Inschriftenkatalog: Greifswald

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 77: Greifswald (2009)

Nr. 100 St. Marien 1411

Beschreibung

Wandmalerei. In der zweiten Kapelle des südlichen Seitenschiffs (Essen’sche Kapelle bzw. Gedächtniskapelle). Im Jahr 1865 erstmals, später noch mehrere Male freigelegt,1) 1954–1956 durch den Kirchenmaler Hoffmann,2) vor 1984 sowie ein weiteres Mal wohl 1988 restauriert.3) Vier Passionsszenen an der westlichen und östlichen Kapellenwand. Pyl beschrieb im Jahr 1885 noch einen älteren, dem Original näheren Zustand. Heute sind die Inschriften teilweise entstellt wiedergegeben (C, D) oder übermalt (A). Die Szenen werden oben und an den Seiten begrenzt von vegetabilen bzw. geometrischen Friesen, unten durch zwei Weiheinschriften. Ornamentaler Bildhintergrund mit Sternenmuster. An der Westwand oben der kniende Christus am Ölberg, links drei schlafende Jünger. Im Hintergrund hinter einem Palisadenzaun Soldaten und Judas, dem ein nicht erhaltenes Spruchband (A) beigegeben war; darunter Christus an der Geißelsäule. An der Ostwand oben die Kreuztragung; darunter die Kreuzigung mit dem Titulus B, unter dem Kreuz Maria, von einem Schwert durchbohrt und ein offenes Buch haltend, sowie Johannes, auf den Kreuzesfuß zeigend. Außen zwei weitere Figuren, deren ursprüngliche Identität fraglich ist, links heute Nikolaus mit dem nur teilweise erhaltenen Bischofsstab, rechts heute ein Apostel mit einer Walkerstange (Jakobus d. J.).4) Die drei männlichen Figuren halten geschlossene Bücher in den Händen. Unterhalb der Szenen an der Westwand die dreizeilige Inschrift C, der Zeilenbeginn jeweils an der Südwand. An der Ostwand die einzeilige Inschrift D, das nicht mehr lesbare Textende an der Südwand. Worttrenner in Inschrift D Rauten oder Punkte mit vier angesetzten kleineren Punkten.

Inschrift A nach Haselberg.

Maße: Bu. ca. 3 cm (B), ca. 10 cm (C, D).

Schriftart(en): Majuskel (B), Minuskel mit Versalien (C, D).

Jürgen Herold [1/4]

  1. A†

    iste est e(u)ma) teneteb)5)

  2. B

    I(ESUS) ˑ N(AZARENUS) ˑ R(EX) ˑ I(UDAEORUM)c)6)

  3. C

    Anno [d](omi)nid) ˑ M // cccc° ˑ xi° ˑ hec ˑ cappella ˑ e(st) ˑ (con)sec(r)atae) ˑ in ho(no)re ˑ o(mn)ipote(n)t(is) ˑ dei ˑ (et)f) ˑ ap(osto)lorum ˑ ˑ / philippi ˑ (et) ˑ iacobi ˑ // [i]oh(ann)is ˑ ba[p]tiste ˑ georgii ˑ s(an)c(t)e ˑ kate(r)ine ˑ barbare ˑ ˑ / dorothee ˑ (et) ˑ m(arie)g) ˑ // magdale/neh)

  4. D

    Hui(us) ˑ cappelle ˑ dedicac(i)o(n)is ˑ dies ˑ celebrat(ur) ˑ an(n)uati(m) ˑ in die ˑ s(an)c(t)i ˑ // [ - - - ]i)

Übersetzung:

Dieser ist es, nehmt ihn fest. (A) Im Jahr des Herrn 1411 wurde diese Kapelle zu Ehren des allmächtigen Gottes und der Apostel Philippus und Jakobus, Johannes des Täufers, Georgs, der Heiligen Katharina, Barbara, Dorothea und Maria Magdalena geweiht. (C) Der Tag der Weihe dieser Kapelle wird jährlich am Tag des heiligen (...) gefeiert. (D)

Kommentar

Zur Stiftung und zur Weihe der Kapelle der Heiligen Philippus, Jakobus und Johannes Bapt. sowie weiterer Heiliger liegen keine über die Inschriften hinausgehenden Informationen vor. Die Kapellenausmalung gehört zu den besterhaltenen Beispielen in Nordostdeutschland.7)

Textkritischer Apparat

  1. e(u)m] Ungebräuchliche Abkürzung, ursprünglicher Befund wahrscheinlich eu(m).
  2. iste est e(u)m tenete] Jste est i[esus] c[hristus] tenete eum Pyl, Greifswalder Kirchen. Jste est / tene te Pyl, Wandgemälde.
  3. I N I R Pyl.
  4. Anno [d](omi)ni] Inschrift bis hier bei Rohde ergänzt, also 1940 nicht mehr erhalten.
  5. (con)sec(r)ata] Vorletztes, offenes a als Kürzungszeichen hochgestellt.
  6. (et)] Hier und in allen weiteren Fällen tironisches et mit durchstrichenem Schaft.
  7. m(arie)] Kürzungszeichen fehlt. Buchstabe fehlt Rohde.
  8. Die beiden letzten Buchstaben kleiner unter der Zeile.
  9. An der Südwand nur noch unleserliche Buchstabenreste, unsachgemäß restauriert.

Anmerkungen

  1. Pyl, Wandgemälde, S. 43f.; Berckenhagen, Wandmalereien, S. 90. Da Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 508f., nur die Inschriften A und B wiedergibt, waren C und D wohl 1885 noch nicht freigelegt.
  2. Baier, Denkmale, S. 94. Aus dieser Phase stammen die teilweise verfremdenden Übermalungen.
  3. Mehrere Schreiben der Jahre 1986–1988 im Pfarrarchiv der Kirchengemeinde St. Marien lassen auf eine solche Restaurierung schließen. Für Informationen zu den Restaurierungen der 1980er Jahre danken wir Herrn Joachim-Paul Gürke, Stralsund.
  4. Rechte Figur Petrus mit einem Schlüssel (so Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 509). Dem ersten Zustandsbericht (Pyl, Wandgemälde, S. 44) zufolge trug die dritte Figur eine Lanze, die vierte „wahrscheinlich den Stab mit dem Essigschwamm“. Neben Maria und Johannes identifizierte Berckenhagen, Wandmalereien, S. 92, Judas Thaddäus (mit Keule) und Jakobus d. J., dessen Walkerstange er nicht sicher sah.
  5. Mt. 26,48 (ipse est tenete eum).
  6. Io. 19,19.
  7. Vgl. Grewolls, Kapellen, S. 85.

Nachweise

  1. Pyl, Wandgemälde, S. 44 (A).
  2. Haselberg, Kreis Greifswald, S. 109 (A).
  3. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 508f. (A, B).
  4. Rohde, Marienkirche, S. 74, Anm. 66 (C, D).
  5. Berckenhagen, Wandmalereien, S. 90–92.
  6. Thümmel, Inschriften, S. 129f. (C, D).
  7. Grewolls, Kapellen, S. 86f., Abb. 70f.

Zitierhinweis:
DI 77, Greifswald, Nr. 100 (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0010005.