Inschriftenkatalog: Stadt Goslar

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 45: Stadt Goslar (1997)

Nr. 74 Goslarer Museum um 1520

Beschreibung

Zwei Wandteppiche, gewirkt, Seide und Wolle. Vor dem Abbruch der Stiftskirche St. Simon und Judas wurden sie als Rücklaken des Chorgestühls genutzt1), danach an verschiedenen Stellen, etwa in der Vorhalle von St. Simon und Judas, gelagert und mehrere Male ausgebessert. In den sechziger Jahren wurden sie erneut restauriert2); heute befinden sie sich in Vitrinen im sog. Domraum des Museums. Dargestellt sind auf dem ehemals an der nördlichen Chorwand angebrachten Teppich die Trinität (Gnadenstuhl), Maria mit Kind auf der Mondsichel und fünf Hauptheilige des Stifts (Inschriften A–G), auf dem der südlichen Wand weitere Heilige (Inschriften H–O). Die Gewandsäume von sechs Heiligen weisen Inschriften auf (C2, G2, I2, L2, M2, N2); in das Gewand des Maternus wurde dabei versehentlich der Name des Cyrillus (M2) eingewebt.

Die Teppiche gleichen sich in Art der Darstellung und Ausführung. Jeweils sieben Figuren stehen in Nischen, die durch schwellende, eingeschnürte und gedrehte Säulen mit Mehrpaßfüßen und Blattkapitellen gebildet werden. Den oberen Abschluß jeder Nische bildet ein flacher Korbbogen aus spätgotischem Astwerk. An den Seiten jedes Teppichs sind Streifen mit Blumen- und Weinranken auf blauem Grund zu sehen, die an den oberen und unteren Kanten beider Stücke fehlen. Die Langseiten sind wohl beschnitten oder umgelegt, so daß beim Trinitätsteppich die Flachbögen der Architekturnischen angeschnitten werden. Die Tituli der Heiligen sind in schwarzem Garn mit roten, nahezu völlig verblaßten Anfangsbuchstaben gewirkt und befinden sich auf Schriftbändern, die hinter den Köpfen und über den Schultern plaziert sind. Die Buchstaben auf den Gewändern sind in hellem Garn ausgeführt.

Inschriften A–G, N–O nach Autopsie, Inschriften H–M nach Griep3).

Maße: H. 180 cm, L. 760 cm.

Schriftart(en): Bu. ca. 7 cm, gotische Minuskel mit Versalien (A, B, C1, D–F, G1, H, I1, K, L1, M1, N1). Bu. 3–4 cm, frühhumanistische Kapitalis (C2, G2, I2, L2, M2, N2).

Inschriftenkommission Göttingen [1/2]

  1. Erster Teppich:

  2. A

    Sa(n)cta Trinitas

  3. B

    Sa(n)cta · Maria ·

  4. C1

    Sa(n)ctus Simon

  5. C2

    O M E O A E H O R N A O A N O E N [.] H M O N E Ia)

  6. D

    Sa(n)ctus Iudas

  7. E

    Sa(n)ct(us) Mathiab)

  8. F

    Sanct(us) Nicolau(s)c)

  9. G1

    Seruacius

  10. G2

    CERV / . ST : SERVA[....]

  11. Zweiter Teppich:

  12. H

    · Sa(n)ct(us) Petrus

  13. I1

    · Sa(n)ct(us) Paulus

  14. I2

    T C A O H E

  15. K

    Sa(n)ct(us) Valerius

  16. L1

    Sa(n)ct(us) Eucharius

  17. L2

    A F H G H E O W O I

  18. M1

    Matern(us)

  19. M2

    SANCTVS CIRILLVS

  20. N1

    Sa(n)ct(us) Cirillvs

  21. N2

    O E C A [.] E L A I [..] I C O SA(N)CT(VS) · CIRILI(VS) : O I I [.] R O

  22. O

    Sa(n)ct(us) Sebastian(us)

Übersetzung:

Die heilige Dreifaltigkeit. (A)

Wappen:
?4)

Kommentar

Nach einer chronikalischen Nachricht soll das Chorgestühl der Stiftskirche 1517 im Auftrag des Rats erneuert worden sein5). Man glaubt, die Gobelins seien als Rücklaken dafür bestimmt gewesen. Zwar könnten die Wappenschilde in der linken und rechten oberen Ecke des Trinitätsteppichs (Brustbild eines bärtigen Manns mit Hut, auf dem zweiten Teppich am rechten unteren Rand eine Helmzier) auf eine Stiftung hinweisen, ein Bezug zur Stadt Goslar als Stifterin ist jedoch nicht zu erkennen.

Der ursprüngliche Gebrauchszusammenhang der Teppiche ist nicht mehr zu rekonstruieren. Möglicherweise bildete der Trinitätsteppich mit den Darstellungen weiterer Patrone von St. Simon und Judas gewissermaßen die obere Hälfte eines von Anfang an zweiteiligen übergroßen Gobelins. Die Maße der Teppiche machen ihre ursprüngliche Verwendung als Rücklaken zweifelhaft6).

Flandrische Herkunft oder flandrischer Einfluß wird aufgrund technischer und stilistischer Details vermutet7). Auf Goslar als Entstehungsort könnten dagegen Ähnlichkeiten der Bildgestaltung (Ganzfiguren vor einer Brüstung, Landschaft im Hintergrund) mit den Sibyllen- und Kaiserdarstellungen an den Wänden der Ratsstube hinweisen. In der Literatur wird weiterhin die Vermutung geäußert, die Gewandsauminschrift des Simon (C2) enthalte ein Meisterzeichen und den Vornamen eines flandrischen Meisters8). Da dieser Deutung eine falsch gelesene Buchstabenfolge zugrunde liegt, ist sie wohl abzulehnen. Die in der Literatur vorgeschlagene Datierung um 1520 wird hier übernommen9).

Textkritischer Apparat

  1. In dieser Gewandsauminschrift glaubt Griep, Kunstwerke 1 E, S. 15, das Meisterzeichen des Arnold Cobbaut und die Buchstabenfolge „A(R)NOLD“ zu sehen.
  2. Mathia] Letzter Buchstabe s wegen der hier in das Schriftband hineinragenden Lanzenspitze nicht ausgeführt.
  3. Nicolau(s)] Letzter Buchstabe u, danach ein us-Kürzel.

Anmerkungen

  1. Vgl. die Erläuterungstafeln zu den Teppichen im sog. Domraum des Goslarer Museums; auch Hölscher, Gottesdienst, S. 13.
  2. Vgl. ‘Wandteppich kehrte in das Museum zurück’, Goslarsche Zeitung 28.6.1965.
  3. Nur der Trinitätsteppich ist vollständig ausgebreitet. Vom zweiten, weitgehend eingerollten Teppich sind lediglich zwei Figuren der rechten Seite mit den dazugehörigen Inschriften sichtbar. Die Inschriften H–M konnten daher nicht eingesehen werden.
  4. Wappen ? (Brustbild eines bärtigen Manns mit Hut; bei Bonhoff/Griep, Nr. 2026, unzutreffend wiedergegeben). Das ebd., Nr. 2025, wiedergegebene Wappen war nicht zu sehen.
  5. Griep, Kunstwerke 1 E, S. 12 (ohne Quellenangabe). Vgl. E. C., Geschichte, S. 203: „Im Jahre 1517 wurde die sog. Gruft unter der Capitelstube neu gebaut, auch ließ der Rath die Domherrnstühle im hintern Chore nach dem Kreuzgange zu erneuern“.
  6. Vgl. ein etwa gleichzeitig entstandenes Rücklaken aus St. Sebald in Nürnberg, das zwar stilistische Ähnlichkeiten mit den Goslarer Teppichen aufweist, jedoch nur 90 cm hoch und 300 cm lang ist (Heinrich Göbel, Wandteppiche 3: Die germanischen und slawischen Länder, 2 Teilbde., Leipzig 1933/1934, hier Bd. 3.1, S. 172 mit Abb. 140b). Weiterhin fehlen die für Rücklaken typischen Gebrauchsspuren (so die Erläuterungstafeln [wie Anm. 1]).
  7. Vgl. die Erläuterungstafeln (wie Anm. 1).
  8. Vgl. Anm. a. Angeblich ist zu Füßen der Maria ein Zeichen in Form einer liegenden 8 zu sehen. Darin glaubt Griep die Stadtmarke von Oudenaarde zu erkennen. Vgl. dagegen die anders gestalteten Marken dieser Stadt bei Göbel (wie Anm. 6), Bd. 1.1, Tf. 18.
  9. Griep, Kunstwerke 1 E, S. 12.

Nachweise

  1. Griep, Kunstwerke 1 E, S. 13f.
  2. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 46.
  3. Kdm. Stadt Goslar, S. 26, 28f.

Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 74 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0007409.