Inschriftenkatalog: Gandersheim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DIO 2: Kanonissenstift Gandersheim (2011)
Nr. 56 Bad Gandersheim, Stiftskirche 1655 u. später
Für eine aktualisierte Fassung dieser Katalognummer, siehe DI96 G1 Nr. 56.
Beschreibung
Epitaph für den Stiftssenior Michael Büttner und seine Familie. Umrahmung Stein, Inschriftentafel Schiefer. Das Epitaph ist im westlichen Querbau der Stiftskirche angebracht. Über einem mehrgliedrigen Sockel ein pilastergerahmtes Gehäuse mit abschließendem Gesims. Auf dem Gesims Inschrift A, Inschrift B auf der Tafel im Gehäuse. Die Inschriften C auf den Kapitellen und den Basen der die Nischenzone rahmenden Pilaster. In der oberen Sockelzone drei Vollwappen mit Beischriften D, darunter Inschrift E. Im unteren Bereich der Sockelzone Inschrift F. Die Inschriften sind erhaben ausgeführt.
Maße: H.: 222 cm; B.: 193 cm; Bu.: 2,5–4 cm (B, Kapitalis), 3 cm (B, Minuskeln), 3,2–4 cm (A, C, D, E, F).
Schriftart(en): Kapitalis (A, C–F), Kapitalis mit Minuskeln (B).
- A
MAN STOSSET MICH DAS ICH FALLEN SOL ABER DER HER HILFT MIR1) · PSALM 118.
- B1
L(ICENTIATUS) MICHAEL BUTNER DIESES StiFt SENIOR. 15 99. am 17. / IUn(io) ZU EISenacH Geboren. 〈1677. 4 MAY StIRBt ZU SELLE(N)StED 10. IUN(IO) HIE BEIGESEtzEt 〉/
- B2
1626. OStern. ZU WitZeLReit. in OBer=PFALtz ZUR erSten EHE die / JUgFera) URSEL Von LOHNEIS getrawt 1641. 8. FeB(RUARII) geStorben alhie ruhet. /
- B3
1627. AM . 6 NOV(EMBRIS) IOHAN IACOB geboren. der am 20. Maj 1642. ZU EIMBEC. IN FLORE. / Studii et aetatiS GeStorben Alda im Stifft Begraben. SPIRITUS ALTA SAPIT. /
- B4
1629. DEN. 25. AVG(VSTI) ANNA BARBARA. GEBOREN. 1646. DEN. 3. (NOVEM)B(RIS)b) RITM(EISTER) BARTOLT DITMAN. GEtrawt /
- B5
1631. DEN. 2. IULii. GEBOREN. CATHARIN MARGRETA. 1637. DEN. II.c) FEB(RUARII) GEStORBEN. ALHIE RVHET · /
- B6
1633. MICHAEL GEBOREN AM TAGE MICHAELIS. 〈STIRBT ACKENHAUSE(N)2) 25 . FEB(RUARII) 1668 LIGT IN D(ER) KIKCHd) 〉/
- B7
1636. AM. 22. SEPT(EMBRIS) GEBOREN. IUSTUS. AM 28. APR(ILIS) 1646. GESTORBEN. ALHIE BEGRABEN: /
- B8
1639. AM. 8. NOV(EMBRIS) GEBOREN. DOROTHEA. 〈A(NN)O 658e) HEÜRAt H. HASPELM(ACHER)e). StIRBt 660f) MIt DEM KIND 〉/
- B9
1643. AM. 1. IUNii. IUGFER.a) ANNA GETEL. VON BRUNSWIG. GETRAWT. 〈STIRBT 22 · FEB(RUARII) 1670 ALHIE RUHET 〉/
- B10
1645. AM. 13. MART(II) GEBOREN. ANASTASIUS.〈GESTORBEN 1692. ALS CANON(ICUS) U(ND) ABTEIRATH.〉/
- B11
1647. DEN. 19. FEB(RUARII) GEBOREN. CHRISTIANg) ELISABETHA. 〈STIRBT I727.h) D(EN) 29. MAI(I) ALT. 8I.h) IAHR / 〉
- B12
1648. AM. 18. NOV(EMBRIS) GEBOREN. ANNA SABINA. 〈HEÜRAT. H(ERR) IO(HANN) WITTEN I670. STIRBT I703.h) 〉/
- B13
1650. 27. (DECEM)B(RIS)i) MARIA IOHANNA · GEBORN · 1655 · 27. MAI GESTORBEN · ALHIE BEIGESETZET. /
- B14
1653. 29 · MART(II) ELEONORA GEBORN · 〈HEÜRAT. H(ERR) B. A. IAEGER. 1673 STIRBT 1689. ZU ITZEHOE.〉
- C
HOMO // BUL/LA ·3) // PULVIS // UM/BRA
- D
LOHENEIS // BUTNER // GEITEL
- E
MEMENTO TUBAE ARCANGE[LI I]N OMNI NEGOTIO TUO.
- F
PLANTATI [I]N DOMO DOMINI IN ATRIIS DOM(US) DEI NOSTRI FL[O]REBUN[T PS 92 V] 13.4)
Übersetzung:
(...) Am 6. November wurde Johann Jacob geboren, der am 20. Mai in Einbeck in der Blüte seiner Studien und seines Alters gestorben ist und dort im Stift begraben wurde. Der Geist sucht die Höhe (...). (B3)
Der Mensch ist eine Blase, Staub und Schatten. (C)
Denk an die Posaune des Erzengels in allen deinen Geschäften. (E)
Gepflanzt im Haus des Herrn blühen sie (die Gerechten) in den Vorhöfen des Hauses unseres Gottes. (F)
Löhneysen,5) | Büttner,6) | Getel7) |
Textkritischer Apparat
- Statt JUNGFER oder IUNGFER.
- Befund 9.B(RIS).
- II] Wahrscheinlich römische Ziffern, da die Eins in der voraufgehenden Jahreszahl als arabische 1 in der gebogenen Form ausgeführt ist, während die römischen Ziffern die Form eines unten verbreiterten Schafts haben.
- KIKCH] Statt KIRCH.
- Die Auflösung folgt Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 465f.
- 1 fehlt.
- Statt CHRISTINA.
- Die 1 als römische Ziffer, die übrigen arabisch.
- Befund XB(RIS).
Anmerkungen
- Ps. 118,13.
- Ackenhausen bei Gandersheim. Dort hatte Michael Büttner im Jahr 1630 einen Meierhof übernommen, vgl. Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 462.
- Walther, Proverbia, Bd. II, 8, Nr. 37246. Das Sprichwort war im 16. Jahrhundert vor allem durch die Adagia des Erasmus von Rotterdam bekannt, vgl. Erasmus von Rotterdam, Opera omnia, hrsg. von Joannes Clericus. Bd. 1,2 Complectens adagia, Leiden 1703, Nachdruck Hildesheim 1961, S. 500. Das Sprichwort Homo bulla geht auf Varro zurück (vgl. Walther, Proverbia II,8, Nr. 37246), die Erweiterung durch die Wörter pulvis und umbra dürfte christlichen Vorstellungen entstammen.
- Ps. (G) 91,14. Die Psalterzählung der Inschrift folgt der Lutherbibel, die Versangabe ist nicht korrekt.
- Wappen Löhneysen (Vogelkopf mit Hals, schräg aufwärts von einem Pfeil durchbohrt). Abweichend Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. II, Abt. 2, S. 7, Tafel 5: Adlerkopf mit Hals, schräg abwärts von einem Pfeil durchbohrt).
- Wappen Büttner (Stab, um den sich zwei Schlangen winden, beseitet von je einem Stern).
- Wappen Getel (nach rechts springender oberhalber Hirsch, beseitet von zwei und drei Bäumen).
- Die folgenden biographischen Angaben zu Michael Büttner nach Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 462–464 mit weiterführenden biographischen Angaben und Quellennachweisen; ebd., S. 61f.
- Zu Anastasius Büttner vgl. Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 468.
Nachweise
- Kdm. Kreis Gandersheim, S. 158 (B nur teilweise wiedergegeben).
Zitierhinweis:
DIO 2, Kanonissenstift Gandersheim, Nr. 56 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio002g001k0005600.
Kommentar
Die in der Inschrift B verwendeten Minuskelformen lassen sich keiner der zeitgenössischen Kleinbuchstabenschriften eindeutig zuordnen: einstöckiges a und mandelförmiges o stehen neben geradezu typisch auf der Grundlinie gebrochenen Schäften der gotischen Minuskel; d mit rundem Bogen (Alda B3) steht neben b, dessen Bogen eher spitzoval gestaltet ist.
Inschrift B wurde, wie die Schriftmerkmale deutlich machen, in verschiedenen Zeitschichten ausgeführt. Die älteste Schicht ist gekennzeichnet durch die Mischung von Kapitalis und Minuskeln. Sie wurde für die Inschriften B1–B3 verwendet. Den terminus post quem für die Ausführung dieser Inschriften bietet das Jahr 1643, in dem Michael Büttner seine zweite Ehefrau Anna Getel heiratete (B9), da in Inschrift B2 Ursula von Löhneysen als seine erste Ehefrau bezeichnet wird. Die nächstjüngere, zweite Schicht ist in einer ligaturenfreien Kapitalis nahezu vollständig ohne Minuskeleinsprengsel gehauen worden. Die in dieser Schrift verwendeten Kapitalisformen, insbesondere aber die Ziffern, wie die gebogene, oben in einem Quadrangel endende 1, die z-förmige 2, die schräggestellte rechtsgewendete 5, entsprechen aber in ihrer Gestaltung genau den in der ältesten Schicht verwendeten Formen. Die jüngste Inschrift dieser zweiten Schicht ist der Sterbevermerk der Maria Johanna Büttner (B13) aus dem Jahr 1655, so daß mit diesem Datum etwa das Entstehungsjahr der zentralen Inschrift und damit des gesamten Epitaphs bezeichnet sein dürfte.
Alle Einträge späterer Heirats- oder Sterbedaten sind nicht mehr in diesen durch die einheitlichen Kapitalisformen und Ziffern charakterisierten beiden ältesten Schriftschichten ausgeführt. Sie sind folglich als Nachträge anzusehen, die bis 1727 (B11) zu verschiedenen Zeiten angebracht worden sind. Inschrift B1 enthält in der Nachtragsschicht ein epsilonförmiges E.
Der Lizentiat der Rechte Michael Büttner8) amtierte zunächst als Advokat und Syndikus der Berg- und Hüttenwerke in Clausthal. Am 28. Juli 1645 wurden ihm vom Stift Gandersheim die Senioratsgeschäfte übertragen, fünf Jahre später wurde er zum Abteirat und Lehnssekretär bestellt. Am 17. April 1665 resignierte er sein Kanonikat, nachdem er bei der Aufnahme eines Nachlasses die Magd der erbberechtigten Kanonisse mit einem Stock geschlagen hatte und infolgedessen in Wolfenbüttel inhaftiert wurde. Die Stockschläge waren nicht das einzige Zeugnis für Büttners Gewaltbereitschaft und kriminelle Energie. Die Dekanin Dorothea Hedwig erhob im Jahr 1663 Anklage gegen ihn wegen Unterschlagung von aus Besitzwechseln resultierenden Abgaben (Laudemiengeldern), die dem Kapitel zustanden.
In erster Ehe war Michael Büttner mit Ursula von Löhneysen verheiratet; aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor (B2–B8). In zweiter Ehe heiratete er Anna Getel, mit der er weitere fünf Kinder hatte (B9–B14). Sein 1645 geborener Sohn Anastasius9) wurde im Jahr 1670 zum Stiftssyndikus in Gandersheim bestellt, am 26. März 1674 auch zum Abteirat; 1675 erhielt er ein Kanonikat und im Jahr 1678 die Bestallung als Wirklicher Abtei- und Hofrat. Er hat die Herstellung des Archivschranks (Nr. 61) veranlaßt und seine Einteilung entworfen.
Michael Büttner starb – wie die Inschrift (B1) festhält – am 4. Mai 1677 in Sellenstedt (Landkreis Hildesheim) und wurde am 10. Juni in der Gandersheimer Stiftskirche im westlichen Querhaus bestattet, wo er sich – nach Meinung des Kapitels widerrechtlich – ein Erbbegräbnis eingerichtet hatte. Der heutige Anbringungsort des Epitaphs liegt also in der Nähe seines Grabes und dürfte wahrscheinlich dem ursprünglichen Standort entsprechen.