Inschriftenkatalog: Gandersheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 2: Kanonissenstift Gandersheim (2011)

Nr. 20 Clus, Klosterkirche St. Maria und Georg 1486

Für eine aktualisierte Fassung dieser Katalognummer, siehe DI96 G1 Nr. 20.

Beschreibung

Glasmalereien in den Chorfenstern. Die fünf Fenster sind als Zwillingsfenster mit Maßwerkzwickeln ausgeführt.

Das Nordfenster zeigt im Maßwerkzwickel einen Engel, der auf ein Buch weist, mit einem Spruchband, darin Inschrift A. In der linken Arkade des Zwillingsfensters im spitzbogigen Abschluß in drei Feldern mit blauer, roter und gelber Einfassung die Inschriften B. In der rechten, ebenfalls spitzbogig abgeschlossenen Arkade im abschließenden Dreipaß die Inschriften C in drei farbig eingefaßten Feldern. Das Südfenster zeigt im Zwickel-Maßwerk einen gekrönten Vogel mit ausgebreiteten Schwingen, der auf einem Baum landet. Darunter blau und violett eingefaßt die Inschriften D. In der rundbogig abgeschlossenen linken Arkade des Zwillingsfensters ein Feld mit der Inschrift E. Im Zwickel-Maßwerk des nordöstlichen Apsisfensters zwei Äbtissinnen mit Nimbus. Das mittlere östliche Apsisfenster zeigt im Abschluß der linken Arkade ein rechteckiges Bild mit einer sitzenden Figur und Schriftband F; oberhalb in einem von farbigen Scheiben gerahmten ovalen Feld Inschrift G. Im Abschluß der rechten Arkade Maria mit Kind; oberhalb, in einem von farbigen Scheiben umgebenen ovalen Feld Inschrift H. Leuckfeld überliefert von diesem östlichen Apsisfenster eine heute verlorene Herstellungsinschrift (I). Das südöstliche Apsisfenster trägt keine Inschriften. Die Inschriften sind hell vor dunklem Hintergrund ausgespart.

Die „Rosetten und Spitzen“ der Chorfenster wurden Steinacker zufolge 1848–1852 neu verglast.1)

Inschrift E ergänzt nach Kdm.; Inschrift I nach Leuckfeld.

Maße: Bu.: ca. 1,5 cm (A–H).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (B, C, D, H) mit Versalien (A, E, F, G).

Inga Finck [1/8]

  1. A

    Regina . celi . le 2)

  2. B

    iesus / cristus // ih(esu)s // ma(r)ia

  3. C

    iesus / cristus // ihes(us) // ma(r)ia

  4. D

    iesus // maria

  5. E

    Gloria in excels(is) deo [pax ho(min)ibus in t(er)ra]3)

  6. F

    Sanctus bartholomeus

  7. G

    S(an)ct(u)s b/artholo(meus)

  8. H

    iesus / maria

  9. I †

    Anno a partu virginis M CCCC L XXX VI factae sunt haea) fenestrae tempore Weddegonis Abbatis per fratres huius domus

Übersetzung:

Himmelskönigin, freue dich (...). (A)

Ehre sei Gott in der Höhe, Friede den Menschen auf der Erde. (E)

Im Jahr nach der Jungfrauengeburt 1486 wurden diese Fenster gemacht zur Zeit des Abts Wedego durch die Brüder dieses Hauses. (I)

Kommentar

In die Amtszeit des Abts Wedego Rese4) (1460–1505) fallen erhebliche bauliche Veränderungen an der romanischen Kirche und außerhalb der Klausur. Er erneuerte ähnlich wie seine Amtsbrüder Lippold von Stemmen (1465–1473), Bertram Bredenbeck (1473–1493) und Henning Kalberg (1493–1535) im Hildesheimer St. Godehard-Kloster5) als typischer Reformabt das Armarium und das Skriptorium, vergrößerte die Bibliothek und förderte auf diese Weise das gesamte geistige Leben im Kloster. Vierundzwanzig Mönche haben in seiner Amtszeit Profeß abgelegt, was zur Folge hatte, daß der romanische Chor nun für den Konvent zu klein geworden war und beträchtlich erweitert werden mußte. In den Zusammenhang mit dieser Chorerweiterung gehören auch die Inschriften auf den Fensterscheiben des Chors.6) Zur Finanzierung der Baumaßnahme konnte Abt Wedego wiederum auf die Spenden der devoti homines in den norddeutschen Hansestädten Hamburg, Bremen und Lübeck zurückgreifen. Näheres dazu s. im Kommentar zu Nr. 16.

Die Formulierung per fratres huius domus in der Fertigungsinschrift besagt, daß die Cluser Mönche die Glasmalereien selbst angefertigt haben. Angesichts der schlichten Ausführung ist diese Aussage durchaus glaubhaft, auch wenn sie für das späte Mittelalter bisher ein Einzelfall ist.7) Zu sonstigen künstlerischen Tätigkeiten der Cluser Mönche vgl. Nr. 22.

Textkritischer Apparat

  1. hae] haec Leuckfeld.

Anmerkungen

  1. Vgl. Steinacker in Kdm. Kreis Gandersheim, S. 61, Anführungsstriche so bei Steinacker.
  2. Vgl. Corpus antiphonalium officii, Bd. 3, Nr. 4597: Regina celi letare alleluia / quia quem meruisti portare alleluia / resurrexit sicut dixit alleluia / ora pro nobis deum alleluia. Die marianische Antiphon eines unbekannten Verfassers ist seit ca. 1200 überliefert und im Officium monasticum für den Abschluß der Tageshoren bestimmt, vgl. Marienlexikon, Bd. 5, 1993, S. 435–437.
  3. Incipit des Gloria im Ordo Missae nach Lc. 2,14. Steinackers Lesung weicht vom Wortlaut des Gloria ab: Gloria in excelsis Deo et in terra pax hominibus, vgl. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 60.
  4. Die Ausführungen zu Abt Wedego Rese beruhen auf Goetting, Brunshausen-Gandersheim-Clus, S. 215–218.
  5. Zu den Wirkungen der Klosterreform im Spiegel der Inschriften vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 153, 184, 214; DI 76 (Lüneburger Klöster), S. 14–22.
  6. Zu den Baumaßnahmen Abt Wedegos vgl. ‚Chronica coenobii clusini‘, fol. 150v; zitiert und ausgewertet bei Herbst, Benediktinerkloster Klus, S. 52.
  7. Eine vergleichbare Signatur, allerdings aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, ist aus dem Zisterzienser-Kloster Haina überliefert: Dort zeichnete ein LVPVLDVS FRATER, ein Konverse des Klosters, für die Ausführung von Glasmalereien verantwortlich, vgl. Daniel Parello unter Benutzung der Vorarbeiten von Daniel Hess, Die mittelalterlichen Glasmalereien in Marburg und Nordhessen. (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland III,3). Berlin 2008, S. 150 u. 152. Für die Diskussion über die Fragen der Glasherstellung in mönchischen Gemeinschaften danke ich Frau Dr. Elena Kozina, Corpus Vitrearum Deutschland, Freiburg. – Aus dem Franziskanerkloster St. Martini in Hildesheim ist überliefert, daß dort ein Mönch Johannes Piscator in Glas malen und brennen könne, vgl. Joachim Barward Lauenstein, Hildesheimische Kirchen- und Reformationshistorie, Teil 1–12. Hildesheim u. a. 1735–1736, hier Teil 6, Kapitel 1, S. 5.

Nachweise

  1. Leuckfeld, Antiquitates Gandersheimenses, S. 187.
  2. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 60f.
  3. Herbst, Benediktinerkloster Klus, S. 55f.

Zitierhinweis:
DIO 2, Kanonissenstift Gandersheim, Nr. 20 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio002g001k0002002.