Inschriftenkatalog: Stadt Goslar

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 45: Stadt Goslar (1997)

Nr. 58 Rathaus, Trinitatiskapelle 1506, 1507–nach 1510

Beschreibung

Wandmalereien auf Putz, Secco-Technik; Türsturz der Kapellentür, Holz. Gegen den Uhrzeigersinn sind an der Wand der Kapelle, die in etwa Konchenform aufweist, folgende Szenen dargestellt: das Verhör Christi durch Pilatus (A), die Kreuztragung, die Kreuzigung mit dem Titulus B, in der Fensternische St. Simon und Judas sowie die Trinität (Gnadenstuhl). Die Inschriften sind in dunkler Farbe ausgeführt und neben die Köpfe der jeweils sprechenden Personen plaziert. Im oberen Bereich der Konche hinter dem Altar ist Christus in der Mandorla als Weltenrichter zu sehen, auf beiden Seiten seines Nimbus die in heller Farbe aufgemalte Inschrift C. Die Malereien wurden im 19. Jahrhundert überfaßt und ergänzt1). Dem auf dem Türsturz aufgetragenen Weihedatum (D) liegt wohl ein alter, möglicherweise nur in Kreide ausgeführter Vermerk zugrunde, dessen Buchstaben im späten 19. Jahrhundert mit weißer Ölfarbe nachgezogen wurden2). Er wird hier wiedergegeben, weil er für die Datierung der Kapellenmalerei und auch der Ausmalung der Ratsstube (vgl. Nr. 59) von Bedeutung ist.

Maße: Bu. 2–2,5 cm (A–C), 3–6 cm (D).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A–C), Kursive (D).

Julia Zech [1/5]

  1. A

    ECCE HOMO3) // TOLLE TOLLE4) // SI VNC DIMITISa)5) // CRVCEFIGE / EVM4)

  2. B

    INR[I]b)

  3. C

    VENITEc)6) ITE7)

  4. D

    Dedica(ti)o h(uiu)s altarisd) i(n) die (com)memorationis / O(mn)i(u)m defunct(orum) / xvc vi ·

Übersetzung:

Seht den Menschen. Bring ihn weg, bring ihn weg. Wenn du ihn gehen läßt. Kreuzige ihn. (A)

Kommt. Geht. (C)

Die Weihe dieses Altars (fand statt) am Tag des Gedenkens an alle Verstorbenen (Allerseelen, 2.11.) 1506. (D)

Kommentar

Die vom Rat und der Stadt Goslar gemeinsam mit dem ersten Inhaber der Vikarsstelle gestiftete und reich dotierte Trinitatiskapelle ist seit 1505 in den Quellen faßbar8). Der für die Ausmalung der Kapelle verantwortliche Maler ist nicht mit dem der Ratsstubenvertäfelung identisch (vgl. Nr. 59). Den Nachforschungen Buhmanns zufolge erhielt ein Meister Clawes bereits 1505 zweimal Lohn für die Ausmalung einer Tür. Dabei könnte es sich um die beiden auf der Kapellenseite der Ratsstubenvertäfelung angebrachten Darstellungen des Schmerzensmanns und der Mater dolorosa handeln9). Inschrift D zufolge wurde die Kapelle 1506 geweiht. Bisherige, auf stilkritischen Erwägungen basierende Datierungsversuche der Malereien gehen von etwa 1505–151010) oder auch nach 151011) als Entstehungszeit aus. Einen Terminus ante quem non bieten Holzschnitte zu dem am 30. August 1507 in Nürnberg veröffentlichten, von Ulrich Pinder verfaßten ‘Speculum passionis’. Im Mittelpunkt dieses mehrteiligen Werks stehen Leiden und Sterben Jesu Christi, die den Lesern anhand einer großen Anzahl ganzseitiger Holzschnitte vor allem des Hans Schäufelein, eines Mitglieds der Dürer-Werkstatt, vor Augen geführt werden. Der Goslarer Maler hat im Rahmen seiner Möglich-keiten aus diesem Werk die Darstellung des Ecce Homo übernommen, wobei er auch Details der Figuren Schäufeleins wie Haartracht, Kleidung und Gestik beibehielt12); lediglich die Inschriften wurden hinzugefügt. Möglicherweise liegen auch der Kreuzigungsszene und der Darstellung Christi als Weltenrichter Holzschnitte des ‘Speculum passionis’ zugrunde13). Die Ausmalung der Kapelle kann demnach nicht vor September 1507 erfolgt sein, fand also erst nach der Weihe des Altars statt. In der Ratsstube und der -kapelle, aus denen durch Öffnen der Kapellentür ein einziger Raum entstand, wurde wohl vor Beginn der Ratssitzungen gebetet oder eine Messe gelesen14).

Textkritischer Apparat

  1. Richtig SI HVNC DIMITTIS.
  2. INR[I]] Abschließendes I zerstört, Ergänzung nach Gmelin, Abb. 218.17.
  3. VENITE] Schräghaste des N nicht ausgeführt.
  4. altaris] Danach ein nicht identifizierbares Zeichen, vielleicht Kürzel für ein Verb wie fuit oder erat.

Anmerkungen

  1. Kdm. Stadt Goslar, S. 282.
  2. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 69: „in neuerer Zeit aufgefrischt“; Kdm. Stadt Goslar, S. 270: „1886“. Dazu Goldberg, S. 84.
  3. Io. 19,5.
  4. Io. 19,15.
  5. Io. 19,12.
  6. Mt. 25,34.
  7. Mt. 25,41.
  8. Vgl. Goldberg, S. 83. Zur Ausstattung der Kapelle vgl. auch ebd., S. 84, sowie StA Goslar, Tafelamtsrechnung 1506, B 15, S. 156f. Zur Dotierung der Trinitatiskapelle vgl. Graf, Kap. II.1.2.2. ‘Kapellen mit Dotation’; auch ebd., Anhang A ‘Die Pfründen der Pfarrkirchen, Kapellen und Hospitäler’ (unter St. Cosmas und Damian, Kapelle Unserer Lieben Frau).
  9. Nach StA Goslar, Buhmann, S. 4f, findet sich in einer mit „Buwerk Nr. 5158a“ bezeichneten Archivalie der Eintrag 4 mk. 4 lot mester Clawes vor de dore tho malen Sabato p. Judica (15. März), unter „Buwerk Nr. 5159a“ der Eintrag 12 lot mester Clawes vor de dore tho malen uppe den beynhus. Die Bezeichnung „Buwerk“ konnte trotz intensiver Recherchen keiner Archivsignatur zugeordnet werden, ein Bestand Buwerk des Stadtarchivs Goslar existiert nicht. Zur Lage des Beinhauses vgl. Nr. 59, Anm. 33.
  10. Gmelin, S. 676.
  11. Goldberg, S. 107.
  12. Vgl. Hans Schäufelein. Das druckgraphische Werk, bearb. von Karl Heinz Schreyl, 2 Bde., Nördlingen 1990, hier Bd. 2, Abb. 374, 376; dazu Bd. 1, S. 82–84, 86.
  13. Das ‘Speculum’ enthält auf fol. 56r und 65v zwei ganzseitige Holzschnitte mit Darstellungen der Kreuzigung, die offenbar nicht von Hans Schäufelein geschaffen wurden. Als Vorlage für die Goslarer Darstellung diente aller Wahrscheinlichkeit nach fol. 56r. Übereinstimmungen zwischen Holzschnitt und Wandmalerei bei der Darstellung Christi als Weltenrichter sind zwar gegeben, lassen aber keine eindeutige Herleitung der Malerei aus dem Holzschnitt zu (vgl. Schreyl 2 [wie Anm. 12], Abb. 387). Für die Darstellungen des Schmerzensmannes und der Mater dolorosa an der Türinnenseite konnten bei Schäufelein keine Vorlagen gefunden werden.
  14. Vgl. Troescher, S. 144f. Die Untersuchung von Uwe Heckert, Die Ratskapelle als religiöses, politisches und Verwaltungszentrum der Ratsherrschaft in deutschen Städten des späten Mittelalters, phil. Diss. Bielefeld 1994, war zum Zeitpunkt der Bearbeitung der Goslarer Inschriften noch nicht zugänglich.

Nachweise

  1. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 69f (A, C, D).
  2. Kdm. Stadt Goslar, S. 270 (D), S. 282 (A).
  3. Goldberg, S. 84 (D).
  4. Gmelin, S. 671; Abb. 218.16, 218.17.

Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 58 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0005805.