Inschriftenkatalog: Stadt Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 19: Stadt Göttingen (1980)

Nr. 67 Göttingen, St. Marienkirche E. 15. Jh. (?)

Beschreibung

Buchstaben und Zahlen, eingeritzt in die Hohlkehlen der Fensterlaibungen an der Süd- und Ostseite des südlichen Seitenschiffs. Inschriften: A) Westfenster der Südseite, B) Ostfenster der Südseite, C) Südfenster der Ostseite, D) Nordfenster der Ostseite.

Maße: Zahlen ca. 4–10 cm.

Schriftart(en): Die Buchstaben und Zahlen werden bei A) und B) von links nach rechts, bei C) und D) von oben nach unten angegeben.

  1. A)

    (ein Stein frei), Z 1, Z 6, Z 4, Z 2, Z 7, Z 8, Z 5, (ein Stein frei), 1 Z, 2 Z, 3 Z, 5, 4, 5, 4, T 3, T 2, (zwei Steine frei), T 8, T 7, T 6, T 5, T 4, [. . .]a), (ein Stein frei), T 3, T 1

  2. B)

    1, 2, 3,b) 4, 5, 6, 7, 8, 9, (ein Stein frei), 1, 2, 3, 4, (mehrere Steine frei), T 5, T 4, T 3, T 2, (mehrere Steine frei), T 9, T 8, T 10, (ein Stein frei), T 6, T 2, T 4, T 3, T 5, T 1

  3. C)

    [. . .] E 5, [E] 3, E 4, E 2, E 1

  4. D)

    [. . .] T 4, T 3, T 2, (mehrere Steine frei), T 3, T 6c), T 4, T 5, 3d), 2

Kommentar

Die Zahlen 2 (in einem Fall), 4, 5 und 7 (generell) zeigen die im späten Mittelalter übliche Gestalt. T und Z sind als Kapitalis, E ist als Unziale geschrieben. Vor den ersten 13 Zahlen in B) ist als zusätzliches Zeichen ein Haken eingeritzt, der hier nicht wiedergegeben wird.

Die Steine sind wahrscheinlich zum Zweck eines Umbaus numeriert worden. Die Erweiterung zur dreischiffigen Hallenkirche wurde noch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts durchgeführt. Der Ablaßbrief für die Marienkirche aus dem Jahr 1339 läßt einen Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben vermuten.1) Aus dem 15. Jahrhundert ist eine Erhöhung des Turms bekannt (1440)2); der Neubau des Chors, wohl bereits im 15. Jahrhundert begonnen3), wurde 1510 abgeschlossen und 1512 geweiht.4)

Nach ihrer Lage könnten die betreffenden Zahlen und Buchstaben nur mit dem Erweiterungsbau um 1339 im Zusammenhang stehen. Eine so frühe Datierung läßt sich für die Provenienz arabischer Ziffern in Deutschland aus schriftgeschichtlichen Gründen jedoch nicht rechtfertigen. Allenfalls das unziale E kann dieser Zeit zugewiesen werden. Arabische Ziffern tauchen zwar in europäischen Handschriften vereinzelt schon im 10. und 12. Jahrhundert auf5), sind auch in einigen Inschriften bereits aus den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts nachzuweisen6), doch erst im 15. Jahrhundert findet ihre Verwendung – ausgehend von Italien – im Rechnungswesen und auch in inschriftlichen Quellen allgemeinere Verbreitung.7) Aus Göttingen und der näheren Umgebung sind die frühesten datierten arabischen Ziffern aus den Jahren 1492 (Nr. 51) und 1495 (Nr. 55) überliefert.

Auf diesem Befund beruht die hier vorgeschlagene Datierung. Sie bleibt unsicher, da sie durch keine Quelle zur Baugeschichte der Marienkirche aus entsprechender Zeit gestützt werden kann.

Textkritischer Apparat

  1. Ziffer unleserlich.
  2. Ziffer beschädigt.
  3. Lesung unsicher.
  4. Ziffer steht auf dem Kopf.

Anmerkungen

  1. UB Göttingen I, Nr. 149, S. 143f.; Saathoff, Kirchengeschichte 31; Unckenbold/Bielefeld, Pfarrkirchen 11.
  2. UB Göttingen II, Nr. 195, S. 161.
  3. Unckenbold/Bielefeld, Pfarrkirchen 11.
  4. Abschluß des Chorbaus 1510: Lubecus, BL-Chronik II, S. 593 (Kdm. II 76 setzt den Chorneubau in das Jahr 1526). Weihe 1512: Urkunden der Stadt Göttingen aus dem 16. Jh., Nr. 76, S. 56.
  5. Bischoff, Paläographie 442.
  6. H. Bergner, Hb. der kirchlichen Kunstaltertümer in Dtl., Leipzig 1905, S. 402. DI I, Nr. 5: Jahreszahl 1383 auf einem Quaderstein neben dem nördlichen Seitenportal der Stadtkirche in Wertheim. O. Hauser, Die Inschriften der Kreise Münsingen und Ehingen, Nr. 12: Jahreszahl 1390 auf einer Dachpfanne in Ehingen, Heimatmuseum (Echtheit vom Verf. bezweifelt).
  7. H. Bergner, Hb. der kirchlichen Kunstaltertümer in Dtl., S. 402. K. F. Bauer, Jahreszahlen aus acht Jahrhunderten, Frankfurt (1954) (vgl. die Übersicht der dort gegebenen Beispiele). K. Menninger, Zahlwort und Ziffer II, S. 248.

Nachweise

  1. Fahlbusch, Göttingen im Wandel der Zeiten 64: „Eigenartig ist, daß die Steine der Fenstereinfassung der beiden großen Fenster an der Südseite (sc. der Marienkirche) numeriert sind.“

Zitierhinweis:
DI 19, Stadt Göttingen, Nr. 67 (Werner Arnold), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di019g001k0006701.