Inschriftenkatalog: Stadt Goslar

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 45: Stadt Goslar (1997)

Nr. 75 Hoher Weg 1 1521, 1525, 1526

Beschreibung

Haus ‘Brusttuch’, traufenständig, mit steinernem Erdgeschoß und einem 13 Gefache breiten Fachwerkobergeschoß. Ständer, Riegel, Fußwinkelhölzer und Knaggen des Obergeschosses einschließlich des Erkers der Giebelseite sind mit reicher Figurenornamentik versehen1). Die farbig gefaßte, erhaben ausgehauene Inschrift A mit zwei Wappenschilden befindet sich auf dem alten steinernen Torbogen der Giebelseite, in den heute ein nicht zugehöriger Kaminsturz eingebaut ist; B in erhabenen, farbig gefaßten Ziffern auf dem steinernen Fenstersturz der gleichen Hausseite. Inschrift C ist aus dem Schwellbalken des Erkers zum Hohen Weg hin auf einem von einem Mann und einer unbekleideten Frau gehaltenen Tuch herausgearbeitet, D auf dem Rähmbalken dieser Hausseite erhaben vor vertieftem Hintergrund angebracht. Die Wappen befinden sich neben den Inschriften A und B sowie ein weiteres Mal auf dem Schwellriegel unterhalb von Inschrift D. Inschrift E ist unter der früheren Windeluke, an der Hausseite zur Straße ‘Stoben’ hin, auf einem Füllbrett innerhalb eines einfachen Rahmens erhaben in zwei vertieften Zeilen angebracht.

Maße: Bu. 10 cm (A, D), ca. 5 cm (B), 4 cm (C), 8 cm (E).

Schriftart(en): Griechische Großbuchstaben (C), gotische Minuskel mit Versal(ien) (D, E).

Inschriftenkommission Göttingen [1/2]

  1. A

    15 21

  2. B

    1525

  3. C

    ΜΑΓΙSΕΡ · / ΘΗΛΛΙΓΚa) / 1526

  4. D

    Domus · tuta · esse · debet · et · refugium · ffb) · ad · se(natus) · con(sultum) · clau(dianum) · l(ege) · i2)

  5. E

    Magister · Johannes · / thili · anno · 1·5·26

Übersetzung:

Ein Haus muß sicher sein und ein Zufluchtsort. Digestenb), nach dem claudischen Senatsbeschluß, erstes Gesetz. (D)

Wappen:
Thiling3)Wegener4)

Kommentar

Das Obergeschoß ist entweder einige Jahre nach dem Bau des steinernen Hausteils aufgesetzt worden, oder aber die hölzernen Bauteile wurden erst zu diesem späteren Zeitpunkt mit den Ornamenten und der Inschrift versehen. Die Nameninschrift (C) in griechischen Buchstaben sowie das unter der Traufe angebrachte Zitat aus dem römischen Recht (D) sollten sicher die umfassende klassische und juristische Ausbildung des Bauherrn dokumentieren. Johannes Thiling war studierter Jurist5) und zeitweilig Goslarer Stadtsyndikus, außerdem Berg- und Hüttenherr6). Als seine Ehefrau wird Adelheid Wegener genannt7). Er verlor im Jahr 1527 in den Kämpfen Goslars gegen Hzg. Heinrich d. J. seinen Besitz8).

In Niedersachsen sind nur noch wenige Häuser des 16. Jahrhunderts mit derart reichem Bilderschmuck erhalten. Neben dem ‘Brusttuch’ sind das sog. Gildehaus in Braunschweig (1524/28)9), das Hoppener-Haus in Celle (1532), die Junkernschänke (1547/49) und das Haus des Tuchhändlers Hovet (1549)10) in Göttingen, das Rohrsche Haus in Helmstedt (1567) sowie schließlich außerhalb Niedersachsens das Eulenspiegelhaus in Osterwieck zu nennen. Von der These, der Bildschmuck an den Häusern in Braunschweig, Goslar, Celle und Osterwieck sei dem Bildhauer Simon Stappen zuzuschreiben, hat man inzwischen Abstand genommen11).

Textkritischer Apparat

  1. ΜΑΓΙSΕΡ ΘΗΛΛΙΓΚ ] Fehlerhafte griechische Umsetzung von lateinisch MAGISTER THILING.
  2. ff ] Die übliche juristische Sigle für Digesta.

Anmerkungen

  1. Vgl. die genaue Beschreibung bei Steinacker, S. 38–43; dazu die Überlegungen von Griep, Kunstwerke 2, S. 94–101.
  2. Digesten 29.5.1 (Cum aliter nulla domus tuta esse possit ...); die Rubrik des Titels lautet De senatus consulto Silaniano et Claudiano ... Dazu auch Steinacker, S. 42. Die bei Frölich, Rechtsinschriften, S. 40 Anm. 1, genannte Stelle ist zwar ebenfalls auf ein senatus consultum Claudianum zurückzuführen, behandelt jedoch nicht den rechtlichen Status eines Hauses.
  3. Wappen Thiling (Blüte und Blätter aus waagerechtem Ast; vgl. Bonhoff/Griep, Nr. 1739, 1941, dort nicht ganz zutreffend wiedergegeben).
  4. Wappen Wegener (drei Ähren oder Rohrkolben auf Berg; ebd., Nr. 1854).
  5. Vgl. die Matrikel der Universität Leipzig, hg. von Georg Erler (Codex diplomaticus Saxoniae regiae 2.16-18), 3 Bde., Leipzig 1895–1909, hier Bd. 1, S. 406 (1494); Bd. 2, S. 355 (1496, baccalaureus), S. 365 (1498, magister), weitere Erwähnungen auch S. 381f (1501), S. 387 (1502). Ältere Universitätsmatrikeln 1: Universität Frankfurt a. O., hg. von Ernst Friedländer (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 32), Leipzig 1887, S. 11b (1506), vgl. S. 9b.
  6. StA Goslar, Buhmann, S. 28.
  7. Vgl. Bonhoff/Griep, S. 95. Mögliche Vorfahren und Nachkommen Johannes Thilings werden aufgezählt bei StA Goslar, Buhmann, S. 27–32: Hans Tiling, genannt 1444–1470; Diderick Tiling, genannt 1480–1501; Zacharias Tiliken, genannt 1580. – Im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts sind mehrere Männer mit dem Familiennamen Wegener nachzuweisen (vgl. Bonhoff/Griep, S. 100).
  8. So Griep, Hausinschriften, S. 61.
  9. Vgl. DI 35 (Stadt Braunschweig 1), Nr. 409.
  10. Vgl. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 100, 101.
  11. So Stadt im Wandel 1, Nr. 205 S. 266f. – Auch DI 35 (Stadt Braunschweig 1), Nr. 409.

Nachweise

  1. Mithoff, Archiv, Tf. 38 (C).
  2. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 72 (A, C, D).
  3. Kdm. Stadt Goslar, S. 371 (C, D).
  4. Bonhoff, Hausinschriften, S. 15 (C, D).
  5. Theodor Asche, Das Brusttuch zu Goslar am Harz, Goslar 1890, S. 8 (D).
  6. Steinacker, S. 41 (C).
  7. Griep, Bürgerhaus, S. 152f (A, C, D).

Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 75 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0007506.