Inschriftenkatalog: Stadt Goslar
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 45: Stadt Goslar (1997)
Nr. 98 Glockengießerstr. 2 1573, 1575, 1577
Beschreibung
Haus, traufenständig, mit älterem steinernen Erdgeschoß und vorkragendem Fachwerkobergeschoß. Das Obergeschoß des linken Hausteils wurde 1573 aufgesetzt und ist 16 Gefache, das des von 1577 stammenden rechten Hausteils 14 Gefache breit. Die Inschriften sind am linken Hausteil auf dem Schwellbalken des Obergeschosses an der Vorderseite (A) und der Hausrückseite (B) angebracht. Auf dem Schwellbalken des rechten Hausteils befindet sich Inschrift C, dort auch über einer Tür der nachträglich vermauerte Kaminsturz. In seinen vier viereckigen, von einfachen Rahmen umgebenen Feldern befinden sich jeweils außen die erhabene Jahresangabe (D) sowie in den beiden mittleren, etwas höheren Feldern die ebenfalls erhabenen Initialen und Wappen. In Inschrift A wird nach 126, dies, 27 und Gloria ein aus drei Punkten bestehendes Interpunktionszeichen gesetzt, das hier mit einem Punkt auf der Grundlinie wiedergegeben wird. Die u in Inschrift C sind mit übergeschriebenen Querstrichen versehen; die Jahresangabe ist in kleineren Ziffern unter der Zeile ausgeführt.
Maße: Bu. 9 cm (A–C), ca. 5 cm (D).
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit einzelnen Elementen der Fraktur und Kapitalis-Versalien (A), gotische Minuskel mit Kapitalis-Versalien (B), Fraktur (C)1), Kapitalis (A, D).
- A
Nisi dominus aedificauerit domum. in uanum laborauerunt qui aedificant eam Nisi Dominus custodierit ciuitatem frustra uigilat qui custodit eam2) psalm · 126. Anno Domini 1573. Abel R[UCK]a) secreta[r]b) Ne glorieris in crastinum. ignorans quid superuentura pariat dies3). Prouerbior(um)c): 27. Soli Deo Glori<a. V KYRIE>d)
- B
Qui declinat aures suas ne audiat legem Oratio eius erit execrabilis4): Pro: 28: Abel Ruck Se[. . .]omini [. . .]e)
- C
Godt der alle dingk vermag ·Behute dis haus zu tag vnd nacht ·Er wolt vns auch gleiten ·wen wir von hinne(n) scheide(n) ·Wir sind hir elende geste ·noch bawen wir hohe neste ·Wer besser wir thete(n) mauren ·Da wir ewig muchten dauren5) ·Dis zeitlich hat doch nur den schein · Das gute hat lon das bose pein · Drum last vns das Zeitlig verachte(n) · vn stets na de(n) ewige(n) trachte(n) : /1577 ·
- D
ANNO DOMIMIf) // M · D ·/LXXV ·
Wappen mit Beischriften:
A R6)A V7)
Übersetzung:
Wenn nicht der Herr das Haus erbaut hat, haben sich vergeblich (die) bemüht, die es bauen. Wenn nicht der Herr die Stadt beschützt hat, wacht (der) vergeblich, der sie schützt. Psalm 126. Im Jahr des Herrn 1573. Abel Ruck, Sekretär. Rühme dich nicht des folgenden Tages, da du nicht weißt, was der kommende Tag bringen wird. Sprüche 27. Allein Gott die Ehre. Herr. (A)
Wer seine Ohren abwendet, um das Gesetz nicht zu hören, dessen Gebet wird verflucht sein. Sprüche 28. Abel Ruck, (Sekretär) (...). (B)
Textkritischer Apparat
- R[UCK]] Ende des Schwellbalkenstücks beschädigt, Ergänzung nach Griep. Von U ist noch der linke Bogenabschnitt sichtbar, aus dessen Gestalt hervorgeht, daß der Familienname des Erbauers in Kapitalis ausgeführt war.
- secreta[r]] Letzter Buchstabe verdeckt; Ergänzung nach Griep.
- Prouerbior(um)] Kürzungszeichen fehlt.
- a in Gloria und nachfolgende Buchstaben der Inschrift A auf einem erneuerten Balkenstück.
- Das Ende der Inschrift mit Ausnahme der Buchstaben omini wurde durch Abarbeitung des Balkens in neuerer Zeit zerstört.
- DOMIMI] Richtig DOMINI.
Anmerkungen
- Zu den verschiedenen Schriftarten vgl. Einleitung, S. XXXI.
- Ps. 126,1.
- Prv. 27,1.
- Prv. 28,9.
- Vgl. Wander 1, Sp. 254 Nr. 61 (Wir bauen alle feste, da wir sind fremde Gäste, und wo wir sollen ewig sein, da bauen wir gar selten ein). Zu diesem Spruch vgl. den Kommentar.
- Wappen Ruck (Weinranke; Bonhoff/Griep, Nr. 1450).
- Wappen Vegebank (verwittert, wohl Flügel; so Bonhoff/Griep, Nr. 1451).
- Vgl. Art. ‘Spruch der Engel’ (Gisela Kornrumpf), 2VL 9, Sp. 180–186.
- Nach Wander 1, Sp. 254 Nr. 61. Vgl. auch Bolte, S. 115 mit Anm. 2.
- Zitiert nach Assion, S. 252; ähnlich in einer niederrheinischen Handschrift aus dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts (Art. ‘Spruch der Engel’ [wie Anm. 8], Sp. 184). Zu dem genannten Nonnengebetbuch vgl. Art. ‘Haus der Tugenden’ (Hartmut Beckers), 2VL 3, Sp. 550f.
- Vgl. DI 26 (Stadt Osnabrück), Nr. 154 (1586); Hildesheim, Hausinschrift Eckemeckerstr. 26 (1621/22).
- Bonhoff/Griep, S. 82.
- Alle Angaben zu den Personen, soweit nicht anders angegeben, nach Samse, S. 210; vgl. auch ebd., S. 316f, 318.
- StA Goslar, Häuserbuch 1546–1587, B 3646, 1575/1095.
- StA Goslar (wie Anm. 14), 1579/1211, auch 1579/1316.
Nachweise
- Mithoff, Kunstdenkmale, S. 73 (A).
- Steinacker, S. 57.
- Kdm. Stadt Goslar, S. 358f.
- Andrae, S. 430 (A, C).
- Bonhoff, Hausinschriften, S. 18 (A, C).
- Griep, Bürgerhaus, S. 148f.
Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 98 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0009800.
Kommentar
Der in Inschrift C (Vers 5–8) rezipierte Spruch über das diesseitige emsige Bauen von Häusern im Gegensatz zum vernachlässigten Streben nach dem ewigen Gut der Erlösung ist in zahlreichen oberdeutschen Handschriften des 15. Jahrhunderts in verschiedenen Fassungen überliefert und fand seit 1590 Aufnahme in gedruckte Sprichwortsammlungen und Stammbücher8). Die am häufigsten rezipierte Spruchfassung lautet etwa: „Wir bauen alle feste, / da wir sind fremde Gäste, / und wo wir sollen ewig sein, / da bauen wir gar wenig ein“9). Eine in ein nordniedersächsisches Nonnengebetbuch um 1470 eingetragene Tugendallegorie enthält einen niederdeutschen Vierzeiler, welcher der der Goslarer Hausinschrift von 1577 zugrundeliegenden Fassung deutlich nähersteht als die stärker verbreiteten oberdeutschen Formen: Wy zint hyr vromde geste / unde tymmeren grote veste / my heft wunder dat wi nicht muren / dar wi ewich moten duren10). Hervorzuheben sind dabei (bei gleicher Aussage beider Spruchfassungen) die umgekehrte Reihenfolge von Vers 1 und 2 sowie die Formulierung von Vers 3 und 4 mittels der Reimwörter muren – duren in der niederdeutschen Fassung im Gegensatz zu den Reimwörtern ‘ewig sein’ – ‘wenig ein’ der oberdeutschen Formen. Der Goslarer Schwellbalken bietet die älteste bekannte inschriftliche Ausführung des Vierzeilers und repräsentiert gleichzeitig eine Sonderform. Der zweite Goslarer Beleg (Nr. 149) sowie die übrigen norddeutschen Beispiele sind wohl auf andere Überlieferungstraditionen zurückzuführen11).
Abel Ruck wurde 1517 in Remberg in Sachsen geboren und starb 1596 in Braunschweig. Bereits als 16jähriger war er in der herzoglichen Kanzlei in Wolfenbüttel tätig, fiel aber 1559 in Ungnade und wurde bis 1568 nach Hildesheim verbannt. Nachdem Hzg. Julius ihn nach Wolfenbüttel zurückberufen hatte, wurde er 1577 Hofrat, 1579 Kammersekretär. Er war Domherr in Halberstadt und Stiftsherr von St. Simon und Judas in Goslar12). Seine letzten Lebensjahre verbrachte er als Kanoniker von St. Blasius in Braunschweig. Seine zweite, aus Hildesheim stammende Frau Anna13) verkaufte 1575 ein Haus in der Friesenstraße14), Abel Ruck 1579 ein weiteres in der Piepmäkerstraße15).