Die Inschriften des Grosskreises Karlsruhe

5. Kunsthistorische Bemerkungen

Man kann davon ausgehen, daß es mindestens seit dem frühen 15. Jahrhundert in den einzelnen Städten des Bearbeitungsgebietes Steinmetz-Werkstätten gegeben hat, die imstande waren, neben den anfallenden Bauaufgaben Grabmäler einfacher Form auszuführen. In der Frühzeit gehörten die Auftraggeber ausschließlich dem Adel und Klerus an. Erst im Verlauf des 15. Jahrhunderts treten vereinzelt Aufträge aus dem städtischen Patriziat hinzu. Im 16. Jahrhundert mehren sich die Denkmäler für Vertreter des bürgerlichen Standes; an der Spitze stehen zahlenmäßig die fürstlichen Beamten, die ihren Sitz im Bearbeitungsgebiet hatten. Ferner ist als neuer Auftraggeberkreis der evangelische Pfarrerstand zu nennen.

Die frühesten Grabsteine, die eine künstlerische Gestaltung aufweisen, sind Wappensteine mit Umschrift, wobei das Wappen mit Helm und Helmzier großformig im Mittelfeld des Steines ausgehauen ist, z.B. in Sickingen (1362 u. 1387; nrr. 8, 14) und Blankenloch (1366 u. 1371; nrr. 9, 12). Im 15. Jahrhundert und noch im 16. Jahrhundert wurden für manche Kirchen quasi serienmäßig Wappensteine ausgeführt, z.B. für Kürnbach (nrr. 72, 85, 88) und Münzesheim (nrr. 183, 184). Auch die frühesten figürlichen Denkmäler erscheinen erst nach der Mitte des 14. Jahrhunderts. Abgesehen von der Bauskulptur des Bischofs Gerhard von Ehrenberg (1358; nr. 7) ist das Gottesauer Stifterdenkmal (um 1360/70; nr. 11) das älteste erhaltene Beispiel. Damit deckt sich der Befund mit dem des nördlich angrenzenden Rhein-Neckar-Kreises.

Anspruchsvollere Aufträge scheinen stets von auswärtigen Werkstätten geliefert worden zu sein. Die Erkenntnis, daß Heidelberg als pfalzgräfliche Residenz und bedeutende Universitätsstadt seit dem späten 14. Jahrhundert zu einem kulturellen Zentrum für den nördlichen Oberrhein wurde, ließ sich neuerdings hinsichtlich der Tafel-, Buch- und Glasmalerei präzisieren62). Die Erforschung der Steinskulptur ist durch [Druckseite XXIV] die ungünstige Quellenlage erschwert, jedoch sind mindestens drei leistungsfähige Werkstätten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und bis ins 16. Jahrhundert hinein faßbar, die sich einstweilen nicht eindeutig mit Meisternamen verbinden lassen. Die Werkstatt des „Meisters der Kniegrabsteine“, tätig für Handschuhsheim (Stadt Heidelberg) und Weinheim (Rhein-Neckar-Kreis), schuf zwei Denkmäler in Sulzfeld (nrr. 132, 133)63). Bemerkenswert ist die Gestaltung dieser Epitaphien durch die Wiedergabe der Verstorbenen als kniende Oranten mit Gestus der „ewigen Anbetung“64). Das Kompositionsschema (Astwerkbaldachin, Kniefigur mit Wappen, Inschriftsockel) scheint in der gleichzeitigen Glasmalerei des Hans Konberger gen. Gleser65) vorgeprägt zu sein und geht auf Peter Hemmel von Andlau zurück, ist also letztlich oberrheinischen Ursprungs. – Der „Meister des Augustiner-Kreuzgangs“, dessen Meisterzeichen in Heidelberg, Kandel und Langenbrücken an Kirchenbauten vorkommt, signierte auch die Bach-Kapelle der Brettener Stadtkirche; offensichtlich ist ihm der Wappenstein des Adam von Bach (gest. 1514; nr. 141) zuzuschreiben, dessen Tod zum Bau der Kapelle Anlaß gab. – Ein Angehöriger der Heidelberger Steinmetzsippe der Lechler, vermutlich Caspar Lechler, signierte 1523 den Chorbau der Sickinger Pfarrkirche (nr. 159). Sein Verhältnis zu dem führenden Heidelberger Architekten der Zeit, Lorenz Lechler (nachweisbar 1489–1538?), ist noch ungeklärt. Jedenfalls scheint letzterer – als Hofbaumeister der Pfalzgrafen Philipp (1476–1508) und Ludwig V. (1508–44) auch für das Speyerer Domstift in Esslingen und Speyer tätig – im Bearbeitungsgebiet vor allem für die Pfarrkirche in Heidelsheim (1501ff.), den wichtigsten spätgotischen Kirchenbau des Kraichgaues neben Wimpfen und Schwaigern, in Frage zu kommen (Inschriften verloren).

Die Bautätigkeit im speyerischen Herrschaftsgebiet stand dem Aufschwung des spätgotischen Kirchenbaues im pfälzischen Teil des Kreises Karlsruhe in nichts nach, jedoch geben auch hier nur in wenigen Fällen Bauinschriften oder Schriftquellen Auskunft über die ausführenden Meister. So ist der Baubeginn der Bruchsaler Liebfrauenkirche, des wichtigsten spätgotischen Sakralbaues am Bruhrain, durch den bischöflichen Werkmeister Lorenz für 1447 gesichert (nr. 40); von der spätgotischen Ausstattung an Inschriftendenkmälern hat sich nichts erhalten. Der Werkmeister Hans von Mingolsheim, aus dem Kraichgau gebürtig und Architekt des bischöflichen Palastes in Speyer (1455), dann Werkmeister zu Heilbronn (1464/68), ist im Bearbeitungsgebiet einstweilen nicht faßbar66). Jedoch sind die weniger bedeutenden Steinmetzen Hans Frosch in Untergrombach (1472–74; nrr. 63, 71) und der „Meister von Kirrlach“ in Kirrlach (1508; nr. 136) durch Bauinschriften belegt. Wenn man bedenkt, daß der Dombrand von 1450 eine über Jahrzehnte anhaltende, lebhafte Bautätigkeit im Bereich des Speyerer Domes auslöste, die besonders unter dem Bischof Matthias von Ramung (1464–78) einen Höhepunkt erreichte, sucht man vergeblich nach einem Abglanz dieser Blütezeit speyerischen Kunstschaffens im rechtsrheinischen Teil des Bistums67). Symptomatisch ist der Fall von Udenheim (Philippsburg), dessen spätgotische Vergangenheit als bischöfliche Nebenresidenz praktisch ausgelöscht ist. Lediglich in Obergrombach sind spärliche Reste eines bischöflichen Mäzenatentums faßbar (nrr. 56, 62, 97).

Die spätgotische Kunsttätigkeit der Markgrafschaft Baden hat noch keine zusammenfassende Bearbeitung erfahren68). Die Zentren Baden-Baden und Pforzheim haben zweifellos eine gewisse Ausstrahlung auf den badischen Teil des Bearbeitungsgebietes ausgeübt, auch wenn sich dies in Inschriften-Denkmälern kaum niedergeschlagen hat. Das bedeutendste Bauvorhaben, der Neubau der 1453 durch eine Dotation des Markgrafen Jakob I. (1431–53) zur Stiftskirche erhobenen Liebfrauenkirche zu Baden-Baden und ihre reiche Ausstattung, wurde in Straßburg geschulten Werkleuten anvertraut. Aus Straßburg kamen auch die bedeutendsten Bildwerke dieser Zeit, der Steinkruzifixus des Nicolaus Gerhaerts (1467) für den Alten [Druckseite XXV] Friedhof zu Baden-Baden und der Sebastiansaltar für die Liebfrauenkirche zu Gernsbach69). Das Steinkreuz von Baden-Baden hat in der Folgezeit auf zahlreiche Kreuzgruppen eingewirkt, darunter im Bearbeitungsgebiet die Friedhofskreuze von Durlach (um 1500)70) und Bruchsal (1583; nr. 280). Unter dem Markgrafen Karl I. (1453–75) kam mit dem Chorneubau der 1459 ebenfalls zur Stiftskirche umgewandelten Pfarrkirche St. Martin in Ettlingen ein weiterer spätgotischer Großbau zur Ausführung (nr. 52). Gleichzeitig war die Pforzheimer Pfarr- und Schloßkirche St. Michael 1460 zum Kollegiatstift erhoben worden, was auch dort den Neubau eines geräumigen Chores notwendig machte. Der für Pforzheim als der ausführende Werkmeister belegte Hans Spryß von Zaberfeld, in diesem Amt noch 1493/94 in Hirsau tätig, kommt auch als Meister des Ettlinger Chores in Frage. Für ihn gesichert ist im Bearbeitungsgebiet die Ausführung spätgotischer Umbauten an der Klosterkirche Gottesau (1485), darunter der „zwischen Chor und Klosterkirche“ befindlichen Marienkapelle71). – Von der Baugruppe spätgotischer Landkirchen des sog. „Hochgestade-Typus“72) läßt sich nunmehr einer dieser Bauten mit einem Meisternamen verbinden: die Grundsteinlegungsinschrift in Blankenloch (1521; nr. 153) nennt als Werkmeister den schon 1510/15 in diesem Amt tätigen Hans Essig; ob er auch mit dem „Werkmeister Hans“, Planverfertiger für das alte Schloß Mühlburg (vor 1533), identisch ist, muß noch offen bleiben73).

Der Ausstrahlungsbereich der ehemaligen Reichsstadt Heilbronn auf das Bearbeitungsgebiet läßt sich nicht abschätzen, so lange die Kunsttätigkeit dieses bedeutenden Zentrums am mittleren Neckar nicht zusammenfassend bearbeitet ist. Die Tätigkeit des Wiener Architekten Anton Pilgram als Schöpfer des Hallenchores und Sakramentshauses von St. Kilian muß vorläufig Hypothese bleiben74); jedenfalls stammte der Fensterschmuck dieses erstrangigen Bauwerkes aus Speyer (datiert 1487)75). Und nach Speyer und Heidelberg führten viele Fäden über die Heilbronner Meister Hans von Mingolsheim, Hans Syfer, Lienhart Syfer etc. Die Verbindung des Kraichgaues zum württembergischen Hoheitsgebiet scheint in spätgotischer Zeit weniger ausgeprägt gewesen zu sein; sie wird deutlich in Kürnbach durch die Bauinschrift (1501; nr. 128) einer zuvor in Ostelsheim (Kr. Calw; 1488) und Vaihingen (1490) nachweisbaren Werkstatt.

Für den bisher kaum erforschten Komplex der Renaissance-Epitaphien ist hinsichtlich der bedeutendsten Werke des Bearbeitungsgebietes ein Werkstatt-Zusammenhang mit Heilbronner Meistern des 16. Jahrhunderts postuliert worden. Angesichts der führenden Rolle Heidelbergs, wo seit Ludwig V. fast jede Kurfürsten-Generation dem Schloß einen künstlerisch richtungsweisenden Palast zufügte, ist dem mit Skepsis zu begegnen. In der Tat können nach einer ersten Überprüfung der Epitaphien und ihrer Inschriften einige kunsthistorische Beobachtungen skizziert werden und erstmals Epitaph-Werkstätten vorgestellt werden, die bisher nicht klar umrissen waren oder nunmehr mit einem Meisternamen zu verbinden sind.

Anknüpfend an zwei Flehinger Rittergrabmäler (nrr. 180, 181) mit den Sterbedaten 1542 und 1553 (nachgetragen) läßt sich eine Werkgruppe von Denkmälern in Schwaigern (Kr. Heilbronn), Niederstetten und Wachbach (Kr. Mergentheim), sowie Schrozberg (Kr. Crailsheim) zusammenstellen, die nicht nur stilistisch, sondern auch aufgrund der sehr charakteristischen Minuskel-Spätform eng verwandt sind. Ihre Entstehung ist auf die Spanne eines Jahrzehnts – zwischen 1536 (Schwaigern) und 1546 (Schrozberg) – eingegrenzt. Eine Lokalisierung der Werkstatt ist vorläufig nicht möglich.

Der Werkstatt der Sickinger Grabmäler von 1547 (nrr. 189, 190) können weitere, außerhalb des Bearbeitungsgebietes erhaltene Denkmäler zugeschrieben werden: das postum für Franz I. von Sickingen (gest. 1523) in Landstuhl errichtete Grabmal und das Denkmal des Kaiserlichen Feldmarschalls Johann Hilchen von Lorch (gest. 1548), datiert 1550, in Lorch (Rheingaukreis). Der hohe künstlerische Rang der Bildhauerarbeit und die meisterhaft gestaltete Renaissanceschrift legen eine Lokalisierung der Gruppe im Bereich eines der führenden Zentren der Zeit nahe. In der Tat erlaubt die Gestaltung der Ornamentik eine [Druckseite XXVI] Verbindung mit der in Heidelberg und zuvor in Neumarkt und Amberg für Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz (1544–56) tätigen Werkstatt, die mit einiger Wahrscheinlichkeit mit dem Namen des Conrad Forster (nachweisbar 1542–55) verbunden wurde76).

Aus dieser Werkstatt ist vermutlich der 1553–67 nachweisbare Bildhauer Jost Neibeck hervorgegangen, dessen Oeuvre hier erstmals zusammengestellt werden kann. Von seiner Hand sind insgesamt dreizehn Inschriftendenkmäler nachweisbar, davon sieben im Bearbeitungsgebiet77). Acht tragen das Steinmetzzeichen nr. 16, und drei sind zusätzlich durch die Signatur gesichert. Sein Hauptwerk, das Doppelgrabmal des Jakob von Helmstatt und der Maria geb. von Affenstein (gest. 1556), früher in Lambsheim (Kreis Frankenthal), heute im Historischen Museum der Pfalz in Speyer, trägt den vollen Namenszug „Jost . Neibeck . Bildhawer . v(on) . Sickingen“ und gibt damit Auskunft über Herkunft und möglicherweise auch Sitz der Werkstatt. Obwohl seine künstlerische Bedeutung ein lokales Niveau nicht übersteigt, verdient er als einer der wenigen bodenständigen Meister des Kraichgaues Interesse.

Im badischen Teil des Bearbeitungsgebietes entfaltete sich im 16. Jahrhundert eine bedeutende Bautätigkeit in Zusammenhang mit dem Ausbau der markgräflichen Schlösser. Jedoch ist dieser Aufschwung des Bauwesens heute nur noch in wenigen Inschriften-Denkmälern festgehalten. Die 1565 datierte Bauinschrift des Durlacher Schlosses (nr. 231) war namengebend für den „Meister der Carlsburg“78). Er war zuvor in Pforzheim als Schöpfer markgräflicher Epitaphien und Wappentafeln tätig und erweist sich als tüchtiger, das Vokabular der Frührenaissance beherrschender Meister. Ferner ist der Grabstein des Werkmeisters Demetrius Dangell (gest. 1570; nr. 248) erhalten, der mit dem urkundlich erwähnten „Meister Metterlin“ verbunden werden kann. Das bedeutendste Bauvorhaben neben Durlach war der Neubau des Lusthauses Gottesau auf dem Areal des ehemaligen Klosters, ausgeführt nach Plänen des Johannes Schoch, des Straßburger Stadtbaumeisters und späteren Schöpfers des Friedrichsbaues im Heidelberger Schloß79). Selbstverständlich ist damit zu rechnen, daß auch hier am Bau Inschriften angebracht waren; vor allem wird an eine Beschriftung der Ausmalung des Festsaales und der Schloßkapelle zu denken sein, die 1590ff. unter der Leitung des Antwerpener Malers Hendrik van Steenwijk entstand80). Da keine zeitgenössischen Quellen existieren, bleiben Programm und Beischriften für immer verborgen. Auch von der Hand des zuvor am Stuttgarter Lusthaus tätigen Bildhauers Matthias Kraus, der 1590 für den bildnerischen Schmuck des Schlosses verpflichtet wurde, läßt sich in Durlach kein Denkmal mehr auffinden81).

Die künstlerisch bedeutendsten Bildhauerwerke der zweiten Jahrhunderthälfte im Bearbeitungsgebiet scheinen einer Werkstatt zu entstammen, die auch Neckarschwaben, die Gegend um Kirchheim u. Teck und den Pfinzgau beliefert hat. Es hat den Anschein, daß hier ein über zwei Generationen tätiger Familienbetrieb von Steinmetzen sich zu einer Art „Epitaph-Industrie“ für den örtlichen Adel entwickelt hat. Die Produktion umfaßte eine Reihe von Grabmaltypen, die für den jeweiligen Auftraggeber geringfügig abgewandelt wurden: Standfiguren, einzeln oder paarweise, Kniefiguren unter dem Kreuz, einzeln, paarweise oder als Familiengruppe, eingefügt in eine meist dreigeschossige Rahmenarchitektur, die in der bekrönenden Zone Reliefs biblischen Inhalts und Statuetten aufnahm. Die Schrift – eine breit angelegte Kapitalis mit überhöhten Versalien und eine enggeführte Fraktur – bleibt über Jahrzehnte hinweg dem gleichen Muster verpflichtet, so daß sie als eines der charakteristischen Erkennungszeichen für die Werkstatt dienen kann. Diese Werkstatt ist im Bearbeitungsgebiet durch die großen Epitaphien von Kürnbach (1598; nr. 314), Wössingen (1603; nr. 339) und Sickingen (um 1610; nr. 352) vertreten. Da die Beweisführung kompliziert ist und eine Revision der bisherigen Zuschreibungen an die Heilbronner Meister Jakob Müller und Melchior Schmidt erfordert, sei hier nur das Ergebnis der Überlegungen referiert, die an anderer Stelle ausführlich dargelegt werden sollen82). Die drei genannten Epitaphien sind eng verwandt mit einer zweiten, in den 1570er Jahren entstandenen Werkgruppe von Epitaphien in Flehingen (nrr. [Druckseite XXVII] 255f.), Sulzfeld (nr. 267) und Unterderdingen (nrr. 270f.), die früher mit dem Tübinger Bildhauer Leonhard Baumhauer (tätig 1560–1604) verbunden wurde83). Diese „Gruppe der 1570er Jahre“ läßt sich jedoch an dessen beglaubigte Werke nur schwer anschließen; vielmehr weisen die Auftraggeber der Unterderdinger Denkmäler als Angehörige des Leonberger Beamtenpatriziats nach Leonberg, wo sich zum Vergleich ein außerordentlich gut erhaltener und zahlreicher Denkmälerbestand erhalten hat. In der Tat besteht eine so enge Verwandtschaft sowohl der „Gruppe der 1570er Jahre“ als auch der späteren Kraichgauer Prunkepitaphien mit Leonberger Denkmälern, daß an den Sitz der Werkstatt in Leonberg gedacht werden muß. Hier kommt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nur ein Meister in Frage: Jeremias Schwarz (geb. um 1550, gest. 1621), 1576–79 durch Kindstaufen in Leonberg belegt, 1583–89 vorübergehend in Heidelberg ansässig, 1590–1621 wieder in Leonberg; sein Sohn Jakob Eberhard ist noch 1639 als Bildhauer in Leonberg nachweisbar, scheint also die Werkstatt weiter geführt zu haben84). Da die einzigen urkundlich für Schwarz gesicherten Arbeiten – Prunk-Epitaphien für den Kurfürsten Ludwig VI. von der Pfalz (gest. 1583), seine Gemahlin und einen Adligen in der Heidelberger Heiliggeistkirche85) – verloren sind, schien es aussichtslos, von diesem Meister ein klares Bild gewinnen zu wollen. Jedoch ergab eine Überprüfung des Heidelberger Bestandes, daß hier vier Epitaphien aus der Zeit von Schwarzens Anwesenheit in Heidelberg erhalten sind, die sowohl mit der Kraichgauer Gruppe „der 1570er Jahre“, als auch mit den Prunkepitaphien aus der Zeit von 1590–1621 engstens verbunden sind86), so daß sie gewissermaßen als Bindeglied zwischen der frühen Gruppe und dem Werk der Reifezeit angesehen werden können. Die Verbindung mit dem Heidelberger Hof scheint dem Meister neue künstlerische Impulse vermittelt zu haben; zugleich empfahlen die ehrenvollen Aufträge des Lutheraners Ludwig VI. die Leonberger Werkstatt im Kreise des lutherisch gesinnten Kraichgauer Adels und erklären die Fülle der Aufträge. Künstlerisch und epigraphisch erreicht Jeremias Schwarz ein beachtliches Niveau; freilich hält er auch im 17. Jahrhundert noch an den überkommenen Typen fest und verschließt sich weitgehend den Neuerungen der niederländisch-manieristischen Richtung.

Den damals neu aufkommenden Typus des kleinfigurigen, „hängenden“ Epitaphs vertreten drei Sulzfelder Denkmäler. Das um 1620 anzusetzende Epitaph des Georg Göler (nr. 381) kann mit dem Heilbronner Bildhauer Melchior Schmidt (nachweisb. 1593ff., gest. 1634) verbunden werden87). Diese Zuschreibung wird gestützt durch die Verwandtschaft mit dem Epitaph des G. A. Machtolff in Brackenheim (Kr. Heilbronn), entstanden um 161488). Von einer anderen Hand sind die beiden Epitaphien von 1628 (nrr. 398f.); die Lokalisierung der Werkstatt bleibt unklar, da weitere Werke in Brackenheim (Kr. Heilbronn)89) und Leonberg90) erhalten sind. Auch hier ist die eigenwillig gestaltete Frakturschrift eines der Indizien gemeinsamer Herkunft, ferner sind die Tendenz zur Auflösung des herkömmlichen Formenkanons der Architektur und das freie Spielen mit dem Knorpelwerk-Ornament stilistische Eigenheiten, die an einen schulmäßigen Zusammenhang mit den Werken des Stuttgarter Bildhauers Georg Müller (1602–31 nachweisbar)91) oder mit dem noch unbekannten Meister des Pforzheimer Epitaphs für die Markgrafen-Brüder (nach 1604)92) denken lassen. Die Zuschreibung an Achilles Kern von Forchtenberg (1604–91) erscheint schon durch dessen Lebensdaten fraglich93). Abschließend sei noch eine in Bretten tätige Werkstatt erwähnt, die vorläufig nach ihrem frühesten nachweisbaren Werk, dem Ried-Epitaph von 1617 (nr. 371), benannt wurde und alle anspruchsvolleren Brettener Denkmäler dieser Zeit ausführte (nrr. 401, 405, 413); möglicherweise läßt sich diese Werkstatt mit dem einzigen, zwischen 1613–32 in Bretten nachweisbaren Bildhauer Leonhard Beyschlag (Beischlag) identifizieren94).[Druckseite XXVIII]

Zusammenfassend ist festzustellen, daß im nächsten Umkreis des Bearbeitungsgebietes bedeutende Kunstzentren mit leistungsfähigen Werkstätten lagen, deren Einwirkung sich im Kraichgau gelegentlich überschneidet. Trotz des dezimierten Denkmälerbestandes ist erkennbar, daß sich das künstlerische Niveau mit dem der angrenzenden Gebiete durchaus messen kann. Insgesamt gesehen scheinen vom Kurpfälzischen Hof im Norden mehr Impulse ausgegangen zu sein als von der Markgrafschaft Baden, die ihrerseits stets eng mit der oberrheinischen Metropole Straßburg verbunden war. Die Rolle von Speyer ist nicht mehr abzuschätzen, da alle zum Vergleich geeigneten Werke vernichtet sind. Im Laufe des 16. Jahrhunderts bis zur Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges scheint der künstlerische Einfluß der württembergischen Zentren kontinuierlich anzuwachsen, wobei die Rolle der Heilbronner Werkstätten bislang nicht deutlich zu umreißen ist.

Zitationshinweis:

DI 20, Großkreis Karlsruhe, Einleitung, 5. Kunsthistorische Bemerkungen (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di020h007e002.

  1. 62.Vgl. R. Becksmann, in: CVMA II 1, S. LIXff.; U. Frommberger-Weber, Spätgotische Buch- und Tafelmalerei in den Städten Speyer, Worms und Heidelberg (1440–1510). Diss. phil. 1971, erschienen in: ZGO NF. 82 (1973) 35ff. (Buchmalerei) und Kunst in Hessen und am Mittelrhein 14 (1974) 49ff. (Tafelmalerei). »
  2. 63.Eine Zusammenstellung der Heidelberger Werkstätten bei Seeliger-Zeiss, Lorenz Lechler 158ff. – Zum „Meister der Kniegrabsteine“ vgl. R. Schnellbach, Spätgotische Plastik im unteren Neckargebiet. Heidelberg 1931, 47ff.; ferner DI. XII (Heidelberg) nr. 142; DI. XVI (Mannheim, Sinsheim) nr. 92»
  3. 64.Zu diesem Begriff vgl. F. Arens, in: Das Münster 25 (1972) 333ff.; RDK 6 (1973) Sp. 572ff. »
  4. 65.Vgl. die Stifterscheiben für Neckarsteinach, datiert 1483, und Langenburg (Hohenlohekreis), datiert 1499, nunmehr Konbergers Werkstatt zugeschrieben; dazu CVMA II 1, S. LIX (m. Abb.). Zu Konbergers Aktivitäten vgl. Seeliger-Zeiss, Lorenz Lechler 126. – Zum hier als vorbildlich angesprochenen Typus der Stifterscheibe vgl. R. Becksmann, in: Vitrea dedicata. Berlin 1975, 82ff. »
  5. 66.Klemm, Württembergische Baumeister u. Bildhauer 119ff.; Rott, Quellen u. Forschungen III, Oberrhein 1, 24 (zu Speyer): M. Tripps, in: Jahrb. f. schwäbisch-fränkische Geschichte 27 (1973) 110ff. »
  6. 67.Abgesehen vom Dom bestanden in Speyer um 1500 drei Kollegiatstifte, zwölf Klöster und eine Fülle von Pfarrkirchen; Beschreibung der einzelnen Bauten in KdmBayem, Pfalz III (Stadt u. Bez. Amt Speyer). München 1934, 410ff., 442ff 458ff., 506ff. »
  7. 68.Für die Kunsttätigkeit in den Zentren der Markgrafschaft vgl. KdmBaden IX 6 (Pforzheim) und XI 1 (Stadt Baden-Baden); ferner E. Zimmermann (Plastik) und J. M. Fritz (Goldschmiedekunst) in: Kat. d. Ausst. Spätgotik am Oberrhein 69ff., 224ff. Für die Glasmalerei vgl. R. Becksmann, in: CVMA II 1, S. XXVf. »
  8. 69.Kat. d. Ausst. Spätgotik am Oberrhein nrr. 23, 49–51 (in. Abb. und weiterführender Lit.); dazu ergänzend M. Ohnmacht, Das Kruzifix des Nicolaus Gerhaert von Leyden in Baden-Baden von 1467. Frankfurt a. M. 1973 (Europ. Hochschulschriften R. 28 Bd. 2). »
  9. 70.Heute Durlach, ev. Stadtkirche; zuletzt dazu H. Huth u. H. Laube, in: Bad. Heimat 56 (1976) 329–340. – Auf dem Kreuzesstamm ehemals die Jahreszahl 1560; da ihre Überlieferung zweifelhaft ist, wurde das Kreuz im vorliegenden Inschriftenband nicht aufgenommen. »
  10. 71.Diese Mitteilung bei Leichtlen, Gottesau 65f., wurde bisher übersehen. – Zu Hans Spryß vgl. KdmBaden IX 6, 81 , 125ff ., 377; Thieme-Becker 31 (1937) 418 (m. ausführl. Literaturangaben). »
  11. 72.Diesen Begriff prägte E. Lacroix, in: KdmBaden IX 5, 21f. – Der Name geht aus von dem vorherrschenden Dorfkirchentypus der Orte am Hochgestaderand, wie Eggenstein, Knielingen, Hochstetten etc. »
  12. 73.Vgl. KdmBaden IX 5, 168. »
  13. 74.Zuletzt aufgegriffen von H. Koepf, Die Heilbronner Kilianskirche und ihre Meister. Heilbronn 1961 (Veröffentl. d. Archivs d. Stadt Heilbronn 6). – Dagegen F. W. Fischer, Die spätgotische Kirchenbaukunst am Mittelrhein 1410–1520. Heidelberg 1962, 208 (Heidelberger Kunstgeschichtl. Abhandlungen NF. 7); Seeliger-Zeiss, Lorenz Lechler 74ff. »
  14. 75.Vgl. CVMA II 1, S. LVIIf. (m. Abb.). »
  15. 76.Zu Forster zuletzt DI. XII (Heidelberg) nrr. 247, 248, 260, 281. Nachzutragen ist, daß Forster vermutlich mit einem 1542 im Dienst des Pfalzgrafen Ottheinrich in Neuburg stehenden „Chuntzen Vorster“ identisch ist und damit dem Frührenaissance-Kunstkreis im Bereich Neuburg-Landshut-Augsburg entstammen dürfte; Beleg bei Rott, Quellen und Forschungen III. Oberrhein 1, 51f.; Textband 35ff. »
  16. 77.Nämlich nrr. 205, 208, 211, 215f., 237, 240; ferner das Neunheller-Epitaph in Ladenburg, datiert 1555 (DI. XVI (Mannheim, Sinsheim) nr. 121); weitere gesicherte Werke in Ochsenburg (Kr. Heilbronn). Zu Lambsheim vgl. KdmBayern, Pfalz VIII (Frankenthal) 352 u. Abb. 278. »
  17. 78.Den Namen prägte H. Rott; vgl. Rott, Durlach 33ff. (mit Werkverzeichnis). »
  18. 79.Zu Schoch zuletzt W. H. Köhler, Das Lusthaus Gottesau in Karlsruhe und der Friedrichsbau in Heidelberg. Diss. phil. Heidelberg (1964). »
  19. 80.Dazu ausführlich Rott, Durlach 56ff. – Für die Schloßkapelle ist der Programmentwurf von der Hand des J. K. Jennich, 1592 Superintendent zu Durlach, 1607–17 zu Pforzheim, erhalten. »
  20. 81.Über Kraus vgl. Rott, Durlach 53ff.; Fleischhauer, Renaissance 69, 348. »
  21. 82.Zu Jakob Müller ebd. 360ff.; ferner vgl. DI. XVI (Mannheim, Sinsheim) nrr. 297, 306. – Zu Melchior Schmidt vgl. J. Baum, in: Thieme-Becker 30 (1936). »
  22. 83.Fleischhauer, Renaissance 129ff. »
  23. 84.Ebd. 148ff., 358ff., 364. »
  24. 85.Vgl. DI. XII (Heidelberg) nrr. 365, 370, 371»
  25. 86.Es handelt sich um die Epitaphien des Dietrich von Außke (gest. 1588) und Sebastian Uriel von Aptenzell (gest. 1589), beide Heidelberg, Peterskirche, sowie um die Doppelepitaphien des Heinrich von Handschuhsheim (gest. 1588) und seiner Gemahlin, ferner für beider Kinder (gest. 1588 u. 1599), beide in Handschuhsheim (Stadt Heidelberg), St. Vitus. – Vgl. DI. XII (Heidelberg) nrr. 410, 424, 522, 523 (die zwei letzteren hier mit der zu späten Ansetzung um 1600). »
  26. 87.Vgl. Anm. 82. »
  27. 88.Zu dem Brackenheimer Epitaph vgl. A. Schahl, Die Johanniskirche in Brackenheim. Brackenheim 1959, 34f. (m. Abb.). »
  28. 89.Schahl a. a. O. Nr. 24 u. 28, Abb. S. 51 u. 52. »
  29. 90.Epitaph des Ph. Raumajer (gest. 1647) und seiner Gemahlin Concordia (gest. 1656); vgl. OAB Leonberg 607. »
  30. 91.Fleischhauer, Renaissance 349ff. »
  31. 92.KdmBaden IX 6, 159 nr. 1 und Abb. 132, 135. »
  32. 93.Ausgesprochen durch A. Schahl a. a. O. (Anm. 88); ders., in: Kunstbrevier Neckarschwaben, Stuttgart (1966), 196, 287. »
  33. 94.Bretten, Ev. Pfarr-Archiv, Ehebuch fol. 165; Totenbuch fol. 676, 679, 697, 704. »