Inschriftenkatalog: Stadt Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 19: Stadt Göttingen (1980)

Nr. 59 Göttingen, St. Albanikirche 1499

Beschreibung

Altar des Hans von Geismar. Tannenholz mit Leinwandüberzug.1) Ursprünglich doppelter Flügelaltar. Erhalten sind die Außenflügel und die äußeren Seiten der Innenflügel. Die Innenseiten der Innenflügel bilden heute die Rückseite des Altars. Der Schrein ist verloren.

Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts befand sich der Altar in Privatbesitz.2) 1857 soll er nach Hannover verkauft worden sein, ehe er 1907 – nun aus Rostocker Privatbesitz – für die damalige Städtische Altertumssammlung in Göttingen zurückerworben werden konnte.3) Erst 1931 wurde der Altar wieder in der Kirche aufgestellt.4)

Darstellungen: Außenseite des linken Außenflügels: Jüngstes Gericht. Innenseite des linken Außenflügels: Tempelgang und Tod Marias. Außenseite des linken Innenflügels: Verkündigung, Anbetung. Außenseite des rechten Innenflügels: Besuch bei Elisabeth, Darstellung im Tempel. Innenseite des rechten Außenflügels: Geburt Christi, Beschneidung. Außenseite des rechten Außenflügels: Enthauptung des hl. Alban.5) – Der verlorene Schrein zeigte die Kreuzigung „und 4. Statuen von Heiligen umher stehend.“ An der Innenseite der Innenflügel standen „verguldete Statuen der 12. Apostel.“6)

Inschriften: A) (+) auf der Rahmenleiste unter dem Schrein, B) (+) auf der Rahmenleiste unter der inneren Seite des linken Innenflügels, C) (+) auf der Rahmenleiste unter der inneren Seite des rechten Innenflügels, D) Initialen auf der Darstellung: Tempelgang Marias, E) Schriftband auf der Darstellung der Verkündigung, F) Jahreszahl auf dem Rahmen unterhalb der Darstellung der Beschneidung, G) Namen der zwölf Apostel, mit roter Kreide in zwei Reihen übereinander in die für die Figuren ausgesparten Felder geschrieben (auf der Rückseite des Altars, die Namen werden von links oben nach rechts unten angegeben), H) Meistersignatur im Feld des Petrus, I) Signatur im Feld des Bartholomäus (eingeschnitten).

Inschrift A)–C) nach ZGB Göttingen II 3.

Maße: H. 200, B. (Flügel geöffnet) 640, Bu. D) ca. 8, E) ca. 5, F) 6, G)–I) 0,7 cm.

Schriftart(en): A)–C) wahrscheinlich (frühhumanistische?) Kapitalis7), D/E) frühhumanistische Kapitalis, G)–I) gotische Minuskel (mit Merkmalen der Kursive).

  1. A)

    ANNO DOMINI MILLESIMO QUADRINGENTESIMO [NONAGESIMO] NONO COMPLETA EST HEC TABELLA JOHANNES GEIS[M.]a)

  2. B)

    BI TIDEN DE[S] PERNERS HER JOHAN CIPPOLLEN CENCKLERb)

  3. C)

    BI TIDEN DER ALDERLUDE. HERMAN VON LENGDE, TILE HEISEN.c)

  4. D)

    A · I · H · V ·

  5. E)

    AVE GRACIA PLENA DOMINVS TE//8)

  6. F)

    1499

  7. G)

    math[ae?](us) – jakob(us) maior – [p]hyllyp(us) – pawllvßd) – pet[th?]rvß – johanneß – thomaß – seymon – mathiyaß – jakobvß my(nor) – bartolomew[.] – bartolomeweße) – andreaß

  8. H)

    eck hanßfon geßmerf)habe dve tabelleg)gemaket1499

  9. I)

    ddar vor gevenh) myde fon Sant albane hvnn[dert gv]i) ij hvnderthj)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1499 ist diese Tafel vollendet worden. Johannes Geis(mar). (A)

Kommentar

Die Rahmeninschriften A–C sind in der ZGB Göttingen in zwei voneinander sehr differierenden Fassungen überliefert. Als Quelle wurde hier diejenige Fassung gewählt, die syntaktisch glaubwürdiger ist, obwohl das Entstehungsjahr hier unvollständig wiedergegeben ist (A).

Die Auflösung der Inschrift D) ist unklar. Mögliche Deutungen für die Buchstaben A, H, V wären: A(VE) I[ . . . ] H(ONOR) V(IRGINUM)9) oder A(VE) I[ . . . ] H(ONESTISSIMA) V(IRGO)10).

Der Maler Hans von Geismar war seit 1498 Göttinger Bürger.11) Es verdient Beachtung, daß wir inschriftlich über den genauen Preis des Altars unterrichtet werden (200 Gulden, vgl. I).12) Zu seiner Entstehung berichtet Lubecus, Johann Czipollen, Pfarrer an der Albanikirche und Kanzler Herzog Wilhelms d. J., habe Göttingen viel Unglück zugefügt und sei deshalb vom Rat aus der Stadt verwiesen worden. Als Wiedergutmachung für begangenes Unrecht habe Czipollen der Kirche die „guelden tafelen“ gestiftet.13) Diese Erzählung läßt sich urkundlich nicht überprüfen. Czipollen wird lediglich in zwei Göttinger Urkunden von 1480 und 1486 als Kanzler Herzog Wilhelms d. J. erwähnt.14) Auch findet sich dort keine Bestätigung, daß er als Pfarrer an der Albanikirche war. Das ist jedoch nicht auszuschließen, denn in den welfischen Herzogtümern war es im 15. Jahrhundert durchaus noch üblich, die Verwaltung Geistlichen in die Hände zu legen.15)

Ein Hermann v. Lengde wird nur in einer Urkunde von 1413 angeführt.16) Es könnte sich um den Großvater des in Inschrift C) Genannten handeln. Über Tile Heisen ist gleichfalls nichts bekannt. Die Familie gehörte ursprünglich zu den Handwerkern. Zwischen 1560 und 1637 stellte sie mehrere Ratsherren, von denen die beiden letzten der vornehmen Kaufgilde angehörten.17)

Textkritischer Apparat

  1. Anno millesimo qvadringentesimo nonagesimo nono completum hec tabella Johannes Geism. ZGB Göttingen I 2; Spangenberg, Geschichte und Beschreibung; Heise. NONAGESIMO fehlt Dransfeld; ZGB Göttingen II 3. GEIS[M] (ZGB Göttingen I 2)] GEIST ZGB Göttingen II 3. Kdm. II hat die unterschiedlichen Fassungen in ZGB Göttingen zu folgender Lesung zusammengestellt: ANNO DOMINI MILLESIMO QVADRINGENTESIMO NONAGESIMO NONO COMPLETA EST HEC TABELLA . IOHANNES GEISM. Ebenso Engelhard 13; Stange, Dt. Malerei der Gotik (fehlt DOMINI); Stange, Kritisches Verzeichnis (fehlt DOMINI); Huth, (fehlt DOMINI); Reimers (fehlt DOMINI). Anno Domini 1499 completa est hec tabula Johannes Geismar Fahlbusch.
  2. DE[S] (Dransfeld; ZGB Göttingen I 2)] DER ZGB Göttingen II 3. bi tiden des perners har Johan Sipollen cencler ZGB Göttingen I 2; Spangenberg, Geschichte und Beschreibung. PERNER: ‚Pfarrer‘.
  3. BI TIDEN ALDERLÜDE HERMAN VON LEGDE, TILE HILIEN Dransfeld. bi tiden alder – lude harman von Leg, de tilem hilien ZGB Göttingen I 2; Spangenberg, Geschichte und Beschreibung.
  4. Mit ß wird in G) und H) das Schaft-s zusammen mit dem geschwänzten z wiedergegeben.
  5. Die Wiederholung des Namens ist unter bartolomew[. . .] eingeschnitten.
  6. Ick Hanß fon Gesmer Kdm. II; Müller. Eck Hanß von Gesmer Crome. Ick Hanß fon Geßmar Engelhard. Eck Hans fon Gesmer Habicht; Wollens. Eck Hanss fon Gesmer Heise; Stange, Dt. Malerei der Gotik; Stange, Kritisches Verzeichnis. Eck Hanss fon Gesmar Reimers. Eck Hans von Geismar Alte Göttinger Altäre; v. Weiher. Eck hanss fon Gesmar Huth. Eck hans Gesmar Fahlbusch.
  7. dusse bille Kdm. II; Müller; Engelhard. de tabellen Alte Göttinger Altäre; v. Weiher.
  8. davor geben Alte Göttinger Altäre. davor Fahlbusch.
  9. Getilgt.
  10. I½ hundert Crome; Alte Göttinger Altäre; Fahlbusch. – Der Schaft des zweiten Längsstriches bei der Preisangabe schließt mit einem Haken, wird aber nicht durch einen Querstrich – dem Zeichen für ‚½‘ – geschnitten.

Anmerkungen

  1. Mithoff, Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte, 1. Abt. (1849) 9.
  2. Spangenberg schreibt 1807/08: „Das Altargemaelde ist jetzt im Besitze des beruehmten Riepenhausen hieselbst“ (Beiträge 447).
  3. Crome, Führer durch die Altertumsslg., Göttingen 1919, 25. Nach Mithoffs Angaben sollen sich allerdings bereits 1849 vier Flügel des Altars im Besitz des Legationsrats v. Arnswaldt in Hannover befunden haben (Archiv f. Niedersachsens Kunstgeschichte 1 [1849] 9, Anm. 3.
  4. Fahlbusch, Göttingen im Wandel der Zeiten 60.
  5. Vgl. auch die Beschreibung bei Lucy v. Weiher, Alte Göttinger Altäre und ihre Meister 9f. Ferner: Stange, Kritisches Verzeichnis I, Nr. 810.
  6. ZGB Göttingen I 2, S. 83.
  7. Ebd.: „mit Roemischen Buchstaben“.
  8. Luk. 1,28. Das letzte Wort TE(CUM) ist wegen eines Knicks im Schriftband abgebrochen.
  9. honor virginum als Epitheton Marias vgl. Salzer, Beiworte 344, Z. 20 (nach Mone, Hymnen II Nr. 590, V. 20).
  10. honestissima virgo als Epitheton Marias vgl. Salzer, Beiworte 347, Z. 18.
  11. H. Kelterborn, Die Göttinger Bürgeraufnahmen I, S. 131 (ad a. 1498). Wollens 7.
  12. Zum Vergleich: Tilman Riemenschneider erhielt 1490 für die Anfertigung eines Schnitzaltars in Münnerstadt 145 rheinische Gulden (Huth, Künstler und Werkstatt der Spätgotik 118 Nr. IX), Michael Wolgemut 1507 für einen Tafelaltar in Schwabach 600 (rheinische?) Gulden (ebd. 126, Nr. XIV).
  13. Lubecus, Annales f. 191r. R. Vogelsang vermutet, Czipollen sei aus Göttingen ausgewiesen worden, da er bei der Auseinandersetzung der Stadt mit Herzog Erich d. Ä. diesen unterstützt habe, vgl. R. Vogelsang, Stadt und Kirche in mal. Göttingen 77.
  14. UB Göttingen II, Nr. 338, S. 317; Nr. 355, S. 334. – Die Nominativform des Namens schwankt: ‚Czipollen‘ Nr. 338), ‚Sippolle‘ (Nr. 355).
  15. H. Samse, Die Zentralverwaltung in den südwelfischen Landen 15. bis 17. Jahrhundert 21ff. – Ein Beispiel für diese Praxis ist Jahann Hovet. Er wird 1487/88 als Pfarrer an der Göttinger Johanniskirche genannt (UB Göttingen II; S. 344, Anm. 1), war 1491 Rat Herzog Wilhelms d. J. und wurde 1494 Kanzler Herzog Erichs d. Ä. (Samse, Zentralverwaltung 257).
  16. UB Göttingen II, Nr. 36, S. 22.
  17. Ritter, Ratsherren 48f. – Ratsherren: Hans Heise (1560–1578; 1584/85); Henrich Heyse (1620–1626); Dr. med. Gabriel Heise (1626–1637, Bürgermeister ab 1627), vgl. Ritter, Ratsverfassung 8.

Nachweise

  1. ZGB Göttingen I 2, S. 83; II 3, S. 39 (A–C).
  2. Dransfeld, Dissertatio (. . . ) Albani 4 (A–C).
  3. Spangenberg, Geschichte und Beschreibung 105 (A–C).
  4. Mithoff, Archiv f. Niedersachsens Kunstgeschichte 1 (1849) 10 (F, H).
  5. Kdm. II 71 (A–C, H).
  6. J. H. Müller, Altdt. Schnitzwerke, in: Zs. f. Kunstgeschichte N. F. 3 (1874) H. 2, 65–98, hier 93 (H).
  7. R. Engelhard, Beiträge zur Kunstgeschichte Niedersachsens 13 (A, H).
  8. Münzenberger/Beissel, Mittelalterliche Altäre II, 186 (A–C).
  9. J. Reimers, Hans Raphon, in: Jb. des Provinzialmuseums zu Hannover 1908/09, 44f. (A, F, H).
  10. Habicht, Hannoversche Geschichtsbll. 1913, 27 (H).
  11. Heise, Norddt. Malerei 155, Anm. 56 (A, F, H); Abb. T. LXII/LXIII, Nr. 76/77.
  12. Crome, Führer durch die Altertumsslg. 26 (H, I).
  13. J. Braun, Der christliche Altar II, 526 (A–C).
  14. Wollens, Alte Altarbilder Göttingens 27 (H).
  15. Saathoff, Kirchengeschichte 50 (A–C, F, H, I), Abb. neben 50.
  16. H. Busch, Meister des Nordens 99f. (F, H).
  17. L. v. Weiher (Bearb.), Alte Göttinger Altäre und ihre Meister 9f. (F, H, I).
  18. Göttingens alte Kirchen, Abb. (36/37).
  19. Stange, Dt. Malerei der Gotik VI, 129 (A, H), Abb. 236f.
  20. Fahlbusch, Göttingen im Wandel der Zeiten 61f. (A–C, H, I), Abb. 61.
  21. L. v. Weiher, Die Werke des Mittelalters bis zum Ende der Reformationszeit ( = Städt. Museum Göttingen: Führer durch die Abt. Kirchliche Kunst, H 1) 21 (H).
  22. H. Huth, Künstler und Werkstatt der Spätgotik 100, Anm. 125 (A, H).
  23. Stange, Kritisches Verzeichnis, Nr. 810 (A, H).
  24. Gmelin, Tafelmalerei Nr. 172, S. 505ff. (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 19, Stadt Göttingen, Nr. 59 (Werner Arnold), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di019g001k0005902.