Die Inschriften der Stadt Goslar

3. Inschriften, Inschriftenträger und Überlieferung

Das Inschriftencorpus der Stadt Goslar in ihren heutigen Grenzen umfaßt 180 Inschriften, von denen 160 im Original ganz oder teilweise erhalten sind. Hinzu treten 67 Jahreszahlen, Initialen, Christusmonogramme und Kreuzestituli, die in Anhang 1 erfaßt werden. Vier Nummern des Katalogteils entfallen auf die eingemeindeten Orte Jerstedt und Hahndorf, die übrigen 176 Nummern auf die Stadt Goslar.

Die für Goslar auf den ersten Blick gering erscheinende Verlustrate von etwas mehr als einem Zehntel der überlieferten Inschriften vermittelt den unangemessenen Eindruck einer weitgehenden Vollständigkeit des Materials. Zwar blieb die Stadt während des Zweiten Weltkriegs von Bombenangriffen verschont; gravierende Lücken in der Inschriftenüberlieferung entstanden jedoch lange vor dieser Zeit. Auf die oben erwähnte, besonders im 16. und 19. Jahrhundert erfolgte Zerstörung kirchlicher Bauten ist mit Sicherheit auch der Verlust vieler in diesen Kirchen oder zugehörigen Kreuzgängen und auf Friedhöfen befindlicher Grabdenkmäler zurückzuführen. Zudem ist nicht bekannt, daß sich in irgendeinem Fall vor dem Abriß eines kirchlichen Gebäudes jemand darum bemüht hätte, die dort angebrachten Inschriften aufzunehmen. Trotz längerer Nachforschungen konnte keine Sammlung gefunden werden, welche die Inschriften einzelner Goslarer Kirchen oder der gesamten Stadt zum Gegenstand hat.

Für den Goslarer Inschriftenbestand ist somit eine ganz erhebliche, im einzelnen unbekannte Verlustrate anzunehmen, die zur Konsequenz hat, daß der Bestand für die Zeit bis 1500 als klein und wenig repräsentativ charakterisiert werden muß. Insgesamt bilden unter den 180 Inschriften die Hausinschriften mit 62 Nummern den größten Bestand. Es folgen kirchliche Ausstattungsstücke mit 50 Nummern, darunter acht Glockeninschriften. Der Bestand an Grab- und Gedenkinschriften macht lediglich 33 Nummern aus.

3.1. Die kopiale Überlieferung

Von den 180 Inschriften der Stadt Goslar sind bereits 153 Inschriften ganz oder teilweise in verschiedenen Publikationen erfaßt. Zwanzig Inschriften sind nur aus der kopialen Überlieferung bekannt. Die bedeutendsten gedruckten Zusammenstellungen von Goslarer Inschriften sollen im folgenden kurz vorgestellt werden, um einen Einblick in die Arbeitsweise des jeweiligen Sammlers und die Art und Zuverlässigkeit der Überlieferung zu geben.

In nennenswerter Anzahl wurden Goslarer Inschriften erstmals von Hector Wilhelm Heinrich M i t h o f f berücksichtigt. In seinem ‘Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte’ wurde jedoch nur eine Auswahl von Inschriften im Wortlaut wiedergegeben; Hausinschriften blieben so gut wie unberücksichtigt. So finden sich hier lediglich 17 der 180 Katalognummern. In dem gut ein Jahrzehnt später erschienenen Band ‘Kunstdenkmale und Alterthümer im Hannoverschen’ sind immerhin bereits 53 Goslarer Inschriften vor 1650 erfaßt. Im Fall der Hausinschriften, die in diesem Werk wiedergegeben werden, beschränkte der Autor sich allerdings nicht selten darauf, lediglich Textanfänge oder einzelne Teile zu zitieren, oder er vernachlässigte Bibelstellenangaben, die Bestandteile von Inschriften waren. Bei Texten auf anderen Inschriftenträgern war er offenbar um sorgsamere Erfassung bemüht; die Schriftart wurde mit bestimmten, dem Original nahestehenden Drucktypen wiedergegeben, Worttrenner und Kürzungen wurden originalgetreu beibehalten.

Die größte Anzahl der im Katalog erfaßten Inschriften findet sich in dem von Carl W o l f, Anton von B e h r und Uvo H ö l s c h e r bearbeiteten und kommentierten Inventar ‘Die Kunstdenkmale der Stadt Goslar’. Diese Zusammenstellung ist nicht zuletzt aufgrund ihrer zahlreichen Abbildungen und Nachzeichnungen von Wert; auch sind dort 99 Inschriften der vorliegenden Edition vollständig oder teilweise erfaßt. Besonders für die Hausinschriften gilt allerdings, daß sie oft in normalisierter Form wiedergegeben werden und Einzelheiten wie Groß- und Klein- oder u- und v-Schreibung keine Berücksichtigung finden.

Hans-Günther G r i e p legte in den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts das mit Abbildungen und umfangreichen Kommentaren versehene, jüngste Verzeichnis der ‘Mittelalterliche(n) Goslarer Kunstwerke’ an. Auch Inschriftenträger des 16. Jahrhunderts wurden gelegentlich in diesen Katalog aufgenommen; 46 Inschriften sind dort erfaßt. Die vor allem im ersten Band seines Werks gebotenen Lesungen und Datierungen konnten in mehreren Fällen einer neuerlichen Überprüfung nicht standhalten. [Druckseite XXI]

Für die Hausinschriften Goslars liegen mehrere, teilweise umfassende Sammlungen vor. Noch vor der Jahrhundertwende trug Karl S t e i n a c k e r, ‘Die Holzbaukunst Goslars’, eine Auswahl von 27 Goslarer Hausinschriften zum Thema ‘Schutz des Hauses und seiner Bewohner’ zusammen, die er in einem Anhang veröffentlichte100). In einigen Fällen bezog er seine Kenntnis der Inschriften aus der älteren Literatur101).

Als Quelle mit weitestgehend originalgetreuen Lesungen erwies sich das kleine, 1908 in einer Auflage von 200 Exemplaren gedruckte Heft Friedrich B o n h o f f s, ‘Goslarer Hausinschriften’, in dem 52 von 62 der hier edierten Hausinschriften verzeichnet sind. Bonhoff war um die originalgetreue und vollständige Wiedergabe der Inschriften bemüht, die sich auch auf Kürzungen und die Gestalt von Worttrennern bezog. Ein Vergleich der Lesarten zeigt, daß Hans-Günther G r i e p in seinem Werk ‘Das Bürgerhaus der Stadt Goslar’ bei der Wiedergabe der Inschriften im Prinzip der Sammlung Bonhoffs gefolgt ist. Bei Griep sind 58 der hier edierten Hausinschriften vollständig oder teilweise verzeichnet und in den Bauzusammenhang eines Hauses eingeordnet. Die genauen Lesungen Bonhoffs werden jedoch vielfach normalisiert und modernisiert, so daß sie oft keinen originalgetreuen Text mehr bieten. Abkürzungen werden nicht immer aufgelöst oder als solche kenntlich gemacht, u- und v-Schreibung generell nicht beachtet. Der Schwerpunkt dieser Sammlung liegt jedoch weniger auf der Inschriftenwiedergabe als vielmehr auf dem Gebiet der Architekturgeschichte.

Schließlich sei ein weiteres Werk genannt, in dem der Wortlaut von fünf heute verlorenen Goslarer Inschriften unikal überliefert wird (Nr. 12, 82, 109, 131, 148): Die Abhandlung ‘Antiquitatum Goslariensium et vicinarum regionum libri sex’ des Pastors Johann Michael H e i n e c c i u s102) entstand während seiner Amtszeit als Pastor der Frankenberger Kirche 1698–1708, wurde 1707 gedruckt und gibt drei Grabinschriften des 16. und 17. Jahrhunderts für Pastoren der Marktkirche (Nr. 82), der Frankenberger Kirche (Nr. 109) und der Stephanikirche (Nr. 148), eine Stifterinschrift des 13. Jahrhunderts (Nr. 12) sowie eine 1603 datierte Weiheinschrift der Katharinenkapelle (Nr. 131) wieder. Auch wenn der von Heineccius wiedergegebene Inschriftentext vereinzelte Druckfehler aufweist103), kommt der von ihm gebotenen unikalen Überlieferung von Inschriften vor allem der frühen Neuzeit doch Bedeutung zu.

3.2. Die Ausmalung der Ratsstube

Das zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstandene, umfangreiche und vollständig erhaltene Text-Bild-Programm der Ratsstube (Nr. 59) zeigt an den Wänden einander zugeordnete Kaiser- und Sibyllendarstellungen sowie an der Decke des Raums Propheten, Evangelisten und Szenen aus dem Leben Jesu. Die zugehörigen lateinischen Beischriften, Weissagungen der Sibyllen von der Ankunft eines Weltenherrschers und Prophezeiungen der Geburt Christi, verweisen auf heilsgeschichtliche Zusammenhänge. Das traditionelle Hauptthema spätmittelalterlicher Rathausikonographie, städtische Herrschaft und Gerechtigkeit sowie deren Legitimation104), rückt damit in den Hintergrund. Es wird lediglich in einem außerhalb des übrigen Textprogramms stehenden, niederdeutschen Rechtssprichwort (A13) aufgegriffen105). Auch die Tatsache, daß andere zeitgenössische [Druckseite XXIII] Sibyllenzyklen dem kirchlich-liturgischen Bereich zuzuordnen sind106), unterstreicht die Ausnahmestellung der von einem unbekannten Maler ausgeführten Ratsstubenausmalung. Wenngleich immer wieder vermutet wurde, als direkte Quelle der Goslarer Sibyllenweissagungen habe eine traditionsbildende, 1481 erstmals publizierte Abhandlung des Italieners Filippo Barbieri zu gelten, lassen philologische Untersuchungen der Texte eine genauere Aussage zu: Sie weisen in die unmittelbare Nähe der 1493 in Nürnberg gedruckten Weltchronik des Hartmann Schedel.

3.3. Hausinschriften

Die Hausinschriften, die innerhalb des Goslarer Corpus mit 62 Nummern die bei weitem größte Gruppe bilden, sind fast ausschließlich im Original erhalten; lediglich drei Inschriften sind in ihrer Gesamtheit nur noch kopial überliefert (Nr. 76, 99, 100).

Die in Goslar zwischen 1500 und 1650 gängigen Haustypen sind der ältere Massivbau aus Bruchstein und der jüngere traufenständige Fachwerkbau; daneben waren auch Häuser mit steinernem Erdgeschoß und Fachwerkobergeschossen oder jüngere Fachwerkanbauten an mittelalterlichen steinernen Kemenaten üblich107). Inschriften wurden üblicherweise auf Schwellbalken und Torstürzen angebracht. Sechs Bauteile befinden sich heute nicht mehr an ihrem ursprünglichen Standort108).

Einige wenige besonders repräsentative Häuser zeichnen sich durch Inschriften auf Stein- und Bronzetafeln (Nr. 102, auch Nr. 114) oder auf steinernen Fensterstürzen (Nr. 70) aus. Das wegen seines reichen Figuren- und Ornamentprogramms und seiner ungewöhnlichen Form berühmte Haus ‘Brusttuch’ am Hohen Weg 1 (Nr. 75) weist eine Nameninschrift, die in griechischen Buchstaben ausgeführt ist, und ein Zitat aus dem römischen Recht auf. Beide für Goslar aufgrund der verwendeten Schrift und wegen ihres Inhalts einmaligen Hausinschriften bezeugen den ausgeprägten Repräsentationswillen und den hohen Bildungsgrad des Bauherrn Johannes Thiling.

Von insgesamt 62 Hausinschriften sind 38 in deutscher Sprache abgefaßt. An 15 Häusern lassen sich sowohl lateinische als auch deutsche Texte nachweisen, rein lateinische Inschriften dagegen nur in neun Fällen. Nach 1604 (Nr. 132) bzw. 1618 (Nr. 150) tritt diese Sprache in Hausinschriften nicht mehr auf. Die älteste, in lateinischen Versen formulierte Textinschrift stammt aus dem Jahr 1504 (Nr. 57)109). Ein Zusammenhang zwischen der Repräsentativität von Bauten und der Wahl der lateinischen Sprache läßt sich nur ansatzweise beobachten110).

Im amtlichen Schrifttum Goslars setzten sich hochdeutsche anstelle der älteren niederdeutschen Formen im Lauf der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch111). Sowohl die einfache, 1551 angebrachte Inschrift am Gildehaus der Tuchmacher (Nr. 83) als auch eine undatierte Bibelparaphrase am Bäckergildehaus (Nr. 54, B1) weisen durchgängig niederdeutsche Sprachformen auf. Es ist anzunehmen, daß die letztgenannte Inschrift aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammt. Einige Hausinschriften des späten 16. Jahrhunderts zeigen noch Unsicherheiten im Gebrauch niederdeutscher und hochdeutscher Formen, die sich beispielsweise in der Verwendung eines Dialektreims (Nr. 107) und einer nicht korrekten Form (Nr. 111, Anm. 2) äußern. Am Bäckergildehaus findet sich auch die älteste hochdeutsche Inschrift Goslars (Nr. 54, B2), die 1557 entstand. Zwei weitere Hausinschriften weisen allerdings darauf hin, daß die Verwendung des Hochdeutschen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch nicht durchgängig erfolgte. Eine 1564 entstandene, überwiegend hochdeutsche Inschrift zeigt zahlreiche niederdeutsche Formen (Nr. 85), und noch 1599 wurde auf einem Wappenstein ein allerdings kurzer niederdeutscher Text [Druckseite XXIV] angebracht (Nr. 114). Nach 1600 finden sich keine Inschriften mehr, die in nennenswertem Umfang das Niederdeutsche verwenden. Die relativ geringe Anzahl niederdeutscher Hausinschriften in Goslar ist verwunderlich, wird aber wohl darauf zurückzuführen sein, daß aus dem Zeitraum, in dem diese Sprachform noch dominierte, d. h. aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, nur wenige Hausinschriften erhalten oder überliefert sind112).

Die Nennung des Bauherrn113) in einer ganz oder teilweise deutschsprachigen Inschrift, auf welche die lateinische me fieri fecit-Formel folgt, findet sich in vier Goslarer Hausinschriften (Nr. 100, 111, 123, 135). Eine dieser Inschriften (Nr. 111) besteht aus weiteren lateinischen und hochdeutschen Textteilen, in denen Versionen desselben Sprichworts in beiden Sprachen geboten werden. Vergleichbar ist die bereits erwähnte Inschrift mit einem Bibelspruch am Bäckergildehaus (Nr. 54, B1) gestaltet.

Zitate aus oder Paraphrasen nach dem Psalter wurden überall gerne gewählt, um Schwellbalken mit einer Inschrift zu schmücken. Als in Goslar besonders beliebt kann ein Psalm gelten, der sich auf den Hausbau beziehen läßt: Nisi dominus aedificaverit domum, frustra laboraverunt, qui aedificant eam. Nisi dominus custodierit civitatem, frustra vigilat, qui custodit eam (Ps. 126,1). In lateinischer und deutscher Sprache (Ps. 127,1), in Prosa und Versen erscheint dieser Spruch auf sechs Schwellbalken aus dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts und dem frühen 17. Jahrhundert (Nr. 98, 101, 132 in lateinischer, Nr. 87, 94, 102 in deutscher Sprache). Besonders bemerkenswert ist dabei die lateinische Versfassung am Haus Knochenhauerstr. 17 (Nr. 132), die das späteste Beispiel für die Verwendung dieses Spruchs bietet.

Der seit 1522 als protestantische Devise verwendete Bibelvers Verbum domini manet in aeternum (I Pt. 1,25)114) findet sich in Goslar nur in lateinischer Sprache, ausgeschrieben oder in abgekürzter Form auf vier Schwellbalken (Nr. 54, 102, 132, 133). Der Bibelvers Si deus pro nobis, quis contra nos (Rm. 8,31), ebenfalls ein protestantischer Kampfspruch, wurde einmal in der lateinischen (Nr. 79) und zweimal in der deutschsprachigen Form angebracht (Nr. 94, 96).

Ein vielfach überliefertes Sprichwort, in dem das emsige Bauen von Häusern beklagt wird, weil es dazu führe, daß das Streben nach dem ewigen Gut der Erlösung vernachlässigt werde, liegt in Goslar sowohl in einer im norddeutschen Raum verbreiteten Sonderform (Nr. 98, C)115) als auch in der geläufigeren Fassung ‘Wir bauen alle feste, / da wir sind fremde Gäste, / und wo wir sollen ewig sein, / da bauen wir gar selten ein’116) (vgl. Nr. 149, A) vor. Die 1577 angebrachte Sonderform stellt gleichzeitig die früheste bekannte, inschriftlich ausgeführte Überlieferung dieses Spruchs dar.

Ebenso wie in anderen niedersächsischen Städten befaßten sich auch in Goslar deutschsprachige Hausinschriften mit dem Thema ‘Neid und Haß der Mitmenschen’117). Vom späten 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts liegen neun Sprüche unterschiedlichen Umfangs vor, in denen über Neider geklagt und der Beistand Gottes erbeten wird (Nr. 56, 107, 129, 135, 143, 151, 153, 157, 170).

3.4. Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsstücken

Die zweitgrößte Gruppe unter den Goslarer Inschriftenträgern bilden mit 42 Nummern die kirchlichen Ausstattungsstücke, zu denen etwa Kelche, Leuchter, Altartafeln, Kanzeln, Taufbecken und Schrifttafeln zählen; eine kleinere Gruppe wird von acht Glocken gebildet. Acht Inschriften sind nur aus der kopialen Überlieferung bekannt118). 23 Stücke entstanden vor, 16 nach der Einführung der Reformation (1528/1531)119).

Nach St. Simon und Judas lassen sich heute nur noch sechs Inschriftenträger zweifelsfrei [Druckseite XXV] lokalisieren, in vier Fällen kann die Kirche lediglich als vermutlicher oder möglicher Standort angenommen werden120). Die älteste, nur kopial überlieferte Inschrift befand sich auf dem 1271 gestifteten Chorgestühl (Nr. 12). Besonders für St. Simon und Judas, aber auch für die übrigen Goslarer Kirchen ist von einer hohen Verlustrate gerade an vasa sacra auszugehen121).

Aus vorreformatorischer Zeit ist eine niederdeutsche Glockeninschrift erhalten (Nr. 47); alle übrigen Inschriften wurden in lateinischer Sprache abgefaßt. Durch ihre Gestaltung und den Umfang der darauf angebrachten Inschriften zeichnet sich die vor 1331 für die Neuwerkkirche angefertigte Hostienpyxis (Nr. 22) aus. Von den nach 1528 entstandenen Ausstattungsstücken weisen nur Kanzeln und Taufbecken Textinschriften in lateinischer (Nr. 105, 124) oder deutscher Sprache (Nr. 97, 112, 154) auf, die aus Beischriften zu Darstellungen biblischer Szenen oder Bibelzitaten bestehen. In den übrigen Fällen sind in der Regel lediglich Stifternamen und das Entstehungsjahr vermerkt (vgl. beispielsweise Nr. 80, 106, 162, 167).

3.5. Grabinschriften und Grabdenkmäler

Die Grabinschriften bilden mit 33 Katalognummern die drittgrößte Gruppe des Goslarer Bestands. Ungefähr ein Viertel ist nur kopial überliefert. Aus der Zeit vor der Reformation sind 18, aus der späteren Zeit bis 1650 sind 15 Grabinschriften erhalten. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Denkmäler handelt es sich um Grabplatten, außerdem um drei Gedenksteine (Nr. 29, 35, 69) und zwei Epitaphien (Nr. 113, 120). Nur ein einziger der neun erhaltenen mittelalterlichen Inschriftenträger weist keine Beschädigungen auf (Nr. 21). In fünf Fällen ist der Schriftverlust so gravierend, daß nur noch Inschriftenfragmente erhalten sind (Nr. 11, 14, 15, 39, 43).

Von den 13 heute in der Kaiserpfalz aufbewahrten Grabdenkmälern stammen wohl neun aus der Stiftskirche St. Simon und Judas122), die übrigen wurden bei Ausgrabungen und Bauarbeiten im Stadtgebiet entdeckt. An und in verschiedenen Goslarer Kirchenbauten sind heute nur noch einzelne Grabplatten und Gedenksteine zu finden. Es ist davon auszugehen, daß die überwiegende Mehrzahl der bis 1650 in Kirchen oder auf den Kirchhöfen Goslars vorhandenen Grabdenkmäler Umbauten oder Abrißmaßnahmen zum Opfer fielen. Aussagen über die Beschaffenheit von Grabdenkmälern und Grabinschriften können somit nur unter großen Vorbehalten getroffen werden.

Heineccius123) überliefert als einziger drei Grabinschriften des 16. und 17. Jahrhunderts, nämlich die für den 1547 verstorbenen Pastor der Marktkirche und Superintendenten Eberhard Wiedensehe (Nr. 82), für den Pastor der Frankenberger Kirche Stephan Kampferbeck, gest. 1585 (Nr. 109), sowie für den 1617 verstorbenen Heinrich Temme, Pastor der Stephanikirche (Nr. 148). Da Heineccius diese Denkmäler nicht beschreibt, sind keine Aussagen über Gestaltung und Schriftformen möglich. Weiterhin ist in zwei Fällen (Nr. 109, 148) unklar, ob es sich um Grabplatten, also Abdeckungen des Grabes, oder um vom Begräbnisort unabhängige Epitaphien handelte124). Von diesen drei Inschriften abgesehen, die gänzlich (Nr. 148) oder teilweise (Nr. 82, 109) in lateinischer Sprache abgefaßt sind, liegen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nur noch deutschsprachige Grabinschriften vor. Alle älteren Inschriften bedienen sich der lateinischen Sprache125).

Die älteste umfangreichere deutschsprachige Grabinschrift Goslars wurde für die als Kleinkind verstorbene Elisabeth von Schwiecheldt (Nr. 95) angefertigt. Hier findet sich das für die Grabplatten [Druckseite XXVI] dieser Familie126) typische Gestaltungsprinzip, die verstorbene Person im Mittelfeld in einer rundbogigen Nische lebensgroß darzustellen. Der Sterbevermerk wird üblicherweise umlaufend plaziert, ein Bibelvers in einer Kartusche über oder unter dem Mittelfeld. Gelegentlich finden sich an diesen Stellen auch die Sterbevermerke (Nr. 137, 159); die Inschriften sind in Kapitalis gehauen und in deutscher Sprache verfaßt. Ausnahmen stellen die kurze, 1572 in gotischer Minuskel ausgeführte Grabinschrift für Jobst von Schwiecheldt (Nr. 93) sowie die 1612 enstandene Grabplatte des Hans von Schwiecheldt (Nr. 142) dar, die keine Bibelsprüche aufweisen. Figürliche Grabdenkmäler für nichtadelige Goslarer Bürger, die nicht geistlichen Standes waren, haben sich nicht erhalten.

Als Goslarer Besonderheit sind mehrere aus Schiefer angefertigte Grabplatten zu nennen (Nr. 39, 81, 103, 142, 163). Abblätternde Schieferstücke haben jedoch in fast allen Fällen zu Beschädigungen und Schriftverlust geführt. Drei dieser Platten sind im sog. Wintersaal der Kaiserpfalz unzugänglich gelagert und verpackt, so daß sie nicht untersucht werden konnten127).

Zitationshinweis:

DI 45, Stadt Goslar, Einleitung, 3. Inschriften, Inschriftenträger und Überlieferung (Christine Magin), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di045g008e008.

  1. Im Text finden sich nur einzeln eingestreute Wiedergaben von Inschriften. »
  2. Zu seinen Quellen zählte offenbar Mithoff, Kunstdenkmale, sowie die von Theodor Erdmann verfaßte Sammlung ‘Inschriften an den alten Gebäuden der Stadt Goslar’, Goslar [1893]. In dieser letztgenannten Zusammenstellung werden in vielen Fällen nur die erbaulichen Bestandteile von Inschriften angegeben, ohne daß Namen, Daten oder genaue Standorte genannt werden. Weder in bezug auf den Umfang noch die Schreibung von Hausinschriften ist eine originalgetreue Wiedergabe angestrebt. Auch werden gelegentlich nicht zusammengehörige Sprüche unter einer Hausnummer zusammengefaßt. Eine Erfassung der Hausinschriften ist auf der Grundlage dieses Werks nicht möglich; in die Quellennachweise zu den Inschriften wurde es daher nicht einbezogen. »
  3. Zu Heineccius vgl. Wilhelm Gasse, Die „gute alte Stadt“ und ihre Pastoren (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar 38), Goslar 1988, S. 13–33. »
  4. Zur Wiedergabe kopial überlieferter Inschriften vgl. Kapitel 1.2. »
  5. Dazu U. Meier, bes. S. 374f. »
  6. Auch die erhaltenen Inschriftenfragmente und bildlichen Darstellungen im Sitzungssaal des Rathauses sind, soweit erkennbar, dem Themenbereich der städtischen Herrschaft und Rechtsprechung zuzuordnen. Es finden sich eine wohl um 1500 entstandene Weltgerichtsdarstellung (Nr. 51) und wesentlich später aufgemalte Texte zur rechten Amts- und Lebensführung der Ratsherren (Nr. 177). »
  7. Dazu Griep, Bürgerhaus, bes. S. 27–32. »
  8. Nr. 136, 147, 151, 164, 170, 172.  »
  9. Aus den Jahren 1501 und 1502 liegen lediglich Baudaten vor (Nr. 5356). »
  10. Zwei Bürgerhäuser aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts, deren Fassaden sich durch eine anspruchsvolle Gestaltung auszeichnen (Nr. 70, 75), weisen lateinische Inschriften auf. Vgl. dagegen die an einfachen Bürgerhäusern angebrachten lateinischen Inschriften Nr. 91, 92, 99, 101, 132, 150»
  11. Vgl. dazu Cordes, S. 70–78. Privatpersonen scheinen in ihren schriftlichen Äußerungen noch länger, als dies für das Kanzleigut nachweisbar ist, überwiegend niederdeutsche Formen beibehalten zu haben (vgl. ebd., S. 82–90). Allgemein Utz Maas, Sprachliche Verhältnisse in den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten Norddeutschlands, in: Stadt im Wandel 3, S. 607–621; dazu kritisch DI 26 (Stadt Osnabrück), S. XXIIIf. »
  12. Zum Vergleich: In den Hamelner Hausinschriften dominierte bis zum ersten Viertel des 17. Jahrhunderts die niederdeutsche Sprache (DI 28 [Hameln], S. XXVIIIf). »
  13. Anders als beispielsweise in der Stadt Hannover ist an keinem Goslarer Haus das Zeichen des Baumeisters zu finden; vgl. DI 36 (Stadt Hannover), S. XXI»
  14. Vgl. dazu Frederic John Stopp, Verbum Domini Manet In Aeternum. The Dissemination of a Reformation Slogan, in: Essays in German Language, Culture and Society, hg. von S. S. Prawer, R. H. Hinton u. a., London 1969, S. 123–135. »
  15. Vgl. Assion, S. 252; ähnlich in einer niederrheinischen Handschrift aus dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts (Art. ‘Spruch der Engel’ [Gisela Kornrumpf], ²VL 9, Sp. 180–186, hier Sp. 184). »
  16. Nach Wander 1, Sp. 254 Nr. 61; vgl. auch Bolte, S. 115 mit Anm. 2. »
  17. Vgl. Mielke, passim; auch DI 28 (Hameln), S. XXIX; DI 36 (Stadt Hannover), S. XXI»
  18. Nr. 12, 27, 28, 47, 48, 118, 131, 178»
  19. Drei ins 16. Jahrhundert datierte Stücke sind zeitlich nicht genauer einzuordnen: Nr. 117, 118, 119»
  20. Nr. 12, 30, 48, 72, 74, 180. – Nr. 49, 68, 118, 119»
  21. Vgl. dazu oben, S. XIXf. »
  22. Nr. 35, 43, 93, 95, 113, 120, 128, 137, 165. Der Gedenkstein für Arnold Colber (Nr. 29) ist außen an der Vorhalle angebracht. Im 19. Jahrhundert wurden besser erhaltene Stücke, u. a. Grabplatten, aus der Stiftskirche in dieser renovierten Vorhalle ausgestellt, wo sie bis 1995 zugänglich waren.  »
  23. Zu Person und Werk vgl. oben, S. XXII. »
  24. Zwar wird in allen drei Fällen entweder in der Inschrift oder bei der Nennung des Inschriftenträgers durch Heineccius der Begriff epitaphium gebraucht. Jedoch kann dieser Begriff sowohl eine (in Verse gefaßte) Grabschrift als auch ein ganzes Grabdenkmal bezeichnen; vgl. dazu Fidel Rädle, Epitaphium. Zur Geschichte des Begriffs (Diskussionsbeitrag), in: Epigraphik 1988. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik, Graz, 10.–14. Mai 1988, hg. von Walter Koch (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl., Denkschriften 213; Veröffentlichungen der Kommission für die Herausgabe der Inschriften des deutschen Mittelalters 2), Wien 1990, S. 305–310. »
  25. Diese Aussage wird dadurch relativiert, daß aus dem Zeitraum zwischen 1537 und 1568 keine Goslarer Grabinschriften vorliegen. »
  26. Nr. 93, 95, 103, 128, 137, 142, 159.  »