Inschriftenkatalog: Stadt Goslar

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 45: Stadt Goslar (1997)

Nr. 3 St. Simon und Judas, Vorhalle 2. H. 12. Jh.

Beschreibung

Abakus des Kapitells auf der Mittelsäule des Portals zur sog. Domvorhalle (ehemaliger Nordeingang der Stiftskirche St. Simon und Judas) mit Meisterinschrift, Sandstein. Der mit Laubwerk verzierte Säulenschaft ruht auf einem kauernden, sehr stark beschädigten Löwen. Am vierseitigen Kapitell befindet sich in der Mitte jeder Seite jeweils eine Maske, in deren Mund die Schwänze zweier geflügelter Drachen enden1).

Die eingehauene Inschrift beginnt an der Schauseite des Portals, das der Stadt zugekehrt ist. Die linke Seite des Abakus ist ohne Text, die dem Vorhalleninneren zugekehrte Kapitellseite steht unmittelbar vor einer gläsernen Wand. Da die Vorhalle schon 1817 von Büsching als mittels einer Holztür verschlossen beschrieben wurde2), kann dieser Zustand keine Folge der Renovierung seit 1820 sein. Möglicherweise war die Vorhalle ursprünglich offen, die dem Innenraum zugewandte Kapitellseite im Mittelalter also von dort aus sichtbar.

Maße: H. (Kapitell) ca. 65 cm, Bu. 5 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

Inschriftenkommission Göttingen [1/1]

  1. · + · HARTMANNVS · STA/TVAM · FECIT · BASIS/Q(VE)a) · FIGVRAMb) · +

Übersetzung:

Hartmann fertigte die Säule und die Figur des Sockels an.

Versmaß: Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt.

Kommentar

Runde Formen der Buchstaben E, H, M, N sowie keilförmige Verbreiterungen von Hasten-, Balken- und Bogenenden legen eine Entstehung der Inschrift in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nahe. Ebenso deutet rundes N unmittelbar neben kapitalem N als bewußter Einsatz variierender Formen in die Spätzeit der romanischen Majuskel. Insgesamt weisen diese schriftgeschichtlichen Beobachtungen somit eher in die zweite Hälfte des 12. als in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts3), denn Inschriften der späteren Zeit zeigen vielfach schon abgeschlossenes unziales E und deutliche Bogenschwellungen4). Die Entstehung der Inschrift (und damit auch der gesamten Vorhalle) während der Jahre 1220–1230 ist somit ebensowenig wahrscheinlich5) wie die in der Literatur mehrfach vorgenommene Identifizierung des Hartmann der Inschrift mit einem 1221 genannten gleichnamigen Dekan des Stifts6). Kapitell und Kämpferplatte weisen vielmehr enge Beziehungen zur Kapitellornamentik der Krypta des nahegelegenen Augustiner-Chorherrenstifts Riechenberg auf und werden daher neueren Forschungen zufolge ebenso wie die gesamte Vorhalle wohl kurz nach den fünfziger Jahren des 12. Jahrhunderts entstanden sein7).

Textkritischer Apparat

  1. BASISQ(VE)] In der älteren Literatur, offenbar nach Fiorillo, oft BASIN(QUE). Bereits korrigiert bei Büsching.
  2. Direkt rechts an den Worttrenner nach BASISQ(VE) anschließend sind schwach die in flacher Kerbe eingehauenen Buchstaben FI erkennbar. Das letzte Wort der Inschrift in seiner Gesamtheit ist aber zur ausgewogeneren Spationierung der Zeile erst weiter rechts ausgeführt, um die gesamte Breite des Abakus zu nutzen.

Anmerkungen

  1. Zur genaueren stilistischen Beschreibung von Kapitell und Kämpfer vgl. Stefanie Lieb, Die Adelog-Kapitelle in St. Michael zu Hildesheim und ihre Stellung innerhalb der sächsischen Bauornamentik des 12. Jhs. (Veröffentlichungen der Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln 51), Köln 1995, S. 177–181.
  2. Büsching, S. 276f, spricht von einer neu gemachte(n) Thür.
  3. Vgl. etwa eine Grabschrift des späten 12. Jahrhunderts in DI 2 (Mainz), Nr. 664 (von Konrad Bauer, Mainzer Epigraphik. Beiträge zur Geschichte der mittelalterlichen Monumentalschrift, in: Zs. des deutschen Vereins für Buchwesen und Schrifttum 9, 1926, S. 1–45, hier S. 34, zwischen 1160 und 1180 datiert). Die Inschrift zeichnet sich zwar im Vergleich mit der Goslarer Meisterinschrift durch eine größere Anzahl runder Formen und eckiges neben rundem C aus, ist aber in den Proportionen und den beschriebenen Charakteristika durchaus vergleichbar.
  4. Vgl. DI 29 (Worms), Nr. 31 (um 1220), Nr. 37 (1. H. 13. Jh.); trotz älterer Formen auch ebd., Nr. 35 (2. V. 13. Jh.).
  5. Dies gegen Hölscher, Forschungen, S. 91f; ders., Kaiserpfalz, S. 93, 161f. Von der schriftgeschichtlichen Einordnung der Inschrift abgesehen, bleibt Hölscher außerdem den Nachweis schuldig, daß die urkundlich erwähnte und vor 1239 erbaute Maria Magdalenen-Kapelle mit der Vorhalle identisch ist (vgl. Arnold, Nr. 3 Anm. 3); Nachweis der Unhaltbarkeit dieser These bei Griep, Kirchen, S. 136. Zur stilistischen Datierung der Vorhalle vgl. Lieb (wie Anm. 1), S. 100f, 223f.
  6. Vgl. UB Goslar 1, Nr. 417 S. 424f, hier S. 425.
  7. Vgl. Lieb (wie Anm. 1), Abb. 164 (Kapitell Riechenberg), Abb. 178 (Kapitell Goslar).

Nachweise

  1. Fiorillo, S. 29.
  2. Büsching, S. 276f.
  3. Mithoff, Archiv, S. 7; Tf. 6.
  4. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 42.
  5. Kdm. Stadt Goslar, S. 56, Abb. 54 S. 58.
  6. Hölscher, Kaiserpfalz, S. 94.
  7. Meier, Stadt, S. 92.
  8. Arnold, Nr. 3.
  9. Schubert, S. 211 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 3 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0000300.