Inschriftenkatalog: Greifswald

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 77: Greifswald (2009)

Nr. 8 Schwerin, Landesamt für Kultur und Denkmalpflege vor 1318

Beschreibung

Becher.1) Glas mit Email- und Goldbemalung. Der Glasbecher wurde 1997 im Latrinenschacht des Grundstücks Baderstr. 1 (Ecke Lappstraße) ausgegraben, der „kurz nach 1308“ in Benutzung genommen und „spätestens um 1318“2) aufgegeben wurde. Die vielen Bruchstücke lassen sich zu einem fast vollständigen Gefäß zusammensetzen. Auf der Wandung ist zwischen Blattwerk dreimal ein Pelikan dargestellt, der sich die Brust öffnet und dessen Blutstropfen von drei darunter im Nest sitzenden Jungen aufgenommen werden. Über diesen Szenen zwischen jeweils drei Linien die in heute dunkel erscheinender Farbe aufgemalte Inschrift in Scriptura continua.3) Links und rechts neben dem Tatzenkreuz, das den Anfang der Inschrift markiert, jeweils vier senkrecht angeordnete Punkte.

Maße: H. 11,9 cm, Dm. 7,2 cm (unten), 10,6 cm (oben). Bu. 0,8 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern [1/2]

  1. + IVVENES SVM(VS)a) DVM [T]E(M)PV(S)b) HABEM(VS)c)

Übersetzung:

Wir sind jung, solange wir Zeit haben.

Kommentar

Die Inschrift zeigt einfachere Buchstabenformen als diejenige auf einem zweiten, in Stralsund (Neuer Markt 7/8) gefundenen, ähnlich gut erhaltenen Becher.4)

Allgemein werden „diese emailbemalten Glasbecher (...) in die zweite Hälfte des 13. und in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert“.5) Für den Greifswalder Fund lässt sich mit der Aufgabe des Latrinenschachts, in dem der Becher gefunden wurde, in den Jahren um 1318 ein relativ genauer Terminus ante quem bestimmen. Importierte Gefäße dieser Art deuten auf einen gehobenen Lebensstandard der Besitzer und lassen sich mittlerweile in beträchtlicher Anzahl in Mitteleuropa nachweisen.6)

Auch auf anderen Glasbechern lassen sich sprichwortähnliche Aussagen wie etwa ‚Amor vincit omnia‘ nachweisen.7) Des Weiteren finden sich häufig ‚Ave (Maria) gracia plena‘8) und – so auch auf dem Stralsunder Exemplar – Meisterinschriften. Wer zu Beginn des 14. Jahrhunderts das Greifswalder Grundstück Baderstr. 1 besaß, lässt sich nicht mehr feststellen.

Textkritischer Apparat

  1. SVM(VS)] Kürzungszeichen fehlt.
  2. [T]E(M)PV(S)] Abschließendes Kürzungszeichen fehlt.
  3. HABEM(VS)] us-Haken ausgeführt in Form eines links geschlossenen unzialen M (wie der vorhergehende Buchstabe).

Anmerkungen

  1. LAKD, Archäologisches Landesmuseum, Schloss Wiligrad, Inv.-Nr. 1997/415,777.
  2. Schäfer, Glasbecher, S. 275.
  3. Die Fäkalien der Abfallgrube, in der der Becher gefunden wurde, haben die ursprünglich aufgetragenen Farben des Glasbechers verändert; dazu Schäfer, Glasbecher, S. 276f.
  4. Vgl. dazu künftig den Band ‚Die Inschriften der Stadt Stralsund‘.
  5. Schäfer, Glasbecher, S. 281.
  6. Dazu Steppuhn, Tafelglas, S. 330. Für Mecklenburg-Vorpommern lassen sich Fragmente von weiteren, vergleichbaren Glasbechern in Rostock, Stralsund und Greifswald nachweisen (Schäfer, Glasbecher, S. 280); vgl. Kat.-Nr. 34.
  7. Vgl. einen Fritzlarer Fund, Kat. Phönix, S. 134f. (Nr. 81).
  8. Vgl. Kat. Phönix, S. 130 (Nr. 74), S. 133 (Nr. 79) etc.

Nachweise

  1. Schäfer, Glasbecher, S. 277–279 (mit Abb.).
  2. Steppuhn, Tafelglas, S. 330, Abb. 1, 2.

Zitierhinweis:
DI 77, Greifswald, Nr. 8 (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0000806.