Inschriftenkatalog: Stadt Goslar

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 45: Stadt Goslar (1997)

Nr. 54 Marktstr. 45 1501, 1511, 1557

Beschreibung

Bäckergildehaus, bestehend aus zehn Gefachen und zwei Geschossen, giebelständig zur Straßenmündung Marktstraße/Bergstraße und somit auch zur Westfassade der Marktkirche St. Cosmas und Damian. Das hohe untere Geschoß besteht aus Bruchstein, das leicht vorkragende Obergeschoß aus Fachwerk. Die erhaben ausgehauene Inschrift A befindet sich an der Giebelseite in einem eingemauerten hochrechteckigen Wappenstein1). Die Inschriften B1 und B2 sind auf dem Schwellbalken in der Nordwestecke des Obergeschosses und an der Giebelseite einschließlich des weiter vorkragenden Erkers angebracht, wobei die niederdeutsche Inschrift der Nordwestecke zusammengehört mit dem lateinischen Text der südöstlichen Erkerseite und dem sich anschließenden Balkenstück der Giebelseite (B1). Die in Inschrift B1 wiedergegebenen Textteile sind heute durch Restaurierung entstellt2). Durch die spätere Anbringung von Inschrift B2 im Jahr 1557 trat bei B1 am Ende des niederdeutschen und wahrscheinlich auch am Anfang des lateinischen Teils Textverlust ein. Unterhalb des Erkers sind aus einem Balkenkopf zwei Initialen (C) herausgearbeitet, D ist auf dem Schwellbalken des Obergeschosses an der Nordseite des Hauses zur Marktstraße hin angebracht. Die erhabene Inschrift E ist aus einem steinernen Fenstersturz im Erdgeschoß eines Anbaus in der Bergstraße ausgehauen3). In B (deutscher Text) und D sind über den meisten v in vokalischer Verwendung punktförmige diakritische Zeichen gesetzt.

Maße: Bu. ca. 10 cm (A, B1, B2, D, E), 5 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A, B1, B2, D, E), Kapitalis (C).

Inschriftenkommission Göttingen [1/4]

  1. A

    Mo ccccco i

  2. B1

    [Grodt]a) · rikedvm · ist · en · wol de · bewan ivm[..]b) m[...]c)4)

  3. B2

    Got · bewar · dis · havs ·Vnd · die · dar · ghen · ein · vnd · avs5) ·Alles · vonn gotts [...]6) ·· Verbvm Domini · 1557 · Manet · In · Aeternvm7) ·

  4. B1

    [. . .] · et qvertvs · magnvs nietas cvm cvnfuetars8) ·

  5. C

    H G

  6. D

    Woll · sin · korne · inholt · in · der · noedt ·Deme · floken · de · lvde · de(n) · dodt9) ·De · segen · des · heren · kvmpt · over · den · man ·Dede · sin · korne · den · lvden · mitdelen · kan10) ·salomon · am · xi · got · mit · vns ·

  7. E

    Anno d(omi)ni M · v · xid)

Übersetzung:

Großer Reichtum ist dem gewiß, der immer (Mäßigung) bewahrt. (B1)

Das Wort Gottes 1557 währt in Ewigkeit. (B2)

Wer sein Korn in der Not behält, dem wünschen die Leute den Tod. Der Segen des Herrn kommt über den Mann, der sein Korn mit den Leuten teilen kann. Salomon, im 11. (Kapitel). Gott mit uns. (D)

Wappen:
Goslar11)

Kommentar

Die in B2 und D schärfer ausgeführten Buchstabenkonturen deuten darauf hin, daß diese Inschriften später als die übrigen angebracht, möglicherweise auch erneuert wurden. Inschrift B1 zeigt am unteren Ende des oberen e-Bogens ansetzende Zierhaken sowie im niederdeutschen Textteil (bei b, k und l ) gespaltene Hastenenden. Diese Zierelemente werden von den 1557 angebrachten Inschrif-ten (B2, D) aufgegriffen.

Bei Inschrift A und einem weiteren Baudatum des gleichen Jahres an einem privaten Wohnhaus (Nr. 53) handelt es sich um die ältesten datierten Goslarer Hausinschriften. In Inschrift B2 liegt die früheste hochdeutsche Inschrift Goslars vor. B1 bot im ursprünglichen Zustand eine zweisprachige Parallelversion eines Bibelzitats, wobei die niederdeutsche Fassung, wie aus zweisprachigen Sprichwortsammlungen und Inschriften bekannt, keine wörtliche Übersetzung der Bibel, sondern eine sinngemäße Wiedergabe enthielt12).

Textkritischer Apparat

  1. [Grodt]] Wort heute fast vollständig hinter einer Dachrinne verborgen; Ergänzung nach Bonhoff.
  2. Nach ivm heute ein sinnloses Buchstabenzeichen; vgl. Anm. 4.
  3. Inschrift bricht ab; vgl. Anm. 4.
  4. M · v · xi] Nach v wäre ein hochgestelltes c als Zahlzeichen für die Hunderter zu erwarten.

Anmerkungen

  1. Auf Photos der Giebelseite aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ist der Stein nicht zu sehen. Er war zu dieser Zeit über dem Türsturz in der Marktstraße vermauert (vgl. Goslar. Das Bild der Stadt, Abb. 22–24, dazu S. 115).
  2. Vgl. Anm. 4, 8.
  3. Auf einem vermauerten Steinquader dieser Hausseite auch die Jahresangabe ANNO 1670.
  4. Als ursprünglicher Text läßt sich eine niederdeutsche Paraphrase von 1 Ti. 6,6 erschließen, die in etwa Grodt rikedvm is den wol (oder besser wis) de bewart ivmer m[ate] gelautet haben muß: ‘Großer Reichtum ist dem gewiß, der immer Mäßigung bewahrt’; vgl. Anm. 8. Für ausführliche Hinweise zu dieser Inschrift danke ich Dr. Ulrich Scheuermann, Arbeitsstelle Niedersächsisches Wörterbuch, Göttingen. Keiner von drei überprüften niederdeutschen, vorlutherischen Bibeldrucken (Köln: Heinrich Quentell, um 1478; Lübeck: Steffen Arndes 1494; Halberstadt 1522) ist im Wortlaut identisch mit der Inschrift. Auch der Wortlaut der Bugenhagen-Bibel (Lübeck 1533) stimmt nicht mit dem der rekonstruierten Inschrift überein.
  5. Nach Ps. 121,8.
  6. Vgl. Wander 2, Sp. 1 Nr. 17f (Alles zu Gottes Ehre ...).
  7. I Pt. 1,25.
  8. Als ursprünglicher Text läßt sich ein Zitat von I Tm. 6,6 erschließen: est autem quaestus magnus pietas cum sufficientia. Vgl. Anm. 4.
  9. Vgl. Wander 2, Sp. 1545 Nr. 120 (Wer korn inholt, dem fluchen die Leut).
  10. Nach Spr. 11,26.
  11. Wappen Goslar (Adler, hier mit Lebkuchen auf der Brust, darunter ein Lebkuchen, ein Wecken und eine Brezel; vgl. Griep, Kunstwerke 1 K, S. 47, und Kdm. Stadt Goslar, Abb. 294 S. 315).
  12. Vgl. Art. ‘Sprichwortsammlungen’ (Manfred Eikelmann), ²VL 9, Sp. 162–179. Zu lateinisch-deutschen Parallelversionen, die aus wörtlichen Übersetzungen bestehen, vgl. etwa DI 13 (Nürnberg: St. Johannis, St. Rochus und Wöhrd), Nr. 1039, 1339, 1376.

Nachweise

  1. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 71 (B, D).
  2. Kdm. Stadt Goslar, S. 315f.
  3. Andrae, S. 431 (D).
  4. Bonhoff, Hausinschriften, S. 8f.
  5. Meier, Stadt, S. 103 (D).
  6. Griep, Bürgerhaus, S. 163.
  7. Geyer, Abb. S. 105 Mitte (A), S. 32 (B), S. 77 (C), S. 48 (E).

Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 54 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0005407.