Inschriftenkatalog: Greifswald

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 77: Greifswald (2009)

Nr. 44 St. Marien 1360, um 1800

Beschreibung

Grabplatte für ein weibliches Mitglied der Familie Werlemann (A, B) und Johann Philipp Fuhrmann (C). Kalkstein. Die hochrechteckige Platte steht im fünften Joch des nördlichen Seitenschiffs an der Außenwand.1) Im Innenfeld ist die Verstorbene unter einem Fächerbogen im Flachrelief dargestellt. Sie trägt ein langes Gewand und einen Schleier, ihre Hände sind gefaltet. Der Kopf ruht auf einem Kissen, die Füße stehen auf einem Schemel. Rechts unten ein gelehnter Wappenschild, auf dem Gewand eine Hausmarke (H10). Die Inschriften A und B für N. N. Werlemann verlaufen entlang den beiden Langseiten, A außen, B innen in kleineren Buchstaben. Die in den unteren Ecken noch vorhandenen Medaillons mit Evangelistensymbolen lassen vermuten, dass zwei weitere in den oberen Ecken angebracht waren und Inschrift A auch an der oberen Schmalseite verlief. B folgte ursprünglich wohl dem Bogenverlauf. Im 16. oder 17. Jahrhundert wurde der obere Teil der Platte geglättet und mit einer mehrzeiligen Kapitalisinschrift versehen, die nicht mehr lesbar ist. Die betreffenden Bereiche der Inschriften A und B gingen dabei verloren. Später wurde auf dieser Fläche am unteren Rand Inschrift C für Johann Philipp Fuhrmann angebracht, darüber nebeneinander die Nummerierungen D und E. Die Inschriften A und B erhaben in vertiefter Zeile, im Fall von A wurde die Vertiefung durch eine dunkle Masse ausgefüllt, die Worttrenner sind rautenförmig. Die übrigen Inschriften sind eingehauen.

Maße: H. 197 cm, Br. 93 cm. Bu. 7,5 cm (A), 4,3 cm (B), 6 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A, B), Kapitalis mit Versalien (C).

Jürgen Herold [1/2]

  1. A

    Anno d(omi)ni M° ccc° lx in die sancti ottonis e[piscopi] / [ - - - ] / [ - - - ]na) werleman cui(us) a(n)i(m)a req(u)iescatb) i(n) pace ame(n)

  2. B

    ˑ Alma dei [sit] m[ater ei]c) [mediu]m ˑ requieiAssit ˑ ei ˑ semperq(ue) ˑ dei ˑ splendo[r faciei] [Nos homines scimus qua]m res ˑ turpissima ˑ sim(us) ˑUnde ˑ superbim(us) ad terram terra redimusd) ˑ

  3. C

    J ˑ P ˑe) FUHRMANN ˑ

  4. D

    33

  5. E

    K / 34

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1360 am Tag des heiligen Bischofs Otto (1. Oktober) (...) Werlemann. Ihre Seele ruhe in Frieden. Amen. (A)

Die hehre Gottesmutter sei für sie die Mittlerin der (ewigen) Ruhe, und es werde ihr für ewig der Glanz des Angesichts Gottes zuteil. Wir Menschen wissen ja, was für eine ganz und gar verächtliche Sache wir sind. Worauf bilden wir uns etwas ein? Wir kehren als Erde zur Erde zurück. (B)

Versmaß: Hexameter, V. 1–2 Trinini salientes, V. 3–4 zweisilbig leoninisch und endgereimt (B).

Wappen:
Werlemann

Kommentar

Die Inschriften A und B zeigen das Formenspektrum der frühen gotischen Minuskel. Die Schäfte der i enden unten, die der u oben stumpf. Die Schäfte von m und n hingegen sind in A an beiden Enden gebrochen, enden in B aber unten stumpf. Der linke und der mittlere Schaft des w sind leicht nach links geneigt, nach oben verlängert und dort gebrochen. Der Schaft des t ist bei Inschrift A in zwei Fällen oben gekerbt.

Diese Platte ist in zweierlei Hinsicht ein Unikat unter den mittelalterlichen Grabplatten Greifswalds. Zum einen handelt es sich um die einzige erhaltene mit der figürlichen Darstellung einer einzelnen Frau.2) Zum anderen fällt sie durch die in Versen verfasste, mahnende Fürbitte aus dem Rahmen (B).

Pyl (1880) hielt es für möglich, dass die Platte der Ehefrau von Gerhard Werlemann, der für die 1320er Jahre als Besitzer eines Hauses in der Fischstraße nachzuweisen ist, gewidmet wurde und dass Hermann Werlemann, dessen Grabplatte in der Marienkirche sich ebenfalls erhalten hat (Kat.-Nr. 77), ein Sohn der beiden war (A, B).3) Wer diese Platte im 16. oder 17. Jahrhundert im oberen Bereich abarbeiten und neu beschriften ließ, ist durch den Verlust der entsprechenden Inschrift nicht mehr feststellbar. Um 1800 kam sie an Johann Philipp Fuhrmann (C), entweder den Älteren, der seit 1784, oder den Jüngeren, der seit 1809 dem Bürgerschaftlichen Kollegium angehörte.4) Davor war sie im Kirchenbesitz (D, E).

Textkritischer Apparat

  1. [ - - - ]n] [Gherar]di Pyl.
  2. req(u)iescat] i verkleinert und hochgestellt.
  3. [sit] m[ater ei]] Nur noch Schaftreste zu erkennen, Lesung nach Pyl.
  4. Wegen der beträchtlichen Fehlstellen verstehen sich die vorgenommenen Ergänzungen als eine von mehreren Rekonstruktionsmöglichkeiten. Die von Pyl rekonstruierte, aus sprachlichen und metrischen Gründen aber abzulehnende Fassung lautet: Alma dei sit mater ei ad regionem requiei Assit ei semperque dei splendor [celestine spei] [Si nos per peccata peri]mus res turpissima simus Unde superbimus ad terram terra redimus.
  5. J ˑ P ˑ] Für ‚Johann Philipp‘.

Anmerkungen

  1. Siehe Grundriss St. Marien, Nr. 159. Zur früheren Lage siehe Pyl, Greifswalder Kirchen, nach S. 248, Grundriss St. Marien, Nr. 123.
  2. Vermutlich zeigte auch die Grabplatte für Berta von Münster (Kat.-Nr. 39) eine Darstellung der Verstorbenen, von der sich aber nur geringfügige Spuren erhalten haben. Daneben existieren Frauendarstellungen auf zwei Doppelgrabplatten für Ehepaare, eine in der Jacobikirche (Kat.-Nr. 38), die andere in der Klosterruine Eldena (Kat.-Nr. 2).
  3. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 560.
  4. Gesterding, Erste Fortsetzung, S. 144 (Nr. 201), S. 146 (Nr. 266).

Nachweise

  1. Kirchner, Grabsteine Marienkirche, S. 219 (A, B).
  2. Haselberg, Kreis Greifswald, S. 103f. (A, B).
  3. Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 559 (A, B), 601 (C).

Zitierhinweis:
DI 77, Greifswald, Nr. 44 (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0004402.