Inschriftenkatalog: Stadt Goslar

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 45: Stadt Goslar (1997)

Nr. 20 Neuwerkkirche 1314 ?

Beschreibung

Glocke1). Auf der Flanke befinden sich Ritzzeichnungen Christi am Kreuz und der trauernden Maria2). Die Krone weist eine Flechtbandverzierung auf. Die erhabene zweizeilige Inschrift verläuft um die Schulter. Dabei wird die obere Schriftzeile (A) durch zwei Stege eingefaßt; das letzte Wort der unteren Schriftzeile (B) befindet sich unterhalb des Schriftbands. Die Buchstaben sind wohl aus Wachsplatten ausgeschnitten und dann auf das Glockenmodell aufgelegt worden3). Worttrenner sind in der Regel quadrangelförmig, am Schluß von A, an vierter Stelle in B sowie zwischen adiuua und an(n)o in Form eines dreiteiligen Blattes gestaltet. Die griechischen Buchstaben A und w in Inschrift C weisen aufgesetzte Kreuze, w zusätzlich zwei an den Bogenenden angesetzte kleinere Kreuze auf.

Maße: Du. 120 cm, Bu. ca. 6 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien in gotischer Majuskel, griechische Buchstaben (C).

Inschriftenkommission Göttingen [1/2]

  1. A

    fulmineus · terror · et · quilibet · aeris · error · + Matre · dei · dante · fugiant · hoc · ere · sona(n)te · am(en) ·

  2. B

    + Rector · celi · nos · exaudi · tu · dignare · nos · salvare4) ·

  3. C

    Α · ω · nos · adiuua · an(n)o · d(omi)ni · Mo · ccco a) · XIIIIo · f(a)c(t)a / · sumb) ·

Übersetzung:

Blitzesschrecken und jede klimatische Verkehrung mögen mit Hilfe der Mutter Gottes beim Klang dieses Erzes entfliehen. Amen. (A)

Herrscher des Himmels, erhöre uns. Geruhe du, uns zu retten. (B)

Alpha (und) Omega, hilf uns. Im Jahr des Herrn 1314 bin ich angefertigt worden. (C)

Versmaß: Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt (A), Hymnenvers (B).

Kommentar

Die in gotischer Minuskel ausgeführte Inschrift bietet wohl das früheste Goslarer Beispiel für die Verwendung dieser Schriftart, obgleich zahlreiche in der gotischen Minuskel nicht übliche Formen zu finden sind und auch die breiten Proportionen der Buchstaben ins Auge fallen. Es sind nur wenige als Quadrangeln gestaltete Brechungen zu beobachten, so daß viele Hasten und Bögen stumpf auf der Grundlinie enden. Das doppelstöckige a zeigt einen gerundeten Bogen, die Bogenenden von c und e sind doppelt gebrochen. g in fugiant und dignare ist gestürzt. In Anbetracht der hier verwendeten eigentümlichen Ausprägung dieser Schriftart müssen Zweifel an der Entstehung der Inschrift im Jahr 1314 bleiben. Allgemein tritt die gotische Minuskel in Inschriften erst seit der Mitte des 14. Jahrhunderts auf5).

Abwehrformeln auf Glocken wie etwa in Inschrift A sind vielfach belegt6). Der Hymnenvers in Inschrift B findet sich in ähnlicher Form auch auf anderen Glocken7).

Textkritischer Apparat

  1. ccco] Unteres Bogenende des mittleren c abgelöst und verschoben.
  2. sum] Fehlt Mithoff, Kunstdenkmale.

Anmerkungen

  1. Eine Gesamtübersicht der fünf mittelalterlichen Glocken in Neuwerk bei Peter, S. 127. Die hier beschriebene Glocke trägt nach ihrer Tonhöhe die Ordnungszahl II (in der Tabelle steht irrtümlicherweise I ).
  2. Vgl. Kdm. Stadt Goslar, Abb. 104–105 S. 107.
  3. Vgl. zur Herstellungsweise Peter, S. 121; Kdm. Stadt Goslar, S. 105.
  4. Walter, S. 203, gibt diesen Text als Inschrift einer 1299 gegossenen Glocke in Sinzig/Ahr wieder. Nach Peter, S. 121 mit Anm. 7, findet sich dieser Spruch vollständig oder verkürzt angebracht häufig auf Glocken des 13. und 14. Jahrhunderts, etwa auf einer 1890 eingeschmolzenen Glocke der St. Lambertikirche in Dortmund.
  5. Vgl. Einleitung, S. XXVIII.
  6. Favreau, S. 135f; Bindel, passim.
  7. Vgl. Anm. 4.

Nachweise

  1. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 53.
  2. Mithoff, Kirchen, S. 31.
  3. Kdm. Stadt Goslar, S. 105, Abb. 99 S. 104, Abb. 103 S. 106.
  4. Bindel, S. 286.
  5. Griep, Kunstwerke 1 C, S. 38 Nr. 13.
  6. Peter, S. 121.

Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 20 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0002001.