Inschriftenkatalog: Greifswald

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 77: Greifswald (2009)

Nr. 156† Franziskanerkonvent St. Peter und Paul 15.Jh.

Beschreibung

Gewölbemalerei(?). Die Inschrift war „wahrscheinlich im Langhause“ der Kirche1) aufgemalt oder, weniger wahrscheinlich, an einem Lesepult bzw. einer Kanzel2) in „großen Minuskeln“3) angebracht.

Inschrift nach Leichenpredigt.

  1. Jesus Christus unse SaligkeitDe de bitter Marter vör uns Sünder leitHe leit grote Jammer unn grote NohtHe hefft dörch unsen Willen vergaten syn Bloth so roth5Des willen wi em dancken der bittern Marter synDat he uns hefft verlößt uht der Höllen Pyna)Lieff unn Seel wil he uns bewahren Wenn wie arme Sunners nah Hemmel sälen fahrenSo lutter unn so klar als Gott vom Himmel qvam 10He is warer Gott unn Minsch Jesus Marien Söhn Minsch du salt glöven unn holden Gades Gebodt Holden wi denn de Gebade Gades nich So möten wi tho der Höllen dortho sind wi verplicht So ehren wi Gott den Vader unn den Söhn 15Unn den hylgen Geist im Himmels Thron Amen

Übersetzung:

Jesus Christus, unsere Seligkeit, der für uns Sünder die bittere Marter erlitt, er litt großen Jammer und große Not, er hat um unseretwillen sein rotes Blut vergossen. Darum wollen wir ihm für seine bittere Marter danken, dass er uns aus Höllenpein erlöst hat. Leib und Seele wird er uns bewahren, wenn wir armen Sünder zum Himmel auffahren sollen so rein und so klar wie Gott vom Himmel kam. Er ist wahrer Gott und Mensch, Jesus, Sohn Mariens. Mensch, du sollst glauben und Gottes Gebot einhalten. Halten wir aber die Gebote Gottes nicht, müssen wir in die Hölle, dazu sind wir verpflichtet. So ehren wir Gott, den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist im Himmelsthron. Amen.

Kommentar

Da die Greifswalder Klöster und Konvente nach 1531 aufgelöst wurden, ist die Inschrift sicher vor diesem Zeitpunkt angebracht worden. Der Lautstand spricht nicht gegen eine Datierung ins 15. Jahrhundert. Die älteste Überlieferung der didaktischen Verse findet sich in der 1702 gehaltenen Leichenpredigt für Margarete Caden.4) Diese Version wird hier wiedergegeben – auch wenn sie zahlreiche Formen aufweist, die wohl nicht dem Niederdeutsch des 15. Jahrhunderts entsprechen (Noht, lieff, sälen, lutter, ehren) –, weil alle späteren Überlieferungen auf die Leichenpredigt zurückzuführen sind. Die jüngste, von Pyl gebotene Fassung zeichnet sich dadurch aus, dass sie zwar wortidentisch, aber das Resultat einer hypothetischen Rücktransformation des Textes ins Niederdeutsche ist.5) Da zu den Versen 9–11 (qvam, Söhn, Gebodt) jeweils die passenden Reime fehlen und zudem der Gedankengang bruchstückhaft wirkt, sind hier möglicherweise drei Zeilen ausgefallen.

Der Inhalt des Spruchs lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Das Leiden Christi stellvertretend für alle Gläubigen bildet die Grundlage dafür, dass sie der göttlichen Gnade und der Auferstehung teilhaftig werden können. Damit diese göttliche Gnade jedoch wirksam wird, sind die Gläubigen ihrerseits verpflichtet, Gottes Gebote zu halten und – über die Verse hinaus zu ergänzen – gute Werke zu tun. Es handelt sich hier um typische Inhalte spätmittelalterlicher Laienfrömmigkeit.6)

Textkritischer Apparat

  1. Inschrift bis hier bei Kosegarten wiedergegeben.

Anmerkungen

  1. „(...) an dem oberen Gewölbe der Kirche, wahrscheinlich im Langhause“ nach Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 1096. In der Höhe der Kirche nach Balthasar, Merkwürdigkeiten, 15. Stück, S. 114, ähnlich Dähnert, Jubel-Feier, S. 120; „oben an einer Wand der Kirche“ nach Kosegarten, Universität 1, S. 116.
  2. In templi huius ambone nach Leichenpredigt.
  3. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 1096.
  4. Die Leichenpredigt ist zum einen überliefert in UB Greifswald, Vitae Pomeranorum, Bd. 6. Zum anderen liegt ein Blatt mit der Textpassage, in der die Inschrift zitiert wird, in UB Greifswald, MS 390 (Dreger/Schwarz, Historia), Bl. 50bis.
  5. Die Umlaute wurden rückgängig gemacht, an die Stelle der Vorsilbe ver- setzt Pyl überall vor-, statt vnde die Form unn.
  6. Vgl. dazu Hamm, Rechtfertigungslehre, hier S. 7–9.

Nachweise

  1. UB Greifswald, MS 390 (Dreger/Schwarz, Historia), Bl. 50bis (Leichenpredigt).
  2. Balthasar, Merkwürdigkeiten, 15. Stück, S. 114f.
  3. Dähnert, Jubel-Feier, S. 120, Anm. 7.
  4. Kosegarten, Universität, 1, S. 116.
  5. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 1096, Anm. 2.

Zitierhinweis:
DI 77, Greifswald, Nr. 156† (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0015607.