Inschriftenkatalog: Stadt Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 19: Stadt Göttingen (1980)

Nr. 8 Göttingen, St. Jacobikirche 1361

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Bauinschrift an der Südseite des westlichen Eingangsportals. Die Schrift ist beinahe völlig verwittert, nur die Umrisse einzelner Buchstaben sind noch zu erkennen.

Schriftart(en): Gotische Majuskel, erhaben, die Buchstaben von Kreisen umgeben.

Mareike Brosenne [1/1]

  1. [ANNO D(OMI)NI MCCC LXI K(A)L(ENDAS) DEC(EMBRIS)]a) B C Ab)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1361, an den Kalenden des Dezember . . .

Datum: 1. Dezember

Kommentar

Die Inschrift bezeichnet vermutlich den Neubau des Turmfundaments1) der seit 1256 urkundlich bezeugten Kirche.2) Die Baufälligkeit geht aus einer Urkunde Papst Gregors XI. von 1372 hervor, durch die der Papst der Kirche einen Ablaß zur Finanzierung der notwendigen Reparaturen gewährte.3) Der Turm selbst wurde in den Jahren 1426 bis 1433 gebaut4) und 1694 bis 1697 restauriert.5)

Die Abkürzung BCA konnte nicht aufgelöst werden.

Textkritischer Apparat

  1. Ergänzung nach ZGB Göttingen II 3, S. 129.
  2. Lesung des B zweifelhaft. ZGB Göttingen II 3, S. 129 und Unger lasen R. C. H. und lösten auf: restaurata (oder reparata) Capella haec. Bereits Mithoff, Kdm. II 74, A. 4, lehnte diese Deutung mit dem Hinweis ab, daß der letzte Buchstabe kein H, sondern ein A sei und las R. C. A.

Anmerkungen

  1. ZGB Göttingen I 2, S. 80.
  2. UB Göttingen I, Nr. 8.
  3. F. Wagner, Eine päpstliche Urkunde zum Bau der Jakobi-Kirche, in: Jb. d. Geschichtsvereins für Göttingen und Umgebung 2 (1909) 134–136.
  4. Saathoff, Kirchengeschichte 24.
  5. A. Tecklenburg, Die Renovierung der St. Jacobikirche im Jahre 1696, in: Protokolle über Sitzungen des Vereins für die Geschichte Göttingens 1 (1895/96) H. 4, 117f.

Nachweise

  1. ZGB Göttingen II 3, S. 129.
  2. Spangenberg, Geschichte und Beschreibung 96.
  3. Unger, Göttingen und die Georgia Augusta 47.
  4. Kdm. II 74.
  5. Saathoff, Kirchengeschichte 18.
Addenda & Corrigenda (Stand: 16. Dezember 2021):

Beschreibung
Bemerkenswert ist die Gestaltung der Inschrift, die die Buchstaben in einzelne Medaillons setzt. Nach der Restaurierung muss die weitgehend bestätigte Lesung der leicht erhabenen, heute farbig gefassten Buchstaben wie folgt korrigiert werden. Zur vorgeschlagenen Ergänzung siehe den Kommentar.

  1. ANNO D(OMI)NI / M CCC LXI / K(A)L(ENDIS) D(E)C(EM)[B](RIS) C(HORUS) J(STE) I(NCEPTUS)

Übersetzung:

Im Jahr 1361 an den Kalenden des Dezember wurde dieser Chor begonnen.

Kommentar
Zur Begründung der Lesung: D(E)C(EM)[B](RIS)]. Der gegenwärtiger Befund ist D C R. Das E, das die Zeit- und Geschichtsbeschreibung (ZGB) von 1738 in DEC(EMBRIS) gelesen hat, ist und war nicht vorhanden. Das gegenwärtig zu findende R, an dessen Stelle bereits Arnold ein B las, beruht vermutlich auf einer Restaurierung nach ZGB. Zwischen Schaft und Cauda gibt es eine Erhöhung, so dass die Lesung B die wahrscheinlichere ist. Ein A oder gar H – das in der gotischen Majuskel in der unzialen und nicht in der kapitalen Form zu erwarten wäre – ist im letzten Medaillon nicht zu erkennen. Der Nodus am I reicht nicht zum linken Schaft; auch fehlt der Deckbalken eines flachgedeckten A (die spitze, unziale oder runde Form des A scheiden aus). Offenbar kam der Steinmetz am Ende der Inschrift in Platznot und packte zwei schmale Buchstaben in ein Medaillon, wobei hervorzuheben ist, dass er dem Gebrauch der gotischen Majuskel entsprechend I durch die Verwendung von I-Longa variierte. Die Neulesung und Ergänzung der Bauinschrift entspricht dem Formular von spätmittelalterlichen Baubeginninschriften an Chören, von denen aus der erweiternde Neubau von Kirchen oftmals begann.1) Nach neueren Untersuchungen der Baugeschichte kann sich die Inschrifttafel in ihrer heutigen Position auch nicht auf den Bau des deutlich später als 1361 entstandenen Turmuntergeschosses beziehen.2) Der 1350 von Herzog Ernst von Braunschweig-Göttingen genehmigte Neubau der Jacobi-Kirche begann demnach mit dem Chor. Am späteren Langhaus finden sich aufwendigere Schmuckformen wie gekehlte Fenstergewände, Seitengiebel und aufwendiger gestaltete Strebepfeiler, die nach 1369 oder 1387 anzusetzen sind.3) Das Turmuntergeschoss wiederum ist nach dem Langhaus entstanden; es war kurz nach 1400 fertiggestellt.4) Möglicherweise wurde die Bauinschrift bereits im Zusammenhang mit dem Bau der Sakristei an der Südseite des Chores, der von der Baugeschichtsforschung ebenfalls nach dem Langhaus, also kurz vor oder nach 1400, angesetzt wird,5) an den heutigen Standort versetzt, an dem sie sich laut ZGB bereits 1738 befand. Die starke Verwitterung der Inschrift ist erklärlich, da der Vorbau des Westeingangs bei einem Turmbrand nach Blitzeinschlag im Jahr 1555 zerstört und erst 1880/81 wieder erneuert wurde.6)

Anmerkungen

  1. 1.Vgl. DI 85 (Stadt Halle), Nr. 14 (nach 1388), letzter Vers: Tunc · fuit · iste · chorus · primo · saxo · renouatus · (… da war dieser Chor vom ersten Stein an erneuert worden). DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 105 (St. Andreas, 1389); Nr. 190 (St. Lamberti, 1473). DI 96 (Lkr. Northeim), Nr. 35 (Uslar, Chor von St. Johannis, 1428): anno ∙ d(omi)ni ∙ M° / cccc° xxviii° ∙ p(raese)ns / opus ∙ est ∙ i(n)cept(um) / feri(a) ∙ va ∙ an(te) ∙ pe(n)thec(osten) (Im Jahr des Herrn 1428 ist das vorliegende Werk begonnen worden am Donnerstag vor Pfingsten). DI 35 (Stadt Braunschweig 1), Nr. 123 (St. Magni, 1447). DI 49 (Stadt Darmstadt etc.), Nr. 50 (Altheim, 1466): · Anno · d(omi)ni · mo · cccco · lxvi · / qui(n)ta · rogacionu(m) · i(n)cep/tus · e(st) · chorus · iste · (Im Jahre des Herrn 1466 am Donnerstag vor den Bittagen (8. Mai) / an Christi Himmelfahrt (15. Mai) ist dieser Chor angefangen worden).
  2. 2.Vgl. Jens Reiche, Göttinger Kirchen des Mittelalters. Eine formgeschichtliche Einordnung, in: Ders., Christian Scholl (Hg.), Göttinger Kirchen des Mittelalters, Göttingen 2015, S. 9–48, hier S. 12 mit S. 36f.
  3. 3.Christian Scholl, Funktion und architektonische Gestalt: Eine Annäherung an die mittelalterlichen Kirchen in Göttingen, in: ebd., S. 49–105, hier bes. S. 74 u. 77. Klara Wagner und Anna Luisa Walter, St. Jacobi, in: ebd., S. 150–195, hier S. 156–161.
  4. 4.Vgl. Wagner/Walter, St. Jacobi, in: ebd., S. 166 u. 169.
  5. 5.Ebd., S. 173f.
  6. 6.Ebd., S. 170, 177 u. Abb. 97, S. 167.

Zitierhinweis:
DI 19, Stadt Göttingen, Nr. 8 (Werner Arnold), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di019g001k0000807.