Inschriftenkatalog: Stadt Goslar

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 45: Stadt Goslar (1997)

Nr. 52 Teufelsturm um 1500

Beschreibung

Steintafel an der Feldseite des Teufelsturms in der Mauerstraße. Dem heute abseits der Straße stehenden Turm wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Haus Mauerstr. 31 vorgebaut. In die querrechteckige Tafel mit einfachem Rahmen soll die fünfzeilige Inschrift so eingehauen sein, daß die letzte Zeile aus Platzgründen auf der unteren Rahmenschräge steht, die nicht einsehbar ist und deren rechter Teil überdies fehlt.

Maße: H. ca. 30 cm, Br. ca. 60 cm, Bu. 5 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Inschriftenkommission Göttingen [1/1]

  1. · VAN · BLA(N)KE(N)BORCHa) · G(RE)/UEb) · SIFRIT · DHISSEN · T/ORN · GE·BUWET · HA·T · U/OR · DHAZ · DHAZc) · VIE · GE·/[ROWET · WOORDEN · ANNO · 1280]d)

Übersetzung:

Graf Siegfrid von Blankenburg hat diesen Turm gebaut, nachdem zuvor (der Stadt) das Vieh geraubt worden war. Im Jahr 1280.

Kommentar

Ob die in der kopialen Überlieferung genannte Jahreszahl 1280 tatsächlich zum ursprünglichen Bestand der Inschrift gehört, ist nicht zu entscheiden1). Sie kann keinesfalls das Entstehungsdatum der Inschrift angeben, da eine in arabischen Ziffern ausgeführte Jahreszahl vor dem späten 15. Jahrhundert nicht denkbar ist. Auch die hochdeutsche Form DHAZ in dem sonst durchgängig in niederdeutscher Sprache verfaßten Text spricht für eine Einordnung der Inschrift in diese Zeit2). Da sich in Goslar wie auch andernorts im späten 15. Jahrhundert die gotische Minuskel durchgesetzt hatte, bedarf die hier gewählte gotische Majuskel einer Erklärung. Die in der Inschrift zu findenden, für diese Schriftart charakteristischen Formen (OR-Ligaturen, Wechsel von unzialem und kapitalem E, bogenförmige oder eingerollte lange Zierstriche und Cauden an den Bogen- und Hastenenden) sprechen dafür, daß für die Ausführung der Inschrift bewußt historisierende Formen gewählt wurden. Dies könnte geschehen sein, weil man eine ältere Inschrift noch vor Augen hatte und dem auf dem Stein festgehaltenen historisch-sagenhaften Ereignis auch in paläographischer Hinsicht entsprechen wollte3).

Einer Sage zufolge geriet Graf Siegfried von Blankenburg 1280 in die Hände der Goslarer, nachdem er ihnen Vieh geraubt hatte. Um sich auszulösen, mußte er erst den ebenfalls in der Mauerstraße gelegenen Weber-, danach den Teufelsturm bauen lassen. Die Chroniken des Hans Geismar und des Hans Caspar Brandes geben zu dieser Sage gehörende Verse wieder, die sich vom Wortlaut der Inschrift unterscheiden4).

Frölich vermutete, die in der Inschrift festgehaltene Schadensersatzleistung des Grafen Siegfried könnte auf einer in den Quellen bezeugten Geldzahlung beruhen, die dieser anläßlich der Beilegung einer Fehde mit der Stadt leistete5). Die betreffende Urkunde wird in die Jahre zwischen 1260 und 1265 datiert. Da die Geschichte der Grafen von Blankenburg nur ungenügend aufgearbeitet ist, kann der in der Inschrift genannte Graf Siegfried nicht eindeutig identifiziert werden; am ehesten kommt Siegfried III. von Regenstein und Blankenburg für die Zahlung an die Stadt Goslar in Frage6). Zu berücksichtigen ist jedoch, daß die aufgrund der Zeugenliste vorgenommene Datierung der Urkunde7) mit dem in der Inschrift genannten Jahr 1280 nicht übereinstimmt. Ungeachtet der nicht eindeutig zu klärenden historischen Vorgänge ist die Anbringung der Schrifttafel an der Feldseite des Turms als Ausdruck des Selbstbewußtseins der Goslarer Bürger zu werten. Die Erinnerung an den Sieg über einen ihnen feindlich gesonnenen Adeligen sollte wachgehalten werden.

Textkritischer Apparat

  1. BLA(N)KE(N)BORCH] Rechte Haste des H verkürzt, darüber Worttrenner als Punkt auf der Zeilenmitte.
  2. G(RE)UE] Kürzungszeichen fehlt; (DE) GREVE Kdm. Stadt Goslar.
  3. UOR DHAZ DHAZ] VOR DHAZ DHAZ (ER) DAZ Kdm. Stadt Goslar.
  4. GE[ROWET WOORDEN ANNO 1280]] GEROVET (HAT) Kdm. Stadt Goslar. Die letzte Zeile wird nach dem bei Frölich zitierten Wortlaut wiedergegeben; Worttrenner werden ergänzt. Grundsätzlich ist nicht zu entscheiden, welche der beiden Überlieferungen an dieser Stelle den ursprünglichen Wortlaut der Inschrift wiedergibt. Gegen die in Kdm. Stadt Goslar abgedruckte Fassung spricht, daß mehrere Abweichungen zum erhaltenen Teil der Inschrift festzustellen sind (vgl. Anm. b, c). Gegen Frölich spricht, daß der von ihm edierte, 20 Buchstaben und Ziffern umfassende Text zu umfangreich ist, um auf der unteren Rahmenschräge der Steintafel plaziert gewesen zu sein.

Anmerkungen

  1. Zur Wiedergabe der gesamten letzten Zeile vgl. Anm. d.
  2. Für Hinweise zum Lautstand der Inschrift danke ich Dr. Ulrich Scheuermann, Arbeitsstelle Niedersächsisches Wörterbuch, Göttingen.
  3. Weitere Beispiele für die historisierende Verwendung der gotischen Majuskel werden bei Kloos, S. 133f, angeführt.
  4. Graff Sifridt, heddestu gelaten den van Goslar ohre koe und schwin, so werstu nicht gekomen hir in (Hans Geismars Chronik Goslars, S. 76f). In neuhochdeutscher Sprache auch in StA Goslar, Brandes, Chronica, S. 122, wo ein dritter Vers angefügt wird: ... hättest auch des Bauens können überhaben seyn.
  5. Frölich, Rechtsinschriften, S. 34 Anm. 2; dazu UB Goslar 2, Nr. 81 S. 159f. Vgl. auch R. Steinhoff, Geschichte der Grafschaft bzw. des Fürstentums Blankenburg, der Grafschaft Regenstein und des Klosters Michaelstein, Blankenburg/Quedlinburg 1891, S. 36f.
  6. Vgl. Gustav Schmidt, Zur Genealogie der Grafen von Regenstein und Blankenburg bis zum Ausgange des 14. Jahrhunderts, in: Zs. des Harzvereins 22, 1889, S. 1–48, hier S. 16 (Siegfried II., urkundlich belegt 1246 bis möglicherweise 1318, vielleicht Bischof von Samland), S. 23 (Siegfried III., urkundlich belegt 1251–1304), S. 24 (Siegfried IV., urkundlich belegt 1264, möglicherweise Mitglied des Deutschen Ordens). Vgl. auch die bei Steinhoff (wie Anm. 5) im Anhang publizierte Stammtafel der Grafen von Blankenburg. Nach UB Goslar 2, Nr. 81 S. 159, amtierte Siegfried III. in den Jahren 1245–1275.
  7. Steinhoff (wie Anm. 5), S. 36, datiert die Urkunde ohne Angabe von Gründen zwischen 1250 und 1258.

Nachweise

  1. Kdm. Stadt Goslar, S. 216.
  2. Frölich, Rechtsinschriften, S. 34 Anm. 1.

Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 52 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0005203.