Inschriftenkatalog: Stadt Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 19: Stadt Göttingen (1980)

Nr. 54† Göttingen, ehem. Ratsschule 1494

Beschreibung

Widmungsinschrift an der ehemaligen Ratsschule. Die Schule stand an der Westfront der Johanniskirche und war an das Pfarrhaus angebaut; sie wurde 1774 abgerissen.1) Die Inschrift in „Moenchs-Schrifft (wohl gotische Minuskel) [. . .] an der nach der Johannis-Kirchen hinsehenden hoeltzernen Vor-Soehle.“2)

Inschrift nach ZGB Göttingen I 2, S. 77.

  1. Omnium et Grajorum et Peripateticorum3) sapientissimi Aristotelis Domus abs Magnificis Consulibus, Edilibus Curulibus edificata, in ea ut nostra Theopolitana juventus adornetur non tantum ingenius bene vivendi moribus, sed etiam dicendi laudatissimis artibus.M CCCC XCIV.a)

Übersetzung:

Das Haus des Aristoteles, des weisesten aller Griechen und Peripatetiker, ist von den großmütigen Ratsherren, den kurulischen Ädilen, errichtet worden, damit in ihm unsere Jugend aus Göttingen nicht nur in den edlen Sitten der rechten Lebensführung sondern auch in den vortrefflichen Künsten der Rede unterwiesen werde. 1494.

Kommentar

Bedeutung und Übersetzung des Titels Edilibus Curulibus sind nicht eindeutig zu klären. Consul bedeutet in den Urkunden des 15. Jahrhunderts noch durchgängig ‚Ratsherr‘.4) Vielleicht kann man unter den Edilibus die Bauherren verstehen. Dieses Amt würde auch einer der Funktionen der Ädilen in der Antike entsprechen.5) Das Bauherrenamt wurde nach der städtischen Verfassung jeweils von zwei Ratsherren wahrgenommen, die die Aufsicht über das Bauwesen ausübten.6)

Unklar ist auch, ob der betreffende Titel als Apposition zu übersetzen oder durch eine Konjunktion (‚und‘) an den vorausgehenden Ablativ anzuschließen ist. Hier wird die Übersetzung als Apposition vorgeschlagen, wobei die Überlegung zugrunde liegt, daß die Funktion der allgemein erwähnten consules durch die folgende Wendung näher bestimmt wird.

Der Name der Schule (‚Haus des Aristoteles‘) resultiert vielleicht aus der großen Bedeutung des Aristoteles für die humanistische Schulbildung.7)

Textkritischer Apparat

  1. Omnium et Graecorum et Peripatheticorum, summi Aristotelis Domus, abs Consulibus, Aedilibus curulibus, magnificis sumptibus aedificata in causa ut nostra Theopolitana Juuentus no(n) solum in benè beatàq(ue) viuendi morib(us), sed etiam in l(i)b(e)ralibus artibus adornet(ur) et imbuat(ur). Anno 1494 Lubecus, Annales; Müller; Fabricius (currulibus, davor Komma; Anno millesimo, quadringentesimo, nonagesimo Quarto.); Ebel weist die Lesung ausdrücklich zurück (ZGB Göttingen I 2, S. 77.).

Anmerkungen

  1. Eyring, Opuscula 28f. Saathoff, Kirchengeschichte 18.
  2. ZGB Göttingen I 2, S. 77.
  3. ‚Peripatos‘: die von Aristoteles gegründete Philosophenschule (vgl. RE Suppl. 7, 899–949).
  4. Vgl. z. B. UB Göttingen II Nr. 304, S. 288ff.; Nr. 340, S. 318f.; Nr. 371, S. 352; Nr. 374, S. 358f. Knappe Hinweise zur Terminologie bei Ritter, Ratsherren 7.
  5. RE 1, Art. ‚Aedil‘ (Kubitschek), 462. Die mittelalterliche Bedeutung ‚Aufseher der Kirche‘ (so z. B. bei E. Brinckmeier, Glossarium diplomaticum I, Gotha 1856, 41) scheidet hier aus.
  6. Erwähnung der Bauherren: Urkunden der Stadt Göttingen aus dem 16. Jh. Nr. 556, § 7, S. 267, 1531 Juli 7; Nr. 719, S. 378, 1524 Okt. 4.
  7. Geschichte des humanistischen Schulwesens in Württemberg, hrsg. von der Württembergischen Kommission für Landesgeschichte, Bd. I–III, Stuttgart 1912–28 (vgl. die Register der Bände I/II mit den dort verzeichneten Stellenangaben zu Aristoteles: Bd. I, S. 609f.; II, S. 1182).

Nachweise

  1. ZGB Göttingen I 2, S. 77.
  2. Lubecus, Annales f. 182r.
  3. Lubecus, BL-Chronik I, S. 580.
  4. Lubecus, Chronik von Northeim, S. 284.
  5. G. A. Fabricius, Oratio de virore, flore, fructu scholae ac paedagogii Gottingensis, Mühlhausen 1636 (11).
  6. H. Müller, Göttingen 23.
  7. Heumann, Poecile II, S. 48.
  8. ZGB Göttingen II 3, S. 123; III 4, S. 2f.; IV, S. 2f.
  9. Jer. Nik. Eyring (Hrsg.), Opuscula ad historiam litterariam rei scholasticae praesertim Gottingensis pertinentia, Göttingen 1788, 29 (nach Heumann); 31 (Erwähnung).
  10. Spangenberg, Geschichte und Beschreibung 88.
  11. Spangenberg, Beiträge 421.
  12. Kirsten, Nachrichten über die ältesten Schulen Göttingens I, S. 62f.
  13. Kdm. II 74.
  14. Roeseler, Die Wohlfahrtspflege der Stadt Göttingen 82.

Zitierhinweis:
DI 19, Stadt Göttingen, Nr. 54† (Werner Arnold), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di019g001k0005400.