Inschriftenkatalog: Stadt Goslar

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 45: Stadt Goslar (1997)

Nr. 90 Goslarer Museum nach 1567

Beschreibung

Drei Fenster mit Glasmalerei aus der Apsis der Stiftskirche St. Simon und Judas mit Darstellungen der Hauptpatrone des Stifts und der für die Stiftsgeschichte als bedeutsam erachteten Herrscher, also seiner geistlichen und weltlichen Schutzmächte, sowie eines kaiserlichen Wappens. Auf einem Fenster sind die Heiligen Matthias, Simon und Judas dargestellt, darunter in von Rollwerk umgebenen viereckigen Kartuschen in schwarzen Buchstaben aufgemalt die Tituli A–C. Auf einem weiteren Fenster sind der als Kaiser bezeichnete König Konrad I. sowie die Kaiser Heinrich III. und Friedrich I. mit den ebenfalls unterhalb der Darstellungen und in schwarzen Buchstaben ausgeführten Beischriften D–F zu sehen. Auf dem etwas größeren, heute über den übrigen angebrachten Fenster ohne Inschrift ist der doppelköpfige Reichsadler mit einem habsburgischen Wappenschild auf der Brust dargestellt. Nach Carl van Geldern waren die Figuren „so vertheilt, daß der Reichsadler das mittlere Fenster, die drei Schutzheiligen Matthias, Simon und Judas das Fenster links, und die drei Kaiser Conrad I, Heinrich III und Friedrich I das Fenster rechts zierten“1). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts befanden sich die Scheiben in der Kirche St. Stephani2), am Ende des Jahrhunderts in der Vorhalle von St. Simon und Judas3). Die Kaiser- und Heiligenfenster werden für etwas jünger als das Wappenfenster gehalten4); alle weisen zahlreiche Ausbesserungen auf. Die Inschriften D und E sind mit Interpunktionszeichen versehen, das letzte Zeichen von Inschrift F besteht aus drei Punkten.

Maße: H. (eines Fensters) ca. 180 cm, Br. ca. 180 cm5).

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis.

Inschriftenkommission Göttingen [1/3]

  1. A

    S · MATTHI/ASa)

  2. B

    S · SIMON

  3. C

    S · IVDAS

  4. D

    CONRADUS PRI=/MUS IMP(ERATOR) : FUNDA=/UIT HANC ECCLESI=/AM IN ARCE HERCY=/NIA ANNO CHRI(STI) : / · 916 : IN HONOREM / DEI, ET S(ANCTI) : MATTHIAE

  5. E

    HENRICUS · 3 · IMP(ERATOR) : / TRANSTULIT IN HUNC / LOCUM ANNO CHRI(STI) : / · 1040 : IN HONOREM / DEI, ET SANCTO=/RUM SIMONIS, ET / IUDAE

  6. F

    FRIDERICUS / PRIMUS IMP(ERATOR) : / DOTAUIT PRIUI=/LEGIIS ET EXEMTIONE / ANNO CHRI(STI) : 1188 ·

Übersetzung:

Kaiser Konrad I. gründete diese Kirche bei der Harzburg im Jahr Christi 916 zur Ehre Gottes und des hl. Matthias. (D)

Kaiser Heinrich III. übertrug sie an diesen Ort im Jahr Christi 1040 zur Ehre Gottes und der Heiligen Simon und Judas. (E)

Kaiser Friedrich I. beschenkte sie mit Privilegien und der Exemtion im Jahr Christi 1188. (F)

Wappen:
Heiliges Römisches Reich, Habsburg6)

Kommentar

Soweit anhand der geringen Buchstabenmenge der Aposteltituli feststellbar, könnten die abweichenden Formen (V in vokalischer Verwendung, A mit nach unten gebrochenem Querbalken) darauf hindeuten, daß Apostel- und Kaiserfenster nicht in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang entstanden. Die Beischriften zu den Kaiserbildern weisen breitere Proportionen und U in konsonantischer Verwendung auf. Innerhalb des Kaiserfensters findet sich v. a. in Inschrift D epsilonförmiges E, in Inschrift E N mit nach oben ausgebuchteter Schräghaste. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit könnte der bewußte Einsatz variierender ornamentaler Formen durch den ausführenden Glasmaler bieten. Als Datierungshinweis kann das dargestellte kaiserliche Wappen dienen, das auf den Siegeln Kaiser Maximilians II. von 1567 bis 15757), auf denen seines Sohnes und Nachfolgers Rudolf II. bis zum Jahr 16028) und schließlich auch unter Ferdinand III. (1637–1657)9) Verwendung fand. Möglicherweise wurden die Scheiben von Rudolf II. oder seiner Mutter, der Kaiserinwitwe Maria, als Entschädigung für Reliquien gestiftet, die dem kaiserlichen Hof in Prag 1577 nach längerem Schriftverkehr ausgehändigt werden mußten10). Ebenso denkbar erscheint eine Entstehung der Fenster aus Anlaß der Bestätigung der Stiftsprivilegien durch Rudolf II. im Jahr 158211). Ferner wird eine Entstehung der Fenster zwischen 1629 und 1632 in Erwägung gezogen, da in diesen Jahren die Jesuiten das Stift besiedelten und möglicherweise „Rudolf II. als Anhänger der Gegenreformation die Glasmalerei widmeten“12). Schließlich könnte die Verwendung desselben Wappens unter Ferdinand III. auf eine Entstehung auch während seiner Regierungszeit hindeuten. Eine sichere Datierung aufgrund epigraphischer Kriterien ist nicht möglich. In Inschrift D wird auf die in der Chronik von St. Simon und Judas überlieferte Gründungssage der kaiserlichen Pfalz auf der Harzburg Bezug genommen, der zufolge das dortige Valeriusstift von Konrad I. gegründet wurde13). Als ebenso sagenhaft ist die angebliche Verlegung dieser kaiserlichen Pfalz von der Harzburg nach Goslar durch Heinrich III. anzusehen, die in Inschrift E erwähnt wird14). Bei dem Exemtionsprivileg Friedrichs I. von 1188, das schließlich in Inschrift F hervorgehoben wird, handelt es sich erwiesenermaßen um eine in der Mitte des 13. Jahrhunderts entstandene Fälschung15).

Die Darstellungen der drei Stiftspatrone orientieren sich insgesamt eindeutig an denen der um 1520 entstandenen, ebenfalls aus St. Simon und Judas stammenden Wandteppiche (Nr. 74). Stilistische Unterschiede zwischen den Apostel- und den Kaiserfiguren lassen sich vielleicht auf die Benutzung dieser älteren Vorlage im Falle der Apostel zurückführen, so daß als Entstehungsort der Fenster Goslar in Betracht zu ziehen wäre. Die Suche nach Vorbildern für die Kaiserdarstellungen führt möglicherweise zu Werken des 1591 verstorbenen Nürnberger Holzschneiders und Malers Jost Ammann16).

Textkritischer Apparat

  1. MATTHIAS] Letzte Silbe aus Platzgründen in verkleinerten Buchstaben unter die Zeile gesetzt.

Anmerkungen

  1. StA Goslar, Gust[av] van Geldern, Beilage: [Carl van Geldern], Erläuterung zu Bl. X.
  2. Büsching, S. 288.
  3. Asche, Dom-Kapelle, S. 12.
  4. Vgl. die Erläuterungstafeln zu den Fenstern im sog. Domraum des Goslarer Museums.
  5. Die Fenster sind heute in großer Höhe angebracht, weshalb die Buchstabenhöhe nicht ermittelt werden konnte.
  6. Wappen Heiliges Römisches Reich: doppelköpfiger, nimbierter, gekrönter Reichsadler, von Kaiserkrone überhöht; auf der Brust mit einem Habsburger Wappenschild belegt: quadriert mit Herzschild Österreich (Balken); 1. Ungarn (hier drei Balken, statt siebenmal geteilt); 2. Böhmen (Löwe); 3. quadriert, Kastilien und León (1. und 4. Turm, 2. und 3. Löwe); 4. gespalten und halbgeteilt, Alt-Burgund (hier drei Schrägbalken, statt fünfmal schräggeteilt), Tirol (Adler), Flandern (Löwe); vgl. Siebmacher/Hefner 1.1.2, Tf. 10 Abb. 1. Dieses Wappen wurde von den Kaisern Maximilian II., Rudolf II. und Ferdinand III. geführt; vgl. den Kommentar.
  7. Vgl. Otto Posse, Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige von 751 bis 1913, 5 Bde., Dresden 1909–1913, ND (in 3 Bänden) Wien 1983, hier Bd. 3, Tf. 32 Nr. 1, dazu S. 21.
  8. Ebd., Tf. 37 Nr. 2–3, dazu S. 24.
  9. Vgl. Nr. 169.
  10. So die Vermutung von Zahlten, S. 346f; auch Hölscher, Reliquienschatz, S. 508–511. Das Stift war seit 1566 protestantisch. Zur Übergabe der Reliquien vgl. Crusius, S. 281.
  11. So auch die Erläuterungstafeln (wie Anm 4).
  12. Vgl. die Erläuterungstafeln (wie Anm. 4).
  13. In der Chronik des Stiftes S. Simon und Judas, S. 591 (ndt.), bezieht sich der erste Eintrag auf die seit 912 gezählte Regierungszeit Konrads I. Es heißt, er habe im fünften Jahr gebuwet und begiftiget dat munster to der Hertesborch der werliken kanonke in de ere sunte Valerii. Zu dieser Legende vgl. Dahlhaus, S. 403 Anm. 256. – Die Harzburg wurde erst unter Kaiser Heinrich IV. in der Mitte des 11. Jahrhunderts erbaut (vgl. Streich, S. 76).
  14. In der Chronik des Stiftes S. Simon und Judas, S. 592 (ndt.), heißt es, Heinrich III. wandelde dat munster sancti Valerii werliker canonke van der Hertesborch wente in de stidde, dar it nu licht; vgl. dazu Dahlhaus, S. 403 Anm. 256. – Zur Gründungsphase des Stifts St. Simon und Judas unter Heinrich IV. vgl. ebd., S. 403–408, auch Nr. 1.
  15. Die Urkunden Friedrichs I. 1181–1190, bearb. von Heinrich Appelt u. a. (MGH Diplomata 104), Hannover 1990, Nr. 1077 S. 420–423; auch UB Goslar 1, Nr. 315 S. 348–350. Zur Entstehung der Fälschung vgl. Urkunden Friedrichs I. (wie oben), S. 421; auch Bernd Schneidmüller, Stadtherr, Stadtgemeinde und Kirchenverfassung in Braunschweig und Goslar im Mittelalter, in: ZRG Kanonistische Abt. 110, 1993, S. 135–188, hier S. 174 Anm. 175.
  16. Genaueres dazu bei Zahlten, S. 347.

Nachweise

  1. Heineccius, S. 5a (D), S. 38a (E), S. 187a (F).
  2. Fiorillo, S. 30f.
  3. Büsching, S. 288f.
  4. StA Goslar, Gust[av] van Geldern, Bl. 10; Beilage: [Carl van Geldern], Erläuterung zu Bl. X.
  5. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 46.
  6. Asche, Dom-Kapelle, S. 12f.
  7. Kdm. Stadt Goslar, S. 60.
  8. Asche, Kaiserpfalz, S. 18.

Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 90 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0009006.