Inschriftenkatalog: Greifswald

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 77: Greifswald (2009)

Nr. 3 Ernst-Moritz-Arndt-Universität 1295

Beschreibung

Grabplatte für Johannes von Kiel. Kalkstein. Die trapezförmige Platte ist in der Verlängerung des östlichen Flures des Universitätshauptgebäudes Domstraße/Ecke Rubenowstraße in die Ostwand eingemauert. Dieser Raum war ursprünglich Teil eines Durchgangs zwischen dem Hauptgebäude und dem angrenzenden Hörsaalgebäude. Zusammen mit einer weiteren Platte (Kat.-Nr. 119) wurde sie beim Abriss der alten Wiecker Dorfkirche, wo sie vor dem Altar lag, 1882/83 von Vertretern der Universität geborgen und wenig später an der jetzigen Stelle befestigt.1) Die alte Wiecker Dorfkirche war sicher nicht ihr ursprünglicher Liegeort, sondern vermutlich die Klosterkirche von Eldena, vielleicht auch eine der drei Hospitalkirchen, die im Jahr 1631 abgerissen wurden. Die Platte weist an beiden Schmalseiten Verluste auf und ist stellenweise abgetreten. Von der oberen Schmalseite ist ein größeres Stück mit dem entsprechenden Teil der Inschrift verloren, an der unteren wurde sie nur geringfügig verkürzt, was aber ebenfalls zu Textverlust führte. In der Plattenmitte die zwischen zwei Linien kreisförmig verlaufende Inschrift A. Im Kreisinnenfeld sind die Konturen eines Tatzenkreuzes eingehauen, in dessen Mitte ein weiterer Kreis mit einem Tatzenkreuz. Von der ehemals zwischen einfachen Linien umlaufenden Inschrift B sind nur noch Teile an den beiden Langseiten erhalten. Vollständiger Schriftverlust an der oberen Schmalseite und den angrenzenden Enden der Langseiten. An der unteren Schmalseite sind nur noch die unteren Buchstabenteile zu erkennen. Beide Inschriften sind eingehauen.

Maße: H. 129 cm, Br. 81 cm (oben), 74 cm (unten). Bu. 4,5 cm (A), 6,9 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Majuskel (B), mit Minuskeln (A).

Jürgen Herold [1/2]

  1. A

    + A(N)NO ˑ D(OMI)NI ˑ M° ˑ CC° ˑ Lxxxx° V° ˑ KAL(ENDAS) ˑ AP(RI)L(IS) ˑ IIa) ˑ OBIIT ˑ IOH(ANN)ES ˑ DE ˑ KILb) ˑ

  2. B

    UOS ˑ QVI ˑ TRANSITIS N(OST)R[I - - - ] / [ - - - ] / [ - - - SU]ṂUS HOC ERITIS FUIM(US) Q(UANDO)/[QUE]c) Q(UOD)d) [ES]ṬỊṢe)

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1295 am Tag vor den Kalenden des April (31. März) starb Johannes von Kiel. (A)

Euch, die ihr vorübergeht, bitte ich, seid unser eingedenk: Was wir sind, werdet ihr sein; wir waren einst, was ihr seid. (B)

Versmaß: Hexameter (B).

Kommentar

Die Inschriften sind in den für das Ende des 13. Jahrhunderts typischen Formen der gotischen Majuskel ausgeführt. Ungewöhnlich ist die Verwendung von vier dünnstrichigen Minuskel-x in der Jahresangabe von Inschrift A. Auf diese Minuskeln wurde vielleicht aus Platzgründen zurückgegriffen.

Bei dieser Grabplatte handelt es sich um die älteste mit einer Jahreszahl, die bislang für Vorpommern und Mecklenburg bekannt ist.2) Ihre Zuschreibung an den Abt Johannes II. von Eldena auf der Grundlage einer falschen Namenslesung3) ist zu korrigieren. Zum einen deutet nichts darauf hin, dass der Tote ein Abt, Ordensangehöriger oder Geistlicher war, zum anderen ist der Name DE KIL in zeitgenössischen Quellen mehrfach nachweisbar. Johannes von Kiel war Angehöriger einer aus der gleichnamigen Stadt in Holstein zugewanderten Familie, die mit Albert von Kiel 1258 erstmals im Greifswalder Rat vertreten war.4) Ein Johannes von Kiel verpachtete laut Stadtbuch im April 1294 einen Acker. Im Jahr 1301 verpachtete seine Witwe Olegardis ein Grundstück in der Stadt. Johannes war demnach zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben.5) Daher spricht nichts gegen seine Identifikation mit dem unter dieser Grabplatte Bestatteten.

Textkritischer Apparat

  1. KAL(ENDAS) ˑ AP(RI)L(IS) ˑ II] Die Verwendung der Ziffer II ist bei der Angabe der Kalenden ebenso ungewöhnlich wie ihre Position nach dem Monatsnamen, die Interpretation ‚am Tag vor den Kalenden‘ daher nicht sicher.
  2. KIL] HI Pyl, gefolgt von einem weiteren Zeichen. HI verstand Pyl als Abkürzung von lat. Hilda für Eldena, daher schloss er auf den Eldenaer Abt Johannes II., der nach Oktober 1290 auf sein Amt verzichtet hatte und womöglich wenig später gestorben war (Pyl, Eldena, S. 163). RI Haselberg, Lemcke, Identifizierung des Verstorbenen jedoch weiterhin als Abt Johannes II. von Eldena. So auch noch in jüngerer Zeit.
  3. Q(UANDO)/[QUE]] Über der Cauda des Q ein waagerechter Strich als Kürzungszeichen.
  4. Q(UOD)] Durch die Beschädigung des Plattenrandes ist nur die untere Hälfte des Q erhalten. Die Länge der Cauda lässt vermuten, dass sich darüber ein Kürzungszeichen befand.
  5. Rekonstruktionsvorschlag für den Wortlaut der gesamten Inschrift analog zu einem Vergleichsbeispiel aus Damitzow (Ldkr. Vorpommern-Greifswald): ‚Vos qui transitis nostri memores rogo sitis. Quod sumus, hoc eritis, fuimus quandoque quod estis‘. Siehe Album Pommerscher Bau- und Kunst-Denkmäler, S. 44f. (mit einer Abbildung der Grabplatte); Francke, Grabstein.

Anmerkungen

  1. Lemcke, Abt, S. 66; Herold, Äbte, S. 359.
  2. Lemcke, Grabsteine, S. 131; Haselberg, Kreis Greifswald, S. 173; Pyl, Eldena, S. 422.
  3. Vgl. Anm. b. Falsche Zuschreibungen noch in jüngster Zeit bei Bäcker, Epitaph; Lissok, Eldena.
  4. Pyl, Genealogien 4, S. 9f. (Nr. 18).
  5. Poeck, Stadtbuch, S. 5 (Nr. 23, 1294), S. 16 (Nr. 113, 1301); der Name der Witwe S. 58 (Nr. 439, 1307).

Nachweise

  1. Pyl, Eldena, S. 163, 216.
  2. Pyl, Eldena Nachtrag, S. 50 (B).
  3. Haselberg, Kreis Greifswald, S. 172 (mit Abb.).
  4. Lemcke, Grabsteine, S. 131f. (mit Abb.).
  5. Lemcke, Abt, S. 66–69 (B).
  6. Francke, Grabstein, (B).
  7. Herold, Äbte, S. 364f.

Zitierhinweis:
DI 77, Greifswald, Nr. 3 (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0000301.