Inschriftenkatalog: Greifswald

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 77: Greifswald (2009)

Nr. 89† St. Nikolai A.15.Jh.

Beschreibung

Deckenmalerei. Ehemals in der Sakristei, einem Anbau am östlichen Ende des nördlichen Seitenschiffs. Die heute noch zu erkennenden, spärlichen Reste der Gewölbeausmalung befinden sich in vier Feldern der Südhälfte des mit einem Sterngewölbe versehenen Raumes. Ehemals waren in den Gewölbekappen acht allegorische Darstellungen1) der Tugenden und Laster mit Spruchbändern zu sehen, neben Inschrift C ein Kopf mit langen Ohren und Hörnern.2) Die Gewölberippen waren rot, gelb und grün gefasst und beidseitig von Kleeblattbändern begleitet. Die Malereien wurden 1878 entdeckt,3) danach überstrichen4) und im Jahr 1963 im Rahmen der Vorbereitungen für die Sanierung der Sakristei nicht erwähnt.5)

Heute sind sie wohl zerstört, vielleicht auch unter dem Putz verborgen, zu sehen ist nur ein nicht sicher zu identifizierender Rest eines Schriftbandes (wohl von Inschrift E) in einer der nördlichen Gewölbekappen etwa in der Raummitte, darunter wohl ehemals ein Kopf. Im Feld daneben ein weiterer Kopf sowie in zwei Kappen der Südostecke ein Kopf in seitlicher Ansicht und ein Halsansatz.

Inschriften nach Pyl.

Maße: Bu. ca. 7 cm (E).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Jürgen Herold [1/2]

  1. A

    Cognosce te

  2. B

    Vanitas impedit

  3. C

    Fuge bestialitatem

  4. D

    Notaa) calliditatem

  5. E

    Tene prudentiamb)

  6. F

    Vita stultitiam

  7. G

    Generatio advenit

  8. H

    Generatio preterit6)

Übersetzung:

Erkenne dich selbst. (A)

Eitelkeit hindert. (B)

Meide Wildheit. (C)

Tadele die Verschlagenheit. (D)

Bewahre die Klugheit. (E)

Meide die Torheit. (F)

Ein Geschlecht kommt. (G)

Ein Geschlecht vergeht. (H)

Kommentar

Die Datierung der Ausmalung folgt aktuellen bauhistorischen Befunden und der älteren Literatur zu den Malereien.7) Es ist davon auszugehen, dass die Inschriften nur unvollständig überliefert sind, denn zum einen stehen vier Laster einer Tugend gegenüber, zum anderen bot das Sterngewölbe der Sakristei mit insgesamt zweiundzwanzig Feldern Raum für zahlreiche weitere Inschriften. D, E und F scheinen inhaltlich eng zusammenzugehören: Die tugendhafte, das richtige Maß wahrende Klugheit wird von den Lastern der Verschlagenheit und Torheit abgesetzt. In den Inschriften G und H wird die Vergänglichkeit des Menschen thematisiert.

Textkritischer Apparat

  1. Nota] Vota Haselberg, Lesung jedoch mit einem Fragezeichen versehen. Vota auch Pyl. Plausibler ist Nota, also ‚Tadele ...‘. Das folgende calliditas ist sehr viel häufiger negativ (im Sinne von Verschlagenheit) als positiv (Klugheit) konnotiert. Auch die Tatsache, dass in Inschrift E die Klugheit unmissverständlich thematisiert wird, legt eine negative Interpretation von calliditas in D und damit auch die Emendation Nota nahe.
  2. Bei dem heute noch oberhalb eines Kopfes zu sehenden Schriftband, das wohl das Textfragment [---]ud[---] erkennen lässt, handelt es sich möglicherweise um einen Rest von Schriftband E.

Anmerkungen

  1. Nach Berckenhagen, Wandmalereien, S. 95, handelte es sich um Brustbilder.
  2. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 299, Anm. 1. Zur Ausmalung des gesamten Raumes vgl. ebenda; Haselberg, Kreis Greifswald, S. 123.
  3. Dem Literaturhinweis „Greifswalder Kreisanzeiger 1878, Nr. 87“ (Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 299, Anm. 1) konnte nicht nachgegangen werden, da eine Zeitung dieses Namens nicht zu ermitteln war.
  4. Bereits 1879 „wieder übertüncht“ (Pyl, 40. Jahresbericht, S. 34; auch Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 299). Zum Zustand des Jahres 1952 vgl. Berckenhagen, Wandmalereien, S. 95.
  5. PfA St. Nikolai, V 24, 10.10.1963 (Vermerk betr. Sakristei im Dom St. Nikolai Greifswald). In diesem Schreiben ist von umfangreichen Feuchtigkeitsschäden die Rede.
  6. Eccl. 1,4 (Generatio praeterit et generatio advenit, terra vero in aeternum stat).
  7. Die Sakristei wurde etwa zwischen 1400 und 1410 vollendet (Wir danken André Lutze, Greifswald, für diese Auskunft, August 2007). In der älteren Literatur werden die Malereien in das erste Drittel des 15. Jahrhunderts (Berckenhagen, Wandmalereien, S. 95) bzw. in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts (Haselberg, Kreis Greifswald, S. 123) datiert.

Nachweise

  1. Pyl, 40. Jahresbericht, S. 35.
  2. Haselberg, Kreis Greifswald, S. 123.
  3. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 299.
  4. Berckenhagen, Wandmalereien, S. 95 (ohne D).

Zitierhinweis:
DI 77, Greifswald, Nr. 89† (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0008908.