Inschriftenkatalog: Stadt Goslar

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 45: Stadt Goslar (1997)

Nr. 8 Neuwerkkirche spätes 12.–1. H. 13. Jh.

Beschreibung

Engelsskulptur auf einer Konsole, mit Meisterinschrift, Sandstein. Die Figur „von einfachster Machart und Formgebung“1) ist unter dem Gurtgesims des Mittelschiffs am südlichen Nebenpfeiler des Westjochs so angebracht, daß das Gesims in seiner unteren Hälfte durch Kopf und Nimbus des Engels unterbrochen wird. Direkt gegenüber an der Nordseite befindet sich der alte Haupteingang der Kirche2). Die Inschrift ist vertieft auf einem vom Engel gehaltenen zweizeiligen Spruchband angebracht; das letzte Wort steht auf der Konsole. Sowohl Figur als auch Inschrift müssen farbig stärker gefaßt gewesen sein, als noch zu erkennen ist, denn die in relativ großer Höhe angebrachte Inschrift ist ohne farbige Hervorhebung mit bloßem Auge nicht lesbar.

Maße: H. ca. 75 cm, Bu. ca. 4 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

Inschriftenkommission Göttingen [1/2]

  1. MIRI · FACTA · VIDE · LAV/DANDO VIRI · LAPICIDE · // WILHELMI

Übersetzung:

Betrachte mit Lob die Werke des bewundernswerten Manns, des Steinmetzen Wilhelm.

Versmaß: Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt.

Kommentar

Die Schriftbeschreibung wird dadurch erschwert, daß die Skulptur in relativ großer Höhe angebracht ist. An Einzelheiten sind zwei verschiedene unziale M zu erkennen: in MIRI ein vorne geschlossenes, in WILHELMI ein symmetrisches mit beidseitig leicht nach außen umgebogenen Bogenenden. Das offene symmetrische unziale M findet sich in einer Trierer Weiheinschrift von 11243). Die fehlenden Abschlußstriche und Bogenverstärkungen sowie die geringe Anzahl unzialer Formen schließen eine Datierung vor der aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammenden Meisterinschrift für Hartmann an der Vorhalle von St. Simon und Judas (Nr. 3) nicht aus. In diesem Fall wäre der heutige Anbringungsort der Engelsskulptur mit Sicherheit wohl kaum der ursprüngliche, da mit dem Bau des Kirchenschiffs nicht vor dem späten 12. Jahrhundert begonnen wurde.

Der das Spruchband haltende Engel wird als „Überbringer himmlischer Botschaften“, als Sprachrohr „bildhauerischer Selbstdarstellung mit Verewigungswunsch in Dienst genommen“4). Die Inschrift macht nach Griep5) auf vier eigenartige Plastiken an den ösenartig abgebogenen, halbsäulenförmigen Vorlagen der Hauptpfeiler aufmerksam. Weiterhin ist behauptet worden, die Inschrift sei auf den Baumeister des Kirchengewölbes zu beziehen6) und der Engel somit sicher in das zweite Viertel des 13. Jahrhunderts zu datieren. Diese These ist jedoch kaum zu belegen. Die merkwürdige Anbringungsart der Figur, durch die das Gesims teilweise unterbrochen wird, könnte darauf hinweisen, daß ihr heutiger nicht ihr ursprünglicher Standort ist.

In einer bischöflichen Urkunde von 12257) wird ein Wilhelm an zweiter Stelle in der Zeugenliste genannt. Daß es sich, wie in der Literatur angenommen wird, bei diesem um den in der Inschrift bezeichneten Meister handelt, ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, aber auch nicht zwingend zu belegen.

Ein grundlegendes Problem, das an dieser Stelle nicht gelöst werden kann, ist die architekturgeschichtliche Einordnung der Engelsskulptur in die erste Bauphase des späten 12. bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts oder aber in eine spätere um 1230 oder um 1240–1245, die mit der Einwölbung des Langhauses in Zusammenhang zu sehen ist. Das Datum der Einwölbung ist letztlich nicht gesichert; beide Bauphasen sind nicht klar voneinander zu trennen8).

Anmerkungen

  1. Klaus Niehr, Die mitteldeutsche Skulptur der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts (Artefact 3), Weinheim 1992, Nr. 45 S. 223.
  2. Vgl. dazu Nr. 6. Zur Beschreibung des Engels vgl. Niehr (wie Anm. 1); Leopold Giese, Die mittelalterlichen Goslarer Stadtkirchen, masch. phil. Diss. Berlin 1921, S. 136f.
  3. Rüdiger Fuchs, Drei Weiheinschriften im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Trier, in: Neue Forschungen und Berichte (Kataloge und Schriften des Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseums Trier 3), Trier 1994, S. 33–48, hier S. 35 (Abb.).
  4. So Albert Dietl, Italienische Bildhauerinschriften. Selbstdarstellung und Schriftlichkeit mittelalterlicher Künstler, in: Inschriften bis 1300. Referate der Fachtagung für mittelalterliche und frühneuzeitliche Epigraphik Bonn 1993, hg. von Helga Giersiepen, Raymund Kottje (Abhandlungen der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften 94), Opladen 1995, S. 175–211, hier S. 209. Vgl. auch Peter Cornelius Claussen, Künstlerinschriften, in: Ornamenta ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik in Köln, 3 Bde., Köln 1985, Bd. 1, S. 263–276, hier S. 264, sowie die Meisterinschrift auf dem Kapitell der Vorhalle von St. Simon und Judas (Nr. 3).
  5. Griep, Neuwerk, S. 58; ders., Kunstwerke 1 K, S. 24f; so auch Niehr (wie Anm. 1), Nr. 45 S. 223f (datiert 1240/45).
  6. Wie Anm. 5; ähnlich Hölscher, Forschungen, S. 25f.
  7. UB Goslar 1, Nr. 442 S. 445f.
  8. Vgl. zu diesem Problem Nr. 6.

Nachweise

  1. Mithoff, Archiv, S. 22.
  2. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 52.
  3. Kdm. Stadt Goslar, S. 101, Abb. 93 S. 102.
  4. Meier, Stadt, S. 126.
  5. Arnold, Nr. 2.
  6. Klaus Niehr, Die mitteldeutsche Skulptur der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts (Artefact 3), Weinheim 1992, Nr. 45 S. 223f mit Abb. 58.

Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 8 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0000805.