Inschriftenkatalog: Greifswald

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 77: Greifswald (2009)

Nr. 55 St. Nikolai 1375, nach 1413

Beschreibung

Grabplatte für Johannes Stormer (A) und Ludolf Dersekow (B). Kalkstein. Hochrechteckige Platte in der an das fünfte Joch des nördlichen Seitenschiffs angrenzenden sogenannten Beichtkapelle.1) Zwischen zwei Linien umlaufend Inschrift A für Johannes Stormer, in den Ecken Medaillons mit den Evangelistensymbolen. Das Innenfeld wird vertikal durch die jüngere, ebenfalls zwischen zwei Linien verlaufende Inschrift B für Ludolf Dersekow in zwei gleich große Bildfelder unterteilt, in denen die Verstorbenen in Ritzzeichnung und unter Spitzbogenarchitektur im geistlichen Gewand mit Kelch und Hostie dargestellt sind. Die Köpfe ruhen auf Kissen. Die Inschriften sind erhaben in vertiefter Zeile ausgeführt, als Worttrenner wurden überwiegend Rauten, gelegentlich auch Punkte sowie eine Rosette (A) verwendet.

Maße: H. 221 cm (rechts), 229 cm (links), Br. 141 cm (oben), 146 cm (unten). Bu. 8 cm (A), 7 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Jürgen Herold [1/1]

  1. A

    Anno ˑ d(omi)ni ˑ M° ˑ ccc° ˑ lxxv° ˑ fer(i)a ˑ q(ua)rta / post festu(m) ˑ palma(rum) ˑ obiit d(omi)n(u)s : ioha(n)nes stormer ˑ canonic(us) / lubucens(is) et ˑ fundator ˑ hui(us) capelle / cui(us) . a(n)i(m)a ˑ per piam ˑ mi(sericordi)am ˑ dei ˑ requiescat i(n) pace ˑ p(er)petua ˑ ame(n)

  2. B

    Hic ˑ iacet ˑ d(omi)n(u)s ˑ ludolphus ˑ dersecow ˑ cano(n)icus ˑ camyn(ensis) hita) ˑ vica(r)i(us)

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1375 am Mittwoch nach dem Palmsonntag (18. April) starb Herr Johannes Stormer, Kanoniker in Lebus und Gründer dieser Kapelle. Seine Seele ruhe durch das gütige Erbarmen Gottes in ewigem Frieden. Amen. (A)

Hier liegt Herr Ludolf Dersekow, Kanoniker von Cammin, hier Vikar. (B)

Kommentar

Die Inschriften sind nicht gleichzeitig angebracht worden, wie etliche Unterschiede in der Form einzelner Buchstaben zeigen. In Inschrift A ist der e-Balken zu einem Schrägstrich reduziert, in B zu einem steil rechtsschrägen, unten nach rechts umgebogenen Strich. Die i enden in A unten stumpf, in B gebrochen, die u in A enden oben stumpf, in B hingegen gebrochen.

Die Platte befindet sich, wie sonst nur diejenige in der gegenüberliegenden Beichtkapelle für Lorenz Bokholt (Kat.-Nr. 209), noch in ihrer ursprünglichen Lage und ist die wohl am besten erhaltene in der Nikolaikirche und in Greifswald überhaupt. Auch finden sich auf ihr keine Anzeichen einer Zweitverwendung.

Johannes Stormer entstammt einer in Holstein, Brandenburg und Mecklenburg ansässigen Familie, die später auch in das Fürstentum Rügen einwanderte und ihren Namen auf den Ort Stormsdorf bei Tribsees (Ldkr. Vorpommern-Rügen) übertrug. Er empfing wie sein Bruder Detlev, Kanoniker in Prag, vor 1349 die Priesterweihe und wurde später Domherr, jedoch nicht in Lübeck, wie Pyl meint, sondern in Lebus (Brandenburg), was die entsprechende Stelle von Inschrift A – canonicus lubucensis – belegt.2) In Greifswald erwarb Johannes einen Hof mit zwei Häusern und einer Scheune sowie ein weiteres Haus bei der Jacobikirche, außerdem je ein Haus in der Langen und der Rotgerberstraße. Zusammen mit seinem Bruder gehörte ihm auch ein Haus in der Papenstraße mit Gärten und Ackerland, das 1373 veräußert wurde. In dieser Zeit finanzierte er auch den Bau der Kapelle in der Nikolaikirche, in der er nach seinem Tod am 18. April 1375 beigesetzt wurde. Der Camminer Domherr Ludolf Dersekow entstammte einer Greifswalder Patrizierfamilie. Über ihn ist wenig bekannt. Im Sommer 1413 übergab er dem Kleriker Matthias Wangelkow die Weggezin’sche Vikarie.3)

Textkritischer Apparat

  1. hit] Verhauen für hic.

Anmerkungen

  1. Siehe Grundriss St. Nikolai, Nr. 56. Zur früheren Lage siehe Pyl, Greifswalder Kirchen, nach S. 248, Grundriss St. Nikolai, Nr. 139.
  2. Die lateinische Bezeichnung für einen Lübecker Domherrn wäre canonicus lubicensis (Eubel, Hierarchia catholica 1, S. 311f.). Siehe auch Ludat, Lebus; Ludat, Stiftsregister.
  3. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 726f.

Nachweise

  1. Haselberg, Kreis Greifswald, S. 120.
  2. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 329f., 404, Tf. IX.

Zitierhinweis:
DI 77, Greifswald, Nr. 55 (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0005505.