Inschriftenkatalog: Greifswald

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 77: Greifswald (2009)

Nr. 47 St. Marien 1366, E.14.Jh., M.16.Jh.

Beschreibung

Grabplatte für Lorenz und Lambert(?) Lowe (A) sowie für die Erben von Paul Lepel, Paul Schmatzhagen und Martin Bünsow (B). Hochrechteckige Platte im dritten Joch des südlichen Seitenschiffs.1) Die obere Schmalseite reicht unmittelbar an das Kirchengestühl. Kantenausbrüche im oberen Bereich der rechten Langseite. Die beiden Teile von Inschrift A für Lorenz und Lambert Lowe zwischen einfachen Linien umlaufend, an der oberen Schmal- und der rechten Langseite stark abgetreten. A1 für Lorenz Lowe auf der linken Plattenhälfte von der Mitte der unteren bis zur Mitte der oberen Schmalseite, A2 für Lambert(?) Lowe auf der gegenüberliegenden rechten Hälfte. In den Ecken Vierpässe mit den Evangelistensymbolen, die beiden oberen fast völlig abgetreten. A1 und A2 werden durch drei später auf der oberen Hälfte der Platte angebrachte, querlaufende Inschriften an beiden Langseiten gestört. Im Innenfeld unter einer Bogenarchitektur, die auf drei schlanken Säulen ruht, nebeneinander die stark abgetretenen Darstellungen der beiden Verstorbenen als Ganzkörperfiguren. An der Mittelsäule in Hüfthöhe der Dargestellten ein gelehnter Wappenschild mit kaum noch zu erkennendem Wappenbild. Auf der oberen Plattenhälfte wurden später untereinander querlaufend die Inschriften B1, B2 und B3 für die Erben von Paul Lepel, Paul Schmatzhagen und Martin Bünsow angebracht. Die Gleichartigkeit der Schriftformen, der Zeilenführung und der Abstände spricht für eine gleichzeitige Anbringung aller drei Inschriften. In der Plattenmitte ist die Nummerierung C eingehauen. Alle anderen Inschriften erhaben in vertiefter Zeile.

Inschriften A1 und A2 ergänzt nach Pyl.

Maße: H. 301 cm, Br. 157 cm. Bu. 6,5 cm (A), 7 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A), Mischschrift aus gotischer Minuskel und Fraktur (B).

Jürgen Herold [1/1]

  1. A1

    + Anno ˑ d(omi)ni ˑ M° [ˑ] ccc / lxvi ˑ feria ˑ terc̣ia ˑ post ˑ ad uincula ˑ beati ˑ petri ˑ ob[iit l]aurencius [lo]ṿea) orate [deum] / p̣ṛọ ˑ ạṇịṃạ ˑ [eius]

  2. A2

    + [Anno d(omi)ni M ccc - - - ] / [ - - - ] ˑ feria ˑ q[...]tab) ˑ post ˑ vnde[cim] ˑ miliu(m) ˑ virginu(m) obiit dominus l[ - - - ]c) req(ui)escat i(n) / pace perpetua ame(n)

  3. B1

    Pawel Lepelsz erven gehoren mit tho dissen / sten

  4. B2

    Pawel Smachteshagens erven gehoren mit / tho dissen sten

  5. B3

    Her Merten Bvnsowe erven kamen mit tho / dissen stnd)

  6. C

    K / 6

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1366 am Dienstag nach des heiligen Petri Kettenfeier (4. August) starb Lorenz Lowe. Betet zu Gott für seine Seele. (A1)

Im Jahr des Herrn 13(..) am Mittwoch/Donnerstag nach dem Fest der Elftausend Jungfrauen starb Herr Lambert Lowe. Er ruhe in ewigem Frieden. Amen. (A2)

Wappen:
Lowe

Kommentar

Die unterschiedliche Gestaltung einzelner Buchstaben der Inschriften A1 und A2, insbesondere des v, zeigt, dass die beiden Inschriften nicht zur selben Zeit angefertigt wurden. Bei v der Jahreszahl in A1 verläuft der linke Schaft wie bei Inschriften der 1360er Jahre üblich leicht schräg. Dagegen zeigt sich bei Inschrift A2 im v von virginum mit senkrechten Schäften die in Greifswald erst seit dem Ende des 14. Jahrhunderts vorkommende und dann ausschließlich verbreitete Form.

Lorenz und Lambert Lowe (A) könnten nach Pyls Vermutung von einem nur mit dem Nachnamen Lowe bezeichneten Greifswalder Bürger abstammen, der 218 Mark zu den Kosten des Rügischen Erbfolgekrieges beitrug und ein Haus in der Knopfstraße besaß. Lorenz Lowe wurde 1350 in den städtischen Rat aufgenommen. Von 1349 bis 1361 war er Provisor des Georgenhospitals.2) Der Priester Lambert Lowe(?, A2) übertrug 1330 oder 1331 für eine Rente von dreißig Mark und fünfzig Hühnern seinem Stiefbruder, dem Ratsherrn Johannes Bünsow, die Hälfte seines Hauses in Lodmannshagen (Ldkr. Vorpommern-Greifswald). Für das Jahr 1361 wird er als Bewohner eines Hauses am Greifswalder Markt erwähnt. Bis 1365 ist er urkundlich nachzuweisen. Laut Pyl starb er am 24. oder 25. Oktober des Jahres 1367 oder 1368.3) Der paläografische Befund weist Inschrift A2 aber um etliche Jahre jünger als A1 aus. Daher ist auch in Erwägung zu ziehen, dass es sich bei Lambert um den gleichnamigen Sohn von Lorenz handelt, der 1388 als Provisor des Georgenhospitals bezeugt ist.4) Da bereits Pyl nur noch den ersten Buchstaben des Vornamens lesen konnte, ist auch die Identifikation des Namens keineswegs sicher, sodass auch andere Verwandte oder Nachkommen von Lorenz infrage kommen.

Bei dem in Inschrift B2 genannten Paul Schmatzhagen handelt es sich um den 1616 verstorbenen Ratsherrn, Sohn von Paul Schmatzhagen d. Ä. und Enkel des Ratsherrn Henning Schmatzhagen und der Anna Lowe.5) Paul Schmatzhagen d. Ä. war 1546 bereits verstorben, noch vor seiner Mutter, die später den Bürgermeister Vico Bolen heiratete und in ihrem Testament 1548 Pauls Kinder als Erben einsetzte.6) Zu diesem Erbe gehörte, wie Inschrift B2 zeigt, auch ein Anteil an der ehemaligen Lowe’schen Grabstelle und der entsprechenden Grabplatte. Die Zuordnung der Inschrift zu Paul Schmatzhagen d. J. ergibt sich vor allem aus der Schriftform, die in die Mitte des 16. Jahrhunderts weist. Dasselbe trifft auch auf die Inschriften B1 und B3 zu. Es ist davon auszugehen, dass alle drei gleichzeitig von demselben Steinmetzen angebracht wurden. Paul Lepel (B1) war, wie Paul Schmatzhagen d. J., Patron der Schmatzhagen’schen Vikarie in der Marienkirche.7) Er starb 1576. Die Grabplatte für ihn und seine Ehefrau Anna Hannemann in der Nikolaikirche ist verloren (Kat.-Nr. 150). Von der Familie Bünsow gehörte nur ein einziger Vertreter mit Namen Martin dem Greifswalder Rat an, von 1510 bis 1521. Nach Pyl könnte er ein Sohn des Ratsherrn Christian Bünsow († 1507) gewesen sein. Inschrift B3 könnte sich aber auch auf einen anderen Martin Bünsow beziehen, der 1534 als Bürger bezeugt ist und ein Haus in der Brüggstraße besaß.8) Unklar ist, auf welche Weise die Erben von Paul Lepel und Martin Bünsow in den anteiligen Besitz der Platte gelangten. Vermutlich waren sie, wie auch Paul Schmatzhagen, in weiblicher Linie mit der Familie Lowe verwandt. Im 18. Jahrhundert kam die Platte an die Marienkirche (C).

Textkritischer Apparat

  1. [lo]ve] Oder [lo]we.
  2. q[...]ta] Zu ergänzen zu quarta oder quinta.
  3. l[ - - - ]] Pyl ergänzt zu l[ambertus Love qui]. Der vorhandene Platz reicht aber nur für eine wesentlich kürzere Zeichenfolge, d. h. ohne qui und mit Kürzung des Vornamens zu la(m)b(er)t(us).
  4. stn] Verhauen für sten.

Anmerkungen

  1. Siehe Grundriss St. Marien, Nr. 223. Zur früheren Lage siehe Pyl, Greifswalder Kirchen, nach S. 248, Grundriss St. Marien, Nr. 73.
  2. Pyl, Genealogien 4, S. 103–105 (Nr. 141).
  3. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 713f.; Igel, Bürgerhaus, Dokument 49001, 49002.
  4. Pyl, Genealogien 2, S. 396.
  5. Nach einem Leichenprogramm (UB Greifswald, Vitae Pomeranorum, Bd. 34, Leichenprogramm für Paul Schmatzhagen; siehe auch Lange, Vitae Pomeranorum, S. 297) war Anna eine Tochter von Hinrich Lowe und Ilsabe Tribsees. Hinrichs Stellung innerhalb der Lowe’schen Genealogie ist ungeklärt. Pyl hielt es auch für möglich, dass Anna eine Tochter des Ratsherrn Bartholomäus Lowe († 1485) war; Pyl, Genealogien 5, S. 302 (Nr. 316).
  6. Pyl, Genealogien 5, S. 315f. (Nr. 337).
  7. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 384, 1386.
  8. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 574; Pyl, Genealogien 5, S. 313f. (Nr. 335), S. 329 (Nr. 356).

Nachweise

  1. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 560f., Tf. III (A, B), S. 582 (B1), 584 (B2).
  2. Samariter, Patrizierfamilie Lowe, S. 200.

Zitierhinweis:
DI 77, Greifswald, Nr. 47 (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0004703.