Inschriftenkatalog: Stadt Goslar

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 45: Stadt Goslar (1997)

Nr. 175 St. Annenhospital vor 1650 ?

Beschreibung

Ausfachungen und hölzerne Brüstungsverschalung der Galerie in der Diele des Hospitals in der Glockengießerstraße 65, 1956 restauriert1). Bei der erneuten Restaurierung des Innenraums im Jahr 1995 wurden die auf dem Putz der Ausfachungen an der Südwand in dunkler Farbe aufgemalten fünf Bibelsprüche (A–E) aufgedeckt und die erhaltenen Buchstaben und Buchstabenfragmente überfaßt. Auf den Holzbohlen der Brüstung an der Nord- und Westseite sind auf grauem Grund in heller Farbe weitere 16 Bibelsprüche (F–U) aufgemalt; die Inschriften F–N befinden sich auf der seitlichen, O–U auf der hinteren Brüstung. Die Ausschmückung der verschiedenen Wandflächen des Innenraums mit Bibelsprüchen wird hier wiedergegeben, da nicht auszuschließen ist, daß sie vor 1650 angebracht wurden. In vokalischer Verwendung weisen u und v in vielen Fällen einen Akut auf. Die Inschriften sind mit Interpunktionszeichen und unterhalb der Grundlinie schräg gesetzten, einfachen oder doppelten Trennstrichen versehen.

Maße: Bu. 4–5,5 cm (A–E), 6 cm (F–U).

Schriftart(en): Fraktur, mit Kapitalis (N).

Inschriftenkommission Göttingen [1/11]

  1. Südwand, Ausfachungen:

  2. A

    Actvs. x. [. 4]3. / Von diesen (Jesu)a) Zeugen alle / Propheten das durch seinen Nahmen / alle die an gleubenb) vergebung / der sunden empfahen sollen4)

  3. B

    Seelig sindt die sanftmütigen, / den sie werden das Erdreich besitzen, / Seelig sind die da hungert und drustet nach / der gerechtigkeit den sie sollen satt werd[e]n5)

  4. C

    Seelig sind die friedtfertiegen. / den sie werden Gottes kinder heisen. / Seelig sindt die um gerechtigkeit wille(n) ver-/folget werden den das Himmelreich ist ihr6)

  5. D

    Seelig seidt ihr, wen euch die menschen / um meinentwillen schmähen undt / verfolgen, vnd reden allerley übels wieder / euch, so sie daran liegen7)

  6. E

    Math xxv [3]5. 36. 40. / Kompt her ihr gesegneten meines vater[s] / Ererbet das Reich das euch bereitet ist / von anbegin der weldt8)

  7. Nord- und Westseite, Brüstungsbohlen:

  8. F

    Matth. 11. / Komet her zu mir alle die / ihr müheselig und / beladen seyd, ich / wil euch er-/qvicken9).

  9. G

    Hiob 7. v. 6. / Meine Tage sind leichter dahin/geflogen, den ein weberspul und / sind vergangen, dasz kein / auffhalten da gewe=/sen ist10)

  10. H

    Esai. 54. / Ich habe dich ein klein / augenblick verlaszen / aber mit Groszer Barm=/hertzigkeit wil ich dich / samlen11).

  11. I

    Ezekiel 33. / So wahr als ich lebe sprich / der Herr, Herr, Jch habe keinen /gefallen am Tode des Gottlosen / sondern dasz sich der Gottlose / bekehre von seinem we=/sen und leben12).

  12. J

    Iohann. 3. / Also hat Gott die welt ge=/liebet, dasz er seinen eingebohrnen / Sohn gab, auf dasz alle die an ihn / glauben nicht sollen verlohren wer/den sondern dasz ewige le=/ben haben13)

  13. K

    Psalm. 95. / Kompt herZu, / Laszet uns dem Herrn / frolocken, und / Jauchzen dem Hort / unsers Heils14)

  14. L

    Psalm. 2. 9. Bringet dem Herrn Ehre, / seines Nahmens betet an / dein Herrn im Heilig=/en Schmucke15)

  15. M

    Matth. xxv v 34. 35. 39. / Kommet her ihr gesegneten / meines vaters nemhet das / reich, das euch bereitet ist / von anbegin, der welt16)

  16. N

    ESAI: i. 2. / Ich habe dich erhöret. / Zur gnädigen Zeit, und habe / dir am Tage des Heils / geholfen17).

  17. O

    Liebet Eure / feinde, segnet die / euch fluchen, thut / wohl denen, die euch / hassen bittet für die, / so euch beleidigen / und verfolgen18).

  18. P

    Seid frölig und / gerechtesc) wird euch / im himmel wohl belond, / werden den also haben / sie verfolget die Prophe=/ten die vor euch ge=/wesen sind19)

  19. Q

    Segen sei dihrd), wen / euch die menschen um / meinetwillen schmähen / und verfolgen, und reden allerley übels wieder / euch, so sie daran siegene)20)

  20. R

    Die weisheit / des Menschen, er=/leuchtet sein Ange=/sicht, wer aber / frech, ist der ist / feindselig21)

  21. S

    Selig sind die / barmherzigen den sie / werden Barmherzigkeit / erlangen. Selig sind die / reines Herzens sind den/n sie werden Gott schauen22)

  22. T

    Selig sind die / sanfttmüthigen den / sie werden dasz erdreich / besizen. Selig sind die da / hungerd und dürstet nach / der gerechtigkeit den / sie sollen satth / werden23).

  23. U

    Matth. V. v. 3. / Selig sind die da geistlieh / hirf) sind den das himmel/reich ist ihr. Selig sind die / da leid tragen den sie / sollen getrestet Werden24)

Kommentar

Mögliche Anhaltspunkte für eine Datierung der Inschriften bieten die kurz vor 1650 eingesetzten Fensterscheiben (Nr. 166), die auf weitergehende Erneuerungsarbeiten schließen lassen könnten, weiter die chronikalisch überlieferte Nachricht von einer Renovierung 16712) sowie der Umbau des Hospitals zwischen 1715 und 17173). Die Tatsache, daß drei Bibelzitate sowohl an der Nordwand als auch an der Brüstung der Süd- bzw. Ostseite zu finden sind (vgl. Inschrift B mit T, D mit Q, E mit M), könnte darauf hindeuten, daß die Flächen nicht gleichzeitig ausgestaltet wurden. Die spätere Abdeckung der Gefache der Südwand gibt weiterhin Anlaß zu der Vermutung, die Inschriften auf der Brüstung könnten gewissermaßen als Ersatz für die der Nordwand gedacht gewesen sein. Somit wären die Inschriften A–E an der Südwand früher zu datieren als F–U an der Nord- und Westseite. Nachweisen läßt sich diese Vermutung jedoch ebensowenig wie die Entstehung der Inschriften vor 1650. Die in einer ornamentalen Fraktur monumental ausgeführten Bibelsprüche sind der wesentliche Schmuck der Galerie in der Diele. In dieser Konzentration auf das Bibelwort läßt sich ein ausgeprägt protestantisches Programm erkennen. Das St. Annenhospital besteht seit 1488, gehört zur Gemeinde St. Stephani und wird heute als Wohnhaus und für Andachten genutzt.

Textkritischer Apparat

  1. (Jesu)] Klammern so im Original.
  2. gleuben] Richtig ihn gleuben.
  3. Seid frölig und gerechtes] Der Bibeltext lautet an dieser Stelle Seid frölich vnd getrost, Es (Mt. 5,12).
  4. Segen sei dihr] Der Bibeltext lautet an dieser Stelle Selig seid jr (Mt. 5,11).
  5. siegen] Der Bibeltext lautet an dieser Stelle liegen (Mt. 5,11).
  6. hir] Der Bibeltext lautet an dieser Stelle arm (Mt. 5,3).

Anmerkungen

  1. Vgl. Raumkunst in Niedersachsen, Katalog, Nr. 43 S. 229. Siehe auch die Beschreibung des Hauses bei Griep, Bürgerhaus, S. 150f; Steinacker, S. 18–21.
  2. Vgl. Hasselbring u. a., Annenhaus, S. 32.
  3. Vgl. die am östlichen Ende des Mittelschiffs auf zwei Holztafeln aufgemalten chronikähnlichen Vermerke. Dem Text der auf der Südseite angebrachten Tafel zufolge wurde das Hospital 1494 zu Ehren der Heiligen Anna und Gertrud von den Brüdern Heinrich und Conrad Geismar erbaut. Die Tafel der Nordseite nennt den für die Renovierung 1716 verantwortlichen Pastor und die beiden Provisoren. Steinacker, S. 19, vermutet, wenigstens die Galerie der Westwand sei erst im Rahmen dieser Renovierungsmaßnahme des Hospitals zu Beginn des 18. Jahrhunderts eingebaut worden. Bei Hasselbring u. a., Annenhaus, S. 30, wird die Konstruktionsweise der Galerie zwar beschrieben, der Zeitpunkt ihres Einbaus aber nicht bestimmt. Die nach Hasselbring u. a., S. 33, an der Decke angebrachten Jahreszahlen 1715, 1716 und 1717 konnten nicht gefunden werden. Von Rolf Gramatzki, Bemalte Kirchendecken – Wandel in Form und Sinngebung, in: Raumkunst in Niedersachen, S. 157–218, hier S. 172, 176, wird die Deckenmalerei dem Jahr 1671 zugeordnet, wohingegen der Katalog sie „um 1713/16 (?)“ datiert. Die in Fraktur und Kapitalis aufgemalten Inschriften im Ostteil des Gebäudes unter drei Heiligenfiguren sind nach 1650 entstanden (vgl. Kdm. Stadt Goslar, S. 209).
  4. Apg. 10,43.
  5. Mt. 5,5f.
  6. Mt. 5,9f.
  7. Mt. 5,11.
  8. Mt. 25,34.
  9. Mt. 11,28.
  10. Hi. 7,6.
  11. Jes. 54,7.
  12. Hes. 33,11.
  13. Jh. 3,16.
  14. Ps. 95,1.
  15. Ps. 29,2.
  16. Mt. 25,34.
  17. Jes. 49,8.
  18. Mt. 5,44.
  19. Mt. 5,12.
  20. Mt. 5,11.
  21. Spr. 8,1.
  22. Mt. 5,7f.
  23. Mt. 5,5f.
  24. Mt. 5,3f.

Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 175 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0017501.