeiten nicht ganz unwidersprochen ließ. Vgl. auch Quiter 1969, S. 144–148; Engels 1975, S. 143–148, 152 f.; Scholz 1992, S. 176–181; Hehl 1997; Hehl 1998, S. 304–315; Scholz 2006, S. 272–280, 301–304.
  19. MGH SS III, S. 466 (Widukind III,75); vgl. auch Lindecke 1879, S. 27; Beumann 1991, S. 393, 397; Laudage 2001, S. 212 f.
  20. Laudage 2001, S. 212 f., 222; Huschner 2003, S. 631 f., 654.

Nachweise

  1. Leopold/Schubert 1984, S. 80 Nr. 45 mit Abzeichnung S. 63 Nr. 31.
  2. Schubert 2001, S. 83 mit Abb. S. 85.
  3. Abb.: Flemming/Lehmann/Schubert 1990, Abb. 64.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 3 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0000300.