Inschriftenkatalog: Stadt Goslar
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 45: Stadt Goslar (1997)
Nr. 9 St. Cosmas und Damian zum Markte um 1250
Beschreibung
Fenster mit Glasmalerei. Die neun Scheiben mit Darstellungen aus der Legende der Kirchenpatrone, der heiligen Ärzte Cosmas und Damian, sind im nördlichen Seitenschiff ausgestellt. Ihr ursprünglicher Anbringungsort ist nicht bekannt, wird sich aber wohl im Chor der Kirche1) oder im Mitte des 13. Jahrhunderts eingewölbten Kirchenschiff2) befunden haben. Nach 1300 wurden sie in ein Fenster des neu errichteten Chors übertragen3). Dieses Fenster war möglicherweise seit dem Sakristeianbau des Jahres 1535, spätestens jedoch zu Beginn des 19. Jahrhunderts vermauert4). Vor dem Zweiten Weltkrieg waren die Scheiben in der obersten Zeile der drei Chorfenster hinter dem Altar angebracht, 1941–1948 waren sie ausgelagert. Sie wurden 19115) und erneut 1974/756) restauriert.
Wahrscheinlich handelte es sich ursprünglich um 14 Scheiben in einem zweibahnigen, siebenzeiligen Fenster. Die Szenen werden gerahmt von einer schmalen, schwarz-weißen Perlbandleiste sowie am oberen Rand, innerhalb dieser Leiste, von einer Rundbogenarkade auf zwei Säulen, die die Darstellung seitlich begrenzen. Auf diesen Arkaden sind in hellen Buchstaben auf schwarzem Hintergrund die Inschriften A1, B, C1 und D–F angebracht. Folgende Szenen der Legende sind erhalten: Die Heiligen heilen Menschen und Tiere (A1), einer hält ein Spruchband in der Hand (A2); das Verhör durch den römischen Statthalter Lysias7) (B); die Verweigerung des Götzendienstes (C1), die Aussage der Heiligen auf einem von ihnen gehaltenen Spruchband (C2); einer der Heiligen wird ins Meer geworfen (ohne Inschrift, Scheibe am unteren Rand ergänzt); die Heiligen im Feuerofen (ohne Inschrift); Kreuzigung der beiden Heiligen (D, E); Steinigung der Heiligen (ohne Inschrift); die Heiligen werden mit Armbrust und Bogen beschossen (F).
Maße: H. ca. 85 cm, Br. ca. 47 cm, Bu. 1,5–2 cm.
Schriftart(en): Gotische Majuskel.
- A1
S [C]OSMAS (ET)a) DAMIANVS
- A2
OM(N)IS · SANITAS · I(N) DEO · (CON)SISTITb)
- B
LISIAS
- C1
S COSMAS (ET)a) DAMIANVS
- C2
NOS · (CHRISTI)c) · PIGNVS · AMAMVS ·
- D
[S CO]SMASd) (ET)a) DAMIANVS
- E
S COSMAS (ET)a) DA[MIA]NVS · +
- F
S · COSMAS (ET)a) DAMIANVS
Übersetzung:
Alle Gesundheit ruht in Gott. (A2) Wir lieben das Unterpfand Christi. (C2)
Textkritischer Apparat
- Tironisches ET.
- (CON)SISTIT] Jeweils zweites S und T aus Platzgründen über den vorhergehenden Buchstaben gesetzt.
- XPI mit Kürzungsstrich über I.
- [S CO]SMAS] Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands. VT · (CON)SMAS heutiger Zustand; VT · (CON) wurde aus dem Schriftband einer nicht erhaltenen Darstellung ergänzt, um die fehlenden Buchstaben S CO des Heiligennamens zu ersetzen.
Anmerkungen
- Rainer Kahsnitz, Romanische Glasfenster aus der Marktkirche in Goslar (Farbige Fenster aus deutschen Kirchen des Mittelalters 2), Nürnberg 1975, hier S. 25f.
- Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995, hg. von Jochen Luckhardt, Franz Niehoff u. a., 3 Bde., München 1995, hier Bd. 1 (Katalog), F 27 S. 460f, hier S. 460.
- Ebd.; Kahsnitz (wie Anm. 1), S. 26.
- Büsching, S. 272; vgl. A1 1535.
- Hans Wentzel, Die Farbfenster des 13. Jahrhunderts in der Stiftskirche zu Bücken an der Weser, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 3, 1964, S. 195–214, hier S. 214.
- Vgl. Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Cosmas und Damian zum Markte, Wandersleb, Nr. 22.
- Der neben dem Statthalter Lysias auf einem Sockel dargestellte nackte, gekrönte heidnische Götze hält einen Wappenschild, auf dem ein nach rechts steigender Löwe dargestellt ist. Dieser Löwe, das Wappentier der Braunschweiger Herzöge, deutet nach Griep (Kunstwerke 1 F, S. 27f) auf Auseinandersetzungen zwischen Goslar und dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg zur Entstehungszeit der Scheiben hin. Es lassen sich jedoch mehrere Beispiele für heidnische Idole finden, die Schilde – belegt mit heraldischen Tieren – und auch Waffen halten. Vgl. etwa Michael Camille, The Gothic Idol. Ideology and Image-Making in Medieval Art, Cambridge u. a. 1989, Abb. 41, 56, 67, 70. Eine Anspielung auf den Herzog läßt sich aus der Goslarer Darstellung nicht zweifelsfrei herleiten.
- Vgl. Heinrich der Löwe und seine Zeit 1 (wie Anm. 2); Rüdiger Becksmann, Deutsche Glasmalerei des Mittelalters. Eine exemplarische Auswahl, Stuttgart-Bad Cannstatt 1988, S. 110f.
- Heinrich der Löwe und seine Zeit 1 (wie Anm. 2). Vgl. Jacobus a Voragine, Legenda aurea, hg. von Th. Graesse, Dresden/Leipzig 1846, Kap. 143 S. 636–639. Neueren Forschungen zufolge ist die Legenda aurea zwischen 1252 und 1260 entstanden (vgl. Barbara Fleith, Studien zur Überlieferungsgeschichte der lateinischen Legenda Aurea [Subsidia hagiographica 72], Brüssel 1991, bes. S. 12–16).
- Kahsnitz (wie Anm. 1), S. 26, mit Beispielen aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Ebenso Becksmann (wie Anm. 8), Nr. 10 S. 110f, hier S. 110.
Nachweise
- Rainer Kahsnitz, Romanische Glasfenster aus der Marktkirche in Goslar (Farbige Fenster aus deutschen Kirchen des Mittelalters 2), Nürnberg 1975, Abb. 5–7 (A1–C2), Abb. 14 (D), Abb. 13 (E), Abb. 17 (F).
- Griep, Kunstwerke 1 F, S. 23–28.
Zitierhinweis:
DI 45, Stadt Goslar, Nr. 9 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di045g008k0000909.
Kommentar
Alle Inschriften weisen deutliche Sporen und Abschlußstriche sowie (dies gilt in besonderem Maße für Inschrift A) aufgesetzte Schwellungen und Bogenschwellungen auf, letztere auch mit gerader Innenkontur. A ist in der Regel trapezförmig, in Inschrift F auch ohne Querbalken ausgeführt; in Inschrift C findet sich ein pseudounziales A. Ein unziales D in Inschrift F steht neben überwiegend kapitalem D mit verkürzter Haste. Inschrift A weist geschlossenes unziales E und ein rundes T mit sichelförmigem Bogen auf. Diese Charakteristika bestätigen die aus stilkritischen Gründen vorgenommene Datierung der Scheiben in die Zeit um 1250. Goslar als ihr Entstehungsort ist dagegen nur zu vermuten8).
Die Bildinhalte entsprechen am ehesten der Heiligenlegende im frühmittelalterlichen Martyrologium des Usuardus bzw. in der wohl nahezu gleichzeitig mit den Fenstern entstandenen Legenda aurea des Jakobus von Voragine9). Es ist bekannt, daß in Chorfenstern seit dem 12. Jahrhundert Darstellungen der jeweiligen Kirchenpatrone angebracht wurden10).