Inschriftenkatalog: Stadt Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 19: Stadt Göttingen (1980)

Nr. 9 Berlin-Charlottenburg, Kunstgewerbemuseum 1360/70

Beschreibung

Altardecke mit Seitenbehängen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der ehemaligen Wallfahrtskirche in Göttingen-Nikolausberg stammt. Die Decke wurde 1886 aus der Sammlung Lohmayer in Göttingen angekauft. Der Mittelteil, in ihm vor allem waren Inschriften eingestickt, ist 1945 verbrannt.1) Die Seitenbehänge mit der Nikolaus-Legende sind dagegen erhalten.

Der Mittelteil zeigte als Darstellungen in der oberen Hälfte Maiestas Domini, links davon Ecclesia als Führerin der klugen Jungfrauen, rechts Synagoge als Führerin der törichten Jungfrauen; in der Mitte der unteren Hälfte der Tod Marias, links Nikolaus, rechts Augustinus.2)

Inschriften: A) Linker Seitenbehang, Schriftband in der Hand eines Engels, das der Einwohnerschaft von Myra Nikolaus als neuen Bischof ankündigt; B) und C) auf dem Mittelteil (†): B) über Nikolaus und Augustinus, C) Heiligennamen unter Halbfiguren an der unteren Kante des Mittelteils der Altardecke.

Inschriften B) und C) nach Kroos (Abb.)4)

Maße: Maße des verlorenen Mittelteils: H. 115, B. 202 cm.3)

Schriftart(en): Gotische Majuskel (B, C), gotische Minuskel (A).

  1. A)

    [. . .] N[i]colavsa)

  2. B)

    S(ANCTUS) NICOLAWSS(ANCTUS) AVGVSTINVSb)

  3. C)

    S(ANCTA) AGAT// [S(ANCTA) DOROTEA]c) CRISTINA SCOLAS// S(ANCTA) GERTRVDIS [S(ANCTA) MARGARETA]c) S(ANCTA) CECILIA [S(ANCTA) CLARA]c) S(ANCTA) MARIA S(ANCTA) CATERINA [S(ANCTA) BARBARA LVCIA]c) S(ANCTA) AGNES S(ANCTA) ODILIA S(ANCTA) ALDEGUNDIS PRISCA S(ANCTA) IULI//

Wappen:
a) Kerstlingerode (dreimal);5) b) 3 Beile im Schild, Blattranken, in zwei Ausführungen Beile auf dunklem Grund und dunkel auf hellem Grunddie Wappenfarben sind unbekannt.6)

Kommentar

Renate Kroos hat überzeugende Argumente zur zeitlichen und räumlichen Einordnung der Altardecke angeführt: Für das Jahr 1381 läßt sich Katharina von Kerstlingerode, deren Familienwappen in den mittleren Teil der Decke eingestickt war, als Nonne des Augustinerinnenklosters Weende nachweisen. Dort ist die Decke etwa um diese Zeit angefertigt worden. Die Darstellungen des Mittelteils (Nikolaus, Augustinus) und der Seitenbehänge (Nikolaus-Legende) machen wahrscheinlich, daß die Decke für die dem Kloster Weende unterstellte Kirche in Nikolausberg bestimmt war. Die dort noch erhaltene Altarplatte am nördlichen Vierungspfeiler paßt in ihren Abmessungen zu den Maßen des Mittelteils.7)

Vom Bestand der Majuskelschrift her ließe sich auch eine etwas frühere Datierung rechtfertigen (M. 14. Jh.).8) Die Inschriften zeigen Unzialen neben Kapitalformen, die Unzialen C und E sind offen. Das A wird mit gebrochenem Querbalken und in einer dem pseudounzialen A stark angenäherten Form verwendet. Die Balken und Hasten einiger Buchstaben (A, I) sind durch Sporen abgeschlossen.

Die Buchstaben waren mit heller Schrift in dunklen Untergrund und mit dunkler Schrift in hellen Untergrund gestickt, die Heiligen ohne Attribute dargestellt.

Textkritischer Apparat

  1. Der erste Teil des kaum zu entziffernden Schriftbandes umfaßte ca. 6 Buchstaben; es läßt sich nicht sicher entscheiden, ob N als Kapitalform verwendet ist.
  2. Nur noch ganz schwach zu erkennen.
  3. Inschrift nach Kroos 115; Abb. 307 wegen Beschädigung der Altardecke nicht mehr zu lesen.

Anmerkungen

  1. Kroos 115.
  2. Kroos 115 und Abb. 307.
  3. J. Lessing, Wandteppiche und Decken des Mittelalters in Deutschland, Berlin (1902), S. 9.
  4. R. Kroos hat den Mittelteil der Decke nach den Angaben bei Lessing beschrieben (vgl. A. 3).
  5. Siebmacher, Wappenbuch VI, Abt. 6: Der abgestorbene Adel der Provinz Sachsen (1884), S. 84, T. 53. Meyermann, Göttinger Hausmarken und Familienwappen 49 und Abb. 285–290.
  6. R. Kroos zieht die westfälische Familie v. Bardeleben in Erwägung, für die sich allerdings keine Verbindungen zum Kloster Weende nachweisen lassen.
  7. Kroos 88; 115.
  8. O. Fahlbusch, Der Landkreis Göttingen in seiner geschichtlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung, Göttingen 1960, 49 datiert die Decke ins 13. Jh., vermutlich aber nicht aufgrund eigener Untersuchung.

Nachweise

  1. R. Kroos, Niedersächsische Bildstickereien des Mittelalters, Berlin 1970, 115 und Abb. 307.
  2. J. Lessing, Wandteppiche und Decken des Mittelalters in Deutschland, Berlin (1902), 9.
  3. Führer durch die staatlichen Museen in Berlin. Das Schloßmuseum, (Berlin 1921), 60.
  4. A. Schellenberg, Die deutsche Bildstickerei des Mittelalters, in: Montagsblatt. Wiss. Beilage der Magdeburger Zeitung 72 (1930) 275.
  5. R. Jaques, Deutsche Textilkunst, Krefeld (1953), 140 und Abb. 86.
  6. Ausstellungskatalog: Kunstgewerbe der Antike und des Mittelalters, Berlin-Dahlem 1953, Nr. 117.
  7. Katalog: Stiftung Preuß. Kulturbesitz/Staatl. Museen, Kunstgewerbemuseum, Berlin 1963, Nr. 28 (Führer: Das Schloßmuseum; Schellenberg; Ausstellungskatalog zitiert nach Kroos 115).

Zitierhinweis:
DI 19, Stadt Göttingen, Nr. 9 (Werner Arnold), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di019g001k0000907.