Inschriftenkatalog: Greifswald

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 77: Greifswald (2009)

Nr. 109 St. Marien 1418

Beschreibung

Glocke. Bronze. Die sog. Betglocke hatte wohl schon seit ihrem Guss eine schadhafte Krone, die in der Folgezeit weiter beschädigt bzw. abgetrennt wurde. Nach der Erneuerung der Krone im Jahr 2008 wurde die Glocke wieder im Glockenstuhl angebracht. Ein vierteiliges Ornament auf der Haube oberhalb des Wortes lilivm (A), auf der Flanke unter xviii (B) der Abdruck eines Siegels mit Umschrift.1) Auf dem Schlag ein Rankenfries, darüber ein dreifacher Steg. Die erhaben gegossenen Inschriften unterhalb der Schulter zweizeilig umlaufend, begrenzt von drei Stegen. Als Worttrenner leicht variierende Tatzenkreuze.

Maße: H. 120 cm (ohne Krone), 46 cm (Krone), Dm. 160 cm (nach Peter). Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Jürgen Herold [1/1]

  1. A

    ˑ ave ˑ regina ˑ celorvmˑ mater ˑ regis ˑ angelorvmˑ o ˑ maria ˑ flos ˑ virginvmˑ velvd ˑ rosa ˑ vel ˑ lilivm / ˑ fvnde ˑ preces ˑ ad ˑ filivmˑ pro ˑ salvte ˑ fidelivm2)

  2. B

    ˑ o ˑ rex ˑ glorie ˑ veni ˑ cvm ˑ pacea) ˑ anno ˑ d(omi)nib) ˑ m° ˑ cccc° ˑ xviiic)

Übersetzung:

Sei gegrüßt, Königin der Himmel, Mutter des Königs der Engel, o Maria, Blüte der Jungfrauen, gleich einer Rose oder Lilie, richte Gebete an den Sohn für das Heil der Gläubigen. (A) O König der Herrlichkeit, komm mit Frieden. Im Jahr des Herrn 1418. (B)

Kommentar

Auf der Grundlage der Kirchenrechnungen vermutete Pyl zunächst, die im Jahr 1418 erstmals gegossene Glocke sei 1614 schadhaft gewesen und umgegossen worden. Dabei habe der Glockengießer Dinnies Droyse die alte Inschrift auch auf der neuen sog. Betglocke angebracht.3) Wenig später korrigierte er diese Angaben: Die mit der Jahreszahl 1418 versehene Glocke sei mit der sog. Apostelglocke in den Kirchenrechnungen identisch, die nie umgegossen wurde.4) Diese spätere Schlussfolgerung ist zutreffend. Neben der Schriftgestaltung weisen auch die Ornamente der Glocke sowie der zitierte Marien-Hymnus darauf hin, dass es sich um das 1418 gegossene Original handelt. Aufgrund von signifikanten Ähnlichkeiten in der Schriftgestaltung lässt sich diese Glocke dem Gießer Johannes Karl zuweisen, der im Jahr 1409 eine Glocke für die Kirche von Jarmen (Ldkr. Vorpommern-Greifswald) goss, in deren lateinischer Inschrift er namentlich genannt wird.5)

Der aus einer Ratsfamilie stammende Siegfried Westphal, 1402 sowie 1418 im Jahr des Glockengusses Provisor der Marienkirche,6) ließ seinen Siegelabdruck auf der Glocke anbringen. Er ist seit 1390 als (Mit-)Besitzer mehrerer Häuser in der Büchstraße (heute Johann-Sebastian-Bach-Straße) sowie der Hunnen-, Knopf- und Kuterstraße (heute Baderstraße), ferner in der Steinbeckerstraße und an der Nordseite des Marktes nachzuweisen.7)

Textkritischer Apparat

  1. Inschrift bis hier bei Otte.
  2. Wort ohne Kürzungszeichen.
  3. xviii] XIIIII Pyl, 38.–39. Jahresbericht.

Anmerkungen

  1. Die Siegelumschrift lautet + S(IGILLUM) [S]IFRIDI WESTFAL; die Inschrift in gotischer Majuskel wird unterbrochen durch drei Spitzbögen, die den Wappenschild umgeben; Wappen: wohl drei auf den Spitzen zusammengestellte Lilien. Dieses Wappen Westphal lässt sich in der Literatur nicht nachweisen. Zur Person vgl. den Kommentar.
  2. Hymnus. Vgl. Chevalier, Repertorium 1, S. 122 (Nr. 2072); auch Medieval Music Database (www.lib.latrobe.edu.au/MMDB, Stand: 4.11.2008). Die Fundstellen in den Analecta hymnica stimmen nur bzgl. der Verse 1 und 2 mit dem Wortlaut der Inschrift überein.
  3. Pyl, Nachträge 1, S. 35. Ihm noch folgend Baier, Denkmale, S. 101.
  4. Pyl, Nachträge 2, S. 69. Dieses Missverständnis beruht darauf, dass die jeweils größte Glocke einer Kirche auch Betglocke, die zweitgrößte oft Apostelglocke genannt wurde. Als die größte Glocke der Marienkirche irreparabel beschädigt war, wurde die Glocke von 1418, die eigentliche Apostelglocke, zur (heutigen) Betglocke.
  5. Für diesen wichtigen Hinweis danken wir Claus Peter, Hamm. Das der Arbeitsstelle Inschriften bislang vorliegende Fotomaterial bestätigt diese These grundsätzlich, die Zierstriche an der quadrangelförmigen r-Fahne scheinen jedoch anders gestaltet zu sein. Zur Schriftgestaltung auf der Greifswalder Glocke vgl. Einleitung, Kap. 7.3; zur Glocke in Jarmen vorerst Lemcke, Kreis Demmin, S. 25; Peter, Glockeninventar (St. Marien), S. 3.
  6. Igel, Bürgerhaus, Kapitel 3.9.2, Dokument 170008.
  7. Igel, Bürgerhaus, Dokument 148104, 156102, 162005 und öfter.

Nachweise

  1. Pyl, 38.–39. Jahresbericht, S. 46.
  2. Otte, Glockenkunde, S. 122.
  3. Haselberg, Kreis Greifswald, S. 102.
  4. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 519.
  5. Walter, Glockenkunde, S. 230.

Zitierhinweis:
DI 77, Greifswald, Nr. 109 (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0010905.