Inschriftenkatalog: Gandersheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 2: Kanonissenstift Gandersheim (2011)

Nr. 32 Bad Gandersheim, Stiftskirche 2. H. 16. Jh.

Für eine aktualisierte Fassung dieser Katalognummer, siehe DI96 G1 Nr. 32.

Beschreibung

Tafel. Öl auf Holz. Das Gemälde zeigt das Stifterpaar Graf Liudolf und seine Frau Oda, beide in reich verzierter Gewandung. Graf Liudolf hält in der Rechten ein an die Schulter gelehntes Schwert. Zusammen mit seiner Frau trägt er ein Modell der Stiftskirche in einer detailgetreuen Darstellung im Zustand des 16. Jahrhunderts von der Südseite aus gesehen. Unterhalb des Bildes die hell auf dunklen Grund gemalte Inschrift zwischen zwei Wappenschilden, der heraldisch rechte mit einer fünfzackigen, der linke mit einer neunzackigen Krone.

Maße: H.: 109,5 cm (ohne Rahmen), 122,5 cm (mit Rahmen); B.: 79,2 cm (ohne Rahmen), 93,5 cm (mit Rahmen); Bu.: 1,7 cm.

Schriftart(en): Fraktur.

Inga Finck [1/2]

  1. Da man thet schreibn 800 Jar /Vnd 53 die Jarzal war /Der Tapffer Helt Ludolff genandt /Der erst Hertzoch in Sachsen Landt /Vnd Oda sein Fraw Lobesan /Diss Loblich Stifft erbawet han.

Versmaß: Deutscher Reimvers.

Wappen:
Graf Liudolf1),Gräfin Oda2)

Kommentar

Das Gemälde erinnert an die Gründung des Stifts Gandersheim durch den Grafen Liudolf und die Gräfin Oda.3) Das Stifterpaar reiste 845/846 nach Rom zu Papst Sergius II., um das Gründungsvorhaben bestätigen zu lassen und die für die Neugründung notwendigen Reliquien zu erwerben. Sie erhielten Reliquien der heiligen Päpste Anastasius und Innocentius. Als erste Äbtissin des neugegründeten Klosters setzten die Stifter 852 ihre Tochter Hathumod ein.4)

Richter datiert das Gemälde in das zweite oder dritte Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts.5) Die Verwendung der Fraktur in der unterhalb des Bildes angebrachten Inschrift spricht allerdings eher für eine Entstehung nach der Mitte dieses Jahrhunderts, da sich in den niedersächsischen Inschriftenbeständen keine Beispiele für die Verwendung dieser Schriftart vor 1550 finden.6) Der durchgängig hochdeutsche Sprachstand bestätigt diesen zeitlichen Ansatz. Sofern Richters Datierung auf 1520/30 aus stilkritischer Sicht beizubehalten ist, wäre zu überlegen, ob die Inschrift nachträglich hinzugefügt wurde.

In einer Epitaphiensammlung des Lüneburger Pastors Jakob Rikemann (1558–1626) sind unter der Überschrift Epitaphium Ludolphi Magni ducis Saxoniae die folgenden, wohl etwa gleichzeitig mit der Inschrift des Gemäldes zu datierenden Verse überliefert:7) Großherr zu Sachßen machet Ehe (= eh ‚früher‘)/ Ludowig der kunig Germaniae / Nach Christi geburt achthundert iar / vnd zwey und vierzig da die schar / der Nordman großen mord begieng / viel heilthumbs ich (sc. Liudolf) zu Rom entfing / zu gandersheim man es noch hat / Das Closter stifft ich mit der stadt. Der Überlieferung Rikemanns ist nicht zu entnehmen, ob dieses Epitaphium inschriftlich ausgeführt war. Die ersten beiden Verse erschließen sich nicht unmittelbar dem Verständnis. Vielleicht läßt sich die Erwähnung Ludwigs des Deutschen in diesem Zusammenhang so verstehen, daß der Verfasser der Verse noch einmal auf die ausdrückliche königliche Erlaubnis und Empfehlung verweisen wollte, die Ludwig dem sächsischen Grafenpaar auf der Reise nach Rom mitgegeben hatte. Mit Nach Christi geburt ... beginnt ein sechsteiliger, textlich kohärenter historischer Merkvers mit Liudolf in der Rolle des Sprecher-Ichs. Auf drei Verse, die das Gründungsdatum 842 mit den etwa gleichzeitigen Normanneneinfällen8) beschreiben, folgt der Bericht über die mit der Gründung und Ausstattung des Stifts zusammenhängenden Ereignisse in den drei letzten Versen, in denen auffällig deutlich auf den Reliquienerwerb und -besitz hingewiesen wird.

Anmerkungen

  1. Wappen Graf Liudolf (weißes Pferd auf rotem Grund), Krone mit fünf sichtbaren Zacken.
  2. Wappen Oda (geteilt, oben drei heraldische Lilien, unten vier Schrägbalken), Krone mit neun sichtbaren Zacken.
  3. Richter hat als Vorbild für dieses fiktive Doppelporträt der Stifter die Mitteltafel eines in Hof befindlichen Retabels ermittelt, das Kaiser Heinrich und seine Gemahlin Kunigunde als Stifter des Bamberger Doms zeigt, vgl. Richter, Gotik in Gandersheim, S. 80f. mit Abb. 50.
  4. Zur Gründung des Stifts Gandersheim vgl. Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 81–85.
  5. Richter, Gotik in Gandersheim, Kat. Nr. 14, S. 78.
  6. Die beiden frühesten Belege für die Fraktur in den bisher edierten niedersächsischen Inschriftenbeständen stammen aus dem Jahr 1550: DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 365; DI 66 (Landkreis Göttingen), Nr. 155. Die weit überwiegende Zahl der Erstbelege für diese Schriftart ist zwischen 1560 und 1580 entstanden.
  7. Vgl. Wolfenbüttel, Herzog August-Bibliothek, Cod. Guelf. 28,6 fol. 39r, Nr. 30. Für den Hinweis auf den Text und die Transkription danke ich Frau Dr. Sabine Wehking, Inschriftenarbeitsstelle Göttingen.
  8. Zu den Normanneneinfällen vgl. Hans Patze (Hg.): Geschichte Niedersachsens. Bd. 1: Grundlagen und frühes Mittelalter. Hildesheim 21985 (Veröffentlichungen der historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 36), S. 615; vgl. a. Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 81.

Nachweise

  1. DBHi, HS 534, fol. 27r.
  2. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 166.
  3. Richter, Gotik in Gandersheim, Kat. Nr. 14, S. 78f. (Abb.).

Zitierhinweis:
DIO 2, Kanonissenstift Gandersheim, Nr. 32 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio002g001k0003208.