Inschriftenkatalog: Greifswald

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 77: Greifswald (2009)

Nr. 266 St. Nikolai 1595

Beschreibung

Epitaph für den Generalsuperintendenten Jakob Runge. Öl auf Holz. Die hochrechteckige Tafel ist an der Ostwand der vierten Kapelle im südlichen Seitenschiff aufgehängt. Bei dieser, der sog. Akademischen Kapelle, handelt es sich wohl auch um den ursprünglichen Standort.1) Vor 1989 restauriert.2) Das Epitaph besteht aus einem Gemälde mit einer überlebensgroßen Darstellung des stehenden Verstorbenen und einer darunter angebrachten, querrechteckigen Schrifttafel, beide von einem wohl zu Beginn des 19. Jahrhunderts weiß gefassten Renaissance-Rahmen mit Beschlagwerk und Gesims umgeben. Der Verstorbene hat die rechte Hand grüßend erhoben, mit der linken blättert er in einem schräg auf einem Tisch liegenden Buch. Auf der Schrifttafel (A) wurden kleinere Fehlstellen teilweise mit schwarzer Farbe ausgefüllt, wodurch geringer Schriftverlust eingetreten ist, oder ergänzt. Die Schrifttafel wird durch eine senkrechte Linie geteilt und am rechten und linken Rand durch Rankenornamente gefüllt. Die erste, zentrierte Zeile der aufgemalten Inschrift läuft über beide Spalten hinweg, die Zeilen der linken Spalte sind rechtsbündig, die der rechten Spalte gestaffelt zentriert angeordnet. Im Gemälde unterhalb der Kante des rechten Buchdeckels Inschrift B, im Rahmen der Restaurierung vor 1989 aufgedeckt.

Maße: H. 300 cm (mit Rahmen), Br. 160 cm. Bu. 1,1 cm (A), 0,5 cm (B).

Schriftart(en): Humanistische Minuskel und Kapitalis mit Versalien (A), lateinische Schreibschrift (B).

Jürgen Herold [1/2]

  1. A

    IACOBVS RVNGIVS STARGARDIAE POMERANOR(VM) NATVS A(NNO) D(OMINI) MDXXVIIa). DIVI LVTHERI Sÿncerus Auditor, (et)b) Discipulusˑ / Artium Cÿclopaediam primâ aetate in ACADEM(IA) GRYPHISWALDE(N)SI profess(us)ˑ / Inde PASTOR in hac AEde Sacra: / Nec multo post SVPERINTENDENS GENERALIS / Pomeran(iae) Occidentalis designat(us). / S(ACRO)S(ANCTAE) THEOLOGIAE DOCTOR Creat(us), Ecclesiae (et) Academiae / totos XLVII annos Summa Vigila(n)tia deservivit. / ORDINEM Ecclesiasticu(m) cum alijs Harmostis pijs / (et) Doctis condere primum: (et) ILLVST(RISSIMVM) PRINCIPVM / Auspicijs Statuumq(ue) Provincialiu(m) Suffragijs Solenniter / Comprobatu(m), (et) Promulgatu(m), in sua Diaecesi Consta(n)ter tueri Studuit. / PHILIPPI MELANTH(ONIS) et D(omini) BRENTII in Colloquio Wormatiensi / parastates fidelis Anno 1557. / Sÿnodor(um) Prouincialium plus vicies actarum, vel assessor, vel praeses. / ORTHODOXAE DOCTRINAE Assertor Religiosissimus: per varia / Certamina domi forisq(ue) grauiter exercitatus: / Scriptis Didacticis (et) Polemicis PATRIAE apprimec) utilis (et) not(us): //IVRISDICTIONIS Ecclesiasticae (et) Academicae propugnator acerrim(us) / Caeteroquin Autoritate, Doctrina, Eloquentia, Prudentia, Consilio, (et) / Vsu rerum, pijs bonisq(ue) venerandus / QVI postquam Certamen bonum cum FIDE, (et) BONA Conscientia / ad extremum usq(ue) decertâsset,d)3) Cursu(m) suum laboriosissimum bene beateq(ue) / consum(m)avit ANNOS NATVS LXVII MENSES VI. / OBIIT pie, (et)e) placide: ANNO AERAE Christianaef) / MDXCVg). III IDVS IANVARI[I] / CVM CATHARINA GERSCHIA Coniuge pia (et) H[o]/nesta vixit Annos XLII: Ex qua [filios]h) / V (et) Filias IV suscepit. / Horum OCTO Superstites; HOC MONVMENTVM / SANCTIS (et) optime de Ecclesia, Schola, (et) Familia / meritis MANIBVS / DICANT, LOCANT, CONSECRANT. / Sÿmbolum D(omini) IACOBI RVNGII. / Si Hominib(us) placerem DEI Minister non essem.4) Galat. I.

  2. B

    M. Neht(er)i)

Übersetzung:

Jakob Runge, im pommerschen Stargard im Jahr des Herrn 1527 geboren. Der treue Hörer und Schüler des geheiligten Luther war in seiner Jugend Professor für den Lehrkurs der Artes an der Universität Greifswald, danach Pfarrer in diesem heiligen Gotteshaus; wenig später wurde er zum Generalsuperintendenten des westlichen Pommern berufen. Zum Doktor der hochheiligen Theologie ernannt, diente er ganze 47 Jahre mit höchster Umsicht der Kirche und der Universität. Die Kirchenordnung bemühte er sich zunächst mit anderen frommen und gelehrten Vorstehern zu begründen und, nachdem sie unter den Auspizien der erlauchten Fürsten und durch Abstimmung der Provinzialstände feierlich gebilligt und bekanntgemacht war, in seiner Diözese stets zu erhalten. Auf dem Wormser Religionsgespräch vom Jahr 1557 war er Philipp Melanchthon und Herrn Brenz ein treuer Helfer. Mehr als zwanzig Mal nahm er an Sitzungen der Provinzialsynoden teil, entweder als Beisitzer oder als Vorsitzender, ein äußerst frommer Beschützer der rechten Lehre. Durch vielerlei Kämpfe zu Hause und außerhalb war er schwer geplagt, durch lehrreiche und kämpferische Schriften dem Vaterland außerordentlich nützlich und bekannt.Er war ein leidenschaftlicher Vorkämpfer der kirchlichen und akademischen Rechtsprechung und im Übrigen wegen seiner Autorität, Bildung, Beredsamkeit, Klugheit, politischen Weitsicht und praktischen Tüchtigkeit den Frommen und Guten verehrungswürdig. Nachdem er einen guten Kampf mit Glauben und gutem Gewissen bis zum Ende gekämpft hatte, vollendete er seinen äußerst mühevollen Lebenslauf gut und selig im Alter von 67 Jahren und sechs Monaten. Er starb fromm und friedlich im Jahr 1595 christlicher Zeitrechnung am dritten Tag vor den Iden des Januar (11. Januar). Mit Katharina Gerschow, seiner frommen und ehrenwerten Ehefrau, lebte er 42 Jahre. Von ihr bekam er fünf Söhne und vier Töchter, von denen acht überleben, (die) dieses Denkmal der heiligen und um Kirche, Schule und Familie hochverdienten Seele (des Toten) stiften, aufstellen und weihen. Devise des Herrn Jakob Runge: Wäre ich den Menschen gefällig, wäre ich nicht Gottes Diener. (A)

Kommentar

Auf diesem Epitaph ist die einzige vollständig erhaltene Greifswalder Inschrift in humanistischer Minuskel überliefert. y wird durch zwei übergeschriebene Punkte gekennzeichnet. In der Buchstabenverbindung ij, die mit und ohne Punkte vorkommt, ist i durch das nach rechts umgebogene untere Schaftende mit dem geraden Schaft der i longa verbunden.

Jakob Runge, „der neben Bugenhagen wohl bedeutendste Reformator in Pommern“,5) wurde am 15. Juni 1527 in Stargard (Stargard Szczeciński) geboren und starb am 11. Januar 1595 in Greifswald. Nach dem Studium in Wittenberg hielt er seit 1547 Vorlesungen an der Greifswalder Artistenfakultät und wurde 1551 das erste Mal Rektor der Universität.6) Er lehrte seit 1551 auch an der Theologischen Fakultät und erwarb 1558 den theologischen Doktorgrad.7) 1551 oder 1552 wurde er Pfarrer an St. Nikolai, 1553 auch städtischer Superintendent.8) Er vertrat seit 1552 Johannes Knipstro als Generalsuperintendent für Vorpommern und wurde schließlich 1557 dessen Nachfolger als höchster Geistlicher des Herzogtums Pommern-Wolgast.9) Seit 1564 bewohnten er und seine Nachfolger das Haus Domstr. 14.10) Auf den Generalsynoden des 16. Jahrhunderts, die oft in St. Nikolai stattfanden, wurden Fragen der Kirchenverwaltung und der lutherischen Lehre behandelt.11) An diesen sowie an der Neufassung der pommerschen Kirchenordnung von 1563 war Jakob Runge entscheidend beteiligt.12) Seine Funktion als Präses (1563–1595) des neu geschaffenen Greifswalder Konsistoriums, des höchsten kirchlichen Gerichts im Herzogtum,13) wird in der Inschrift nicht erwähnt. Seine Ehefrau Katharina Gerschow, eine Nichte des Johannes Knipstro, hatte er 1549 geheiratet. Der Inschrift auf der Grabplatte der Eheleute zufolge (Kat.-Nr. 267) starb sie am 28. April 1591. Die Vita des Jakob Runge zeigt exemplarisch die für Greifswald typische Verbindung von geistlichem Amt, Lehrtätigkeit an der Universität und Leitung der lutherischen Kirche in Pommern.

Der Maler Matthias Nehter, dem Inschrift B zuzuordnen sein dürfte, war seit 1596 Hofmaler der Herzöge von Pommern-Stettin und starb 1603.14)

Textkritischer Apparat

  1. MD] Neulateinische Zahlzeichen.
  2. Hier und in den folgenden Fällen kursive et-Ligatur.
  3. apprime] inprimis Balthasar, Dähnert.
  4. decertasset] concertasset Dähnert.
  5. pie, (et)] Fehlt Balthasar, Dähnert.
  6. AERAE Christianae] Fehlt Balthasar, Dähnert.
  7. MD] Neulateinische Zahlzeichen.
  8. [filios]] Ergänzt nach Dähnert. Am Original heute Schadstelle.
  9. Zu dieser Künstlersignatur vgl. den Kommentar.

Anmerkungen

  1. Vgl. Biederstedt, Nikolaikirche, S. 47. Im späten 19. Jahrhundert befand es sich im nördlichen Seitenschiff (Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 438).
  2. Dazu Blühm, Ausstattung, S. 53.
  3. II Tim. 4,7 (Bonum certamen certavi ...).
  4. Gal. 1,10 (Si adhuc hominibus placerem Christi servus non essem.).
  5. Alvermann/Dahlenburg, Köpfe, S. 171. Zu Jakob Runge s. Gummelt, J. Runge; DI 55 (Landkreis Rügen), Nr. 72; am ausführlichsten Balthasar, Sammlung 2, S. 387–642. Vgl. auch das Leichenprogramm für Jakob Runge in UB Greifswald, Vitae Pomeranorum, Bd. 32; Bd. 152, der ehemals ein Trauergedicht enthielt, ist nicht erhalten.
  6. Ältere Matrikel Greifswald 1, S. 233, 237, 240.
  7. Ältere Matrikel Greifswald 1, S. 237, 251 (Promotion).
  8. Heyden, Greifswald-Land, S. 81, 132.
  9. Zur Entstehung der pommerschen Generalsuperintendentur, die seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der Pfarrerstelle von St. Nikolai und der Ersten Theologischen Professur an der Universität Greifswald verbunden war, vgl. Heyden, Greifswald-Land, S. 131f.; Buske, Jacobikirche, S. 64; Schleinert, Kirchenpatron, S. 104.
  10. Schönrock, Strukturen, S. 25f.
  11. Dazu Buske, Kirchengeschichte, S. 176.
  12. Zur Kirchenordnung vgl. Buske, Jacobikirche, S. 55f., 59, 64.
  13. Vgl. Buske, Jacobikirche, hier S. 78.
  14. Vgl. Thieme/Becker/Vollmer, Künstler 25/26, S. 398, s. v. Nether, Thomas[!].

Nachweise

  1. Balthasar, Sammlung, 2, S. 632f.
  2. Dähnert, Denkmale, S. 285 (Nr. XXX).
  3. Thümmel, Inschriften, S. 128.
  4. Magin, Leuchten, S. 80f., Anm. 55 (alle A).

Zitierhinweis:
DI 77, Greifswald, Nr. 266 (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0026608.