Inschriftenkatalog: Stadt Goslar

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 45: Stadt Goslar (1997)

Nr. 10 Kaiserpfalz 1253–1256

Beschreibung

Grabplatte des kaiserlichen Vogts Giselbert (II.) aus der Familie von Goslar, Sandstein, trapezförmig, schlecht erhalten. Der Stein wurde Ende des 19. Jahrhunderts beim Abriß des ehemaligen Pforthauses der Deutschordens-Kommende im Hohen Weg 16 gefunden1); bis 1995 wurde er in der Vorhalle der Stiftskirche St. Simon und Judas aufbewahrt. Dargestellt ist in einer oben mit einem Dreipaß abschließenden Nische eine männliche Figur mit aufrecht gehaltenem Schwert als Zeichen der Vogtwürde2) und mit einem Dreieckschild, über dem Kopf die segnende Hand Gottes3), unter den Füßen der Figur ein Palmettenornament. Inschrift A ist an den Seiten des Steins angebracht und von unten nach oben zu lesen; Inschrift B auf dem Schildrand, beginnend in der oberen Schildmitte, C im Mittelfeld des Wappenschilds. Alle Inschriften sind eingehauen.

Maße: H. 202 cm, Br. oben 76 cm, unten 57 cm, Bu. 3,5–4 cm (A), 3 cm (B), 2,5 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [1/1]

  1. A

    AN[N]Oa) · D(OMI)NI · M·CC·[..]V[. . . KA]LE(N)D(A)Sb) DECE(M)BRIS / OBIIT GISELBERT(VS) · ADVOCAT[VS . . .]c)

  2. B

    QVEM / LAPIS IS[T]E TEEGIT · FVN/DAN[.] [.]ONVMd) SIBI FE/CITe)

  3. C

    HOC OSPITAL/E GISELB/REHT / MEMOR/[..] E[...]f)

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 12(..), am (.) Tag vor den Kalenden des Dezember starb der Vogt Giselbert. (A)

Den dieser Stein deckt, der hat, indem er (dieses Hospital) gründete, sich selbst ein Geschenk gemacht. Gedenkt des Giselbreht. (B, C)

Versmaß: Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt (B).

Wappen:
von Goslar4)

Kommentar

Die starke Abnutzung des Steins macht es stellenweise unmöglich, Details der Buchstabenausführung zu erkennen. In Inschrift A finden sich zahlreiche runde Buchstabenformen (D, E, M, N, T), außerdem fällt die Rechtsneigung der Schäfte auf. C und E sind offen. Die Inschriften B und C auf dem Schild weisen nur unziales E und M auf. Sie sind möglicherweise später angebracht worden. Darauf deuten auch die abweichende Schreibung des Namens (GISELBREHT statt GISELBERTVS), die ungeschickte Platzausnutzung und die weniger sorgfältige Ausführung hin.

Giselbert (von Goslar), der in Urkunden der Jahre 1220–1223, 1227, 1236 und 1241 als kaiserlicher Vogt5) sowie als Ritter und Bürger Goslars6) bezeichnet wird, hatte 1227 ein Hospital gegründet, das dem Deutschen Orden übergeben und als Altes Hospital bezeichnet wurde7). Ursprünglicher Standort des Steins wird wohl dieses Hospital gewesen sein8). Giselbert (II.) gehörte zu einer wohlhabenden Goslarer Familie, deren Mitglieder mehrere geistliche Einrichtungen stifteten9).

In einer auf „um 1253“ datierten Urkunde wird er nach seinem Bruder Volkmar als Zeuge genannt10). Diese Urkunde, der letzte Beleg für Giselbert (II.), kann als terminus post quem für die Anfertigung der Grabplatte dienen. Giselberts Sohn Burchard schenkte 1256 dem Neuen Hospital, das später Hospital zum Großen Heiligen Kreuz genannt wurde, eine Mühle; in der diese Schenkung dokumentierenden Urkunde wird Giselbert als verstorben bezeichnet11). Vermutlich ist das Grabdenkmal also zwischen etwa 1253 und 1256 angefertigt worden. Im Auszug aus dem Nekrolog des Stifts St. Simon und Judas finden sich zwar zwei Personen mit Namen Giselbertus miles de Goslaria, keiner der angegebenen Sterbemonate paßt jedoch zum Datumsrest der Inschrift12).

In der Forschung ist auf stilistische Parallelen der Grabplatte zu den Stifterskulpturen mit aufgemalten Schildinschriften im Chor des Naumburger Doms hingewiesen worden13). Die künstlerische Qualität dieser möglichen Vorlagen wird aber vom Giselbert-Grabdenkmal keineswegs erreicht.

Textkritischer Apparat

  1. AN[N]O] Erstes, rundes N R-ähnlich geformt, vielleicht später ergänzt.
  2. Ob V Bestandteil der Jahres- oder der Tagesangabe ist, kann nicht entschieden werden. Zwischen der Ziffer V und LE in [KA]LENDAS eine Lücke von etwa 28 cm.
  3. Es ist nicht zu entscheiden, ob die Inschrift hier, etwa in der Mitte der rechten Langseite, endet oder der folgende Text abgetreten ist.
  4. DAN[.] [.]ONVM] Zwischen beiden Wörtern heute eine Lücke mit unleserlichen Buchstabenresten. Statt [.]ONVM bei Gidion OTIVM, vgl. Anm. e.
  5. FECIT] In C eingeschriebenes I; vom T unter der Hand des Vogts, die den Schild hält, nur der Schaft sichtbar. Der ursprüngliche Vers könnte QVEM LAPIS ISTE TEGIT FVNDANS DONVM SIBI FECIT gelautet haben. Die Übersetzung folgt dieser Rekonstruktion, für die ich Prof. Dr. Fidel Rädle, Göttingen, danke. Die Spationierung der Inschrift ist heute nicht mehr zu verifizieren. fundans nomen sibi fecit Lesung Griep.
  6. Der ursprüngliche Wortlaut könnte GISELBREHT MEMORES ESTE oder ESTOTE gewesen sein. Die Übersetzung folgt dieser Rekonstruktion.

Anmerkungen

  1. Asche, Kaiserpfalz, S. 7. Vgl. Nr. 99.
  2. Zu der in Goslar üblichen Darstellung von kaiserlichen Vögten mit einem Schwert als Amtszeichen vgl. Einleitung, S. XVII, auch Nr. 11, 45.
  3. Vgl. dazu Renate Kroos, Grabbräuche – Grabbilder, in: Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter, hg. von Karl Schmid, Joachim Wollasch (Münstersche Mittelalter-Schriften 48), München 1984, S. 285–353, hier S. 346; Henriette s’Jacob, Idealism and Realism. A Study of Sepulchral Symbolism, Leiden 1954, S. 111f. Griep, Kunstwerke 1 K, S. 9 (auch ders., Kunstwerke 2, S. 43), vermutet irrigerweise, die Hand könnte ein Zeichen der Vogtwürde des Bestatteten gewesen sein.
  4. Wappen von Goslar (Balken belegt mit Blütenranke; Bonhoff/Griep, Nr. 544, 561, 564). Vgl. auch eine Abbildung seines Siegels in UB Goslar 1, Tf. IV, Nr. 11 (Balken ohne Ranken). Vgl. ebenso das Siegel seines Sohns Burchard aus dem Jahr 1256 (UB Goslar 2, Tf. XV, Nr. 65) und seines Neffen Giselbert (III.) aus dem Jahr 1282 (ebd., Nr. 66). Die Ranken finden sich erst seit 1297 auf dem Siegel Burchards von Wildenstein (ebd., Tf. XVIII Nr. 85, dazu Erläuterung S. 698).
  5. Vgl. Wilke, S. 139.
  6. UB Goslar 1, Nr. 486 S. 478: miles et civis Goslariensis.
  7. Zur Gründung und zur Frühgeschichte des Hospitals vgl. Graf, Kap. II.1.3. ‘Hospitäler’. Auch Hans Gidion, Der Goslarische Reichsvogt Giselbert de Goslaria, in: Harz-Zs. 14, 1962, S. 155–160.
  8. Als möglicher Standort wird auch das jüngere Neue Hospital, eine städtische Gründung, angegeben, da das von Giselbert (II.) gegründete angeblich nicht florierte (Schiller, S. 34).
  9. Zu dieser Familie vgl. allgemein Wilke, S. 214–216; Stammbaum der Familie ebd., Anhang (o. S.). Auch Gidion (wie Anm. 7), passim; Kurt Kronenberg, Die Herren vom Stapelhof und die Stadt Goslar, in: Braunschweigisches Jb. 38, 1957, S. 47–60.
  10. UB Goslar 2, Nr. 22 S. 123. Vgl. auch Wilke, S. 224 Nr. 39. – Die Datierung des Steins ins Jahr 1250 (Griep, Kunstwerke 1 K, S. 9; ebenso ders., Kunstwerke 2, S. 43) ist somit hinfällig. Zudem liest er MCCL XVI MENSIS DEC. und datiert entsprechend auf den 16.12.1250. Diese Datierungsform nach durchgezählten Monatstagen ist jedoch erst seit dem 15. Jahrhundert üblich (vgl. DI 34 [Bad Kreuznach], S. XXIX).
  11. UB Goslar 2, Nr. 36 S. 133 (ebenso Nr. 37 S. 133f): quondam Giselberti filius bone memorie, dictus de Goslaria.
  12. StA Goslar, Domstift, Kopialbuch A, Bestand B (unverzeichneter Teil), S. 5–8, hier S. 5f.
  13. Vgl. Schubert, S. 212, 215.

Nachweise

  1. Kdm. Stadt Goslar, S. 203 mit Abb. 203.
  2. Asche, Kaiserpfalz, S. 7f.
  3. Fink, S. 70f.
  4. Hölscher, Kaiserpfalz, S. 149.
  5. Griep, Kunstwerke 1 K, S. 8f.
  6. Griep, Kunstwerke 2, Abb. 35 S. 42.
  7. Hans Gidion, Der Goslarische Reichsvogt Giselbert de Goslaria, in: Harz-Zs. 14, 1962, S. 155–160, S. 149f.
  8. Arnold, Nr. 6.
  9. Schubert, S. 217 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 10 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0001005.