Inschriftenkatalog: Stadt Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 19: Stadt Göttingen (1980)

Nr. 80 Hannover, Niedersächsische Landesgalerie 1506

Beschreibung

Triptychon aus der ehemaligen St. Georgskapelle in Göttingen. Auf dem Mittelbild ist die Kreuzigung dargestellt, auf dem linken Innenflügel die hl. Sippe, auf dem rechten Innenflügel der hl. Georg. Der linke Außenflügel zeigt Hieronymus als Büßer, der rechte Antonius Erem. und Paulus von Theben.1)

Nach dem Abbruch der Kapelle kam der Altar zunächst in die Kapelle des Hospitals St. Crucis2), später, nachdem 1785 diese Kapelle mit Ausnahme der Inneneinrichtung an die Landesregierung verkauft worden war, der Göttinger Rat jedoch für den Altar keinen Käufer gefunden hatte3), in die Gemäldesammlung der Universität. Im Jahr 1863 wurde er an das Welfenmuseum in Hannover abgegeben.4)

Inschriften A)–C) auf den oberen und unteren Rahmenleisten der Innenseiten eingeschnitten, D)–F) in den Nimben und Schriftbändern der Figuren auf den inneren Tafeln, G) Jahreszahl auf dem rechten Außenflügel.

Maße: H. 199, B. 441,5, Bu. 5 (A–C), 2–3 cm (D–F). Frühhumanistische Kapitalis, gotische Minuskel (einige Schriftbänder des linken Innenflügels [E]).

  1. A)

    Mittelbild, oben:TANTVS · AMOR · PIETASQ(UE) · INGENS · DILECTIO · TANTA ·EXCIDAT · A · FIRMO · PECTORE · CHRISTE · MEO · 1 · 5 · 0 · 6a)unten:AN · NE · MEA · LABI · POTERVNT · HII · MENTE · DOLORES ·LANCEA · CRVX · CLAVI · SPVTA · FLAGELLA · VEPRES ·b)

  2. B)

    Linker Innenflügel, oben:EFFICE · NAMQ(UE) · POTES · VT · NOS · TVA · SANCTA · PROPAGO ·c)unten:COMITER · ACCIPIAT · REFOVENS · O · DIVA · VIRAGO ·d)

  3. C)

    Rechter Innenflügel, oben:QVANTVS · EGO · IN · BELLO · FVERAM · MIHI · SANCTA · SVB · ARM[IS] ·e)unten:SVB · CLIPEO · GALEA · CASSIDE · VITA · FVIT ·HANS · RAPHON · FECIT ·f)

  4. D)

    Mittelbild, Titulus über dem Kreuz:I(ESUS) N(AZARENUS) R(EX) I(UDAEORUM)5)Nimben:· SANCTVS · IOHANN[ES]g)· SANCTA · MARIA ·h)· MARIA · CLEOPH[AE]6)· S(ANCTA) · MARIA · MAGD[ALENA]IR[H]OII1)

  5. E)

    Linker Innenflügel, Schriftbänder und Nimben:· Iosep ·Saomon· IOACHIM ·Cleophas ·Sebedeus ·Alpheuß ·· SANCTA · MARIA ·· SANCTA · ANNA ·· IHESVS ·· MARIA SALOME7)IACOB8)IOHAN[N]9)· MARIA CLEOFEIACOB · MI//10)IOSEP · IVSTV//11)IVDAS · TA//12)· SIMON

  6. F)

    Rechter Innenflügel, Nimbus:GEORIVSRand der Satteldecke:GEORIVS

  7. G)

    Rechter Außenflügel, zwischen den Figuren:1506

Übersetzung:

So große Liebe und außerordentliche Frömmigkeit, so hohe Zuneigung sollen, o Christus, meinem standhaften Herz entfallen. 1506.

Ob diese Schmerzen aus meinem Geist werden schwinden können, die Lanze, das Kreuz, die Nägel, das Anspeien, die Geißeln, die Dornen? (A)

Bewirke, denn du kannst es, daß uns dein heiliges Kind freundlich empfängt und erquickt, oh göttliche Jungfrau! (B)

Wie oft ich auch im Krieg gewesen war, ich führte unter den Waffen, unter dem Schild, dem Helm, der Sturmhaube ein heiligmäßiges Leben. Hans Raphon hat (den Altar) angefertigt. (C)

Versmaß: A)/C) Distichen, B) Hexameter.

Kommentar

Der Auftraggeber für das Triptychon war die Kalandsbruderschaft der Göttinger St. Georg-Kapelle. Lubecus berichtet, daß Hans Raphon13) über 200 Mark Lohn erhalten habe, da „die bilder alle herlich geschnitzet und mit golde und andren farbe(n) herlich aussgestrichen“ gewesen seien.14) Aus dem Begriffe ‚geschnitzet‘ kann jedoch nicht abgeleitet werden, daß zu dem Altar ursprünglich Holzplastiken gehört hätten, denn die Tafeln des vollständig erhaltenen Werks zeigen ausschließlich Malereien; es ist kein Raum für plastische Figuren ausgespart.

Die Schrift der Rahmenleisten zeigt Merkmale der frühhumanistischen Kapitalis: Das E ist aus zwei Halbkreisen zusammengesetzt, das D offen als spiegelbildliches C gebildet, die Cauda des G ist gerollt, der Schaft des I mit einem Knoten verziert.

Textkritischer Apparat

  1. pietas Lubecus. TANTA] TANTA.HAUD. Dransfeld. EXCIDIT ZGB Göttingen. A] E Engelhard, Beiträge z. Kg. Niedersachsens; A · FIRMO] affirmo Lubecus. 1506 fehlt Lubecus.
  2. ANNE Kdm.; Engelhard, Hans Raphon. HI Dransfeld; Engelhard, Hans Raphon; Engelhard, Beiträge z. Kg. Niedersachsens. LANCEA] LANGEA Engelhard, Beiträge z. Kg. Niedersachsens. flagelle Wollens. VEPRES] repres Katalog 1930.
  3. NOS · TVA] nostra Dransfeld. sancte Wollens.
  4. REFOVENS] REFORENS Katalog 1954; Katalog 1930.
  5. SVB. ARMIS] Kdm. ein Wort.
  6. CASSIDE] caside Wollens; cuspide Dransfeld. HANS · RAPHON · FECIT] Hans Raphon fecit Anno 1506 Lubecus; f. HANS RAPHON anno 1506. Dransfeld; fehlt Wollens.
  7. Johan Katalog 1930; Katalog 1954.
  8. Magda Katalog 1930; Katalog 1954.
  9. H. Rhon Katalog 1930; Katalog 1954. Möglicherweise soll durch diese Buchstaben der Name : R[APH]O[N] angedeutet werden.

Anmerkungen

  1. Vgl. über sie J. Braun, Tracht und Attribute der Heiligen 86–96 und 591f. – Katalog 1954, Nr. 309, S. 130f.
  2. Da Lubecus über diesen Vorgang berichtet (Annales f. 201v), muß die Übergabe des Altars noch zu seinen Lebzeiten stattgefunden haben. 1538 (Lubecus, Annales 248r) oder 1542 (Lubecus, BL-Chronik II, S. 594) wurde die St. Georg-Kapelle abgebrochen (irrtümlich nennt Lubecus, BL-Chronik II, S. 598, das Jahr 1442; ZGB Göttingen gibt 1538 [I 2, S. 97] und 1638 [I 2, S. 94] an), kurz nach 1595 ist Lubecus verstorben (Saathoff, Kirchengeschichte 166). Demnach ist der Altar nach 1538 der St. Crucis-Kapelle übergeben worden.
  3. F. Wagner, Die Niederlegung der Göttinger Festungswerke nach dem siebenjährigen Kriege 110 und Anm. 1.
  4. Engelhard, Hans Raphon XIf. – Katalog 1954, S. 131.
  5. Joh. 19,19.
  6. Frau des Alphäus.
  7. Frau des Zebedäus.
  8. Jacobus d. Ä.
  9. Johannes ev.
  10. MI(NOR), abgebrochen.
  11. IVSTV(S), abgebrochen.
  12. TA(DDÄUS), abgebrochen.
  13. Vgl. über ihn den Kommentar und die Literaturhinweise zu Nr. 56.
  14. Lubecus, Annales f. 201v. Die Bruderschaft St. Georg galt als der reichste Göttinger Kaland. Seine Pfarrer wurden doppelt so hoch wie diejenigen der anderen Bruderschaften bezahlt (Lubecus, BL-Chronik II, S. 594).

Nachweise

  1. Die ganz überwiegende Zahl der nachfolgenden Publikationen beschränkt sich auf die Wiedergabe der Inschriften A)–C). Nur die Kataloge des Niedersächsischen Landesmuseums verzeichnen auch die Texte in den Nimben (Katalog 1930; Katalog 1954). Wegen der großen Zahl der Inschriften wurde darauf verzichtet, sie bei jeder Literaturangabe besonders anzumerken.
  2. Lubecus, Annales f. 201v (Anordnung des Inschriftentextes irreführend).
  3. Dransfeld, Ad (. . .) Dn. Henricum Christophorum Domeierum (. . .) ecclesiasten aedis S. Crucis renunciatum epistola 14f.
  4. ZGB Göttingen I 2, S. 94f.
  5. Fiorillo, Beschreibung der Gemählde-Sammlung der Universität zu Göttingen 62f.
  6. E. Spangenberg, Hans Raphon oder Raphun aus Einbeck, ein kunstreicher Maler aus der älteren teutschen Schule 313f.
  7. Veldeck I, 307.
  8. Grotefend, Zur Geschichte des S. Alexander-Stifts in Eimbeck 352.
  9. Harland, Geschichte der Stadt Einbeck I, 305f.
  10. Lotz, Kunst-Topographie Deutschlands I, 254.
  11. Parthey, Deutscher Bildersaal II, 320.
  12. Münzenberger, Mal. Altäre I, 156f.
  13. Engelhard, Beiträge zur Kunstgeschichte Niedersachsens 18.
  14. Müller-Grote 59.
  15. Engelhard, Hans Raphon XII und T. I (Abb.).
  16. Münzenberger/Beissel, Mal. Altäre II, 187.
  17. Reimers, Hans Raphon 42 und T. VI (Abb.).
  18. Hannoverland im Bilde I (1913), in: Hannoverland 7 (1913) (Abb.).
  19. Zeppenfeldt 247.
  20. Heise, Norddt. Malerei T. LV, Nr. 67 und LVII, Nr. 69 (Abb.).
  21. H. Lücke, Die Kirche (Kapelle) zu St. Jürgen in Göttingen 480 (Anordnung des Textes nach Lubecus).
  22. Stuttmann, Hans Raphon 13 und Abb. 6–8.
  23. Wollens 32f.
  24. Saathoff, Kirchengeschichte 41f. (Abb. neben 41).
  25. Habicht, Der niedersächsische Kunstkreis 281.
  26. Katalog 1930, 75–78 (Abb.).
  27. Kleinschmidt 267, Abb. 189.
  28. Tecklenburg, Göttingen, Abb. 17–19.
  29. Busch, Die niederdt. Renaissance und der Maler Hans Raphon 221.
  30. Busch, Meister des Nordens 301–303, Abb. 462, 464–466.
  31. Alte Kunst aus niedersächsischen Kirchen (Katalog), Nr. 39.
  32. Katalog 1954, 130f.
  33. Stange, Dt. Malerei der Gotik VI, 130; 133 und Abb. 231; 240; 241.
  34. K. Hahn, Das Werk des niedersächsischen Malers Hans Raphon 51 (Wiedergabe der Beschreibung des Lubecus).
  35. K. Hahn-Jänecke, Ein wiederentdeckter Altar des Hans Raphon in der Národní-Galerie zu Prag 130, Abb. 90.
  36. W. Nissen, Göttingen gestern und heute 23, Nr. 19.
  37. Gmelin, Tafelmalerei Nr. 185, S. 555ff. (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 19, Stadt Göttingen, Nr. 80 (Werner Arnold), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di019g001k0008009.