Inschriftenkatalog: Gandersheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 2: Kanonissenstift Gandersheim (2011)

Nr. 7† Bad Gandersheim, Stiftskirche 1168 o. später

Für eine aktualisierte Fassung dieser Katalognummer, siehe DI96 G1 Nr. 7.

Beschreibung

Glasmalerei. Sie zeigte nach der Überlieferung Johannes Letzners Hertzog Heinrich in Altfränckischer Kleidung, und helt die form des Münsters für sich auff beyden henden, daneben die Inschrift.1) Diese von Letzner beschriebene Darstellung könnte die mittlere der drei von Johann Christoph Harenberg wiedergegebenen, aber nicht näher bezeichneten Abbildungen meinen, die von ihrer Form her durchaus einer Glasmalerei in einem Rundbogenfenster entspricht.2) Die Abbildungen bei Harenberg geben keine Inschriften wieder.

Inschrift nach Leuckfeld.

Exemplar Universität Göttingen, Diplomatischer Apparat, Signatur: DA-UB150 [1/1]

  1. Alta stirpe satus Henricus Bavariae DuxOttonis Magni Saxoniaeq(ue) DucisRes se condignaa) confert sub doteb) benignaBavenbergc) nostrae vir pius Ecclesiae

Übersetzung:

Heinrich, Herzog von Bayern, ein Sproß vom hohen Stamm Ottos d. Gr., des Herzogs von Sachsen. Der fromme Mann aus Bamberg schenkte in einer gütigen Stiftung, die seiner würdig ist, diesen Besitz unserer Kirche.

Versmaß: Zwei elegische Distichen, der dritte Vers zweisilbig leoninisch gereimt, der vierte Vers einsilbig.

Kommentar

Der historische Hintergrund dieser Inschrift ist schwer zu fassen, zumal der Wortlaut der Inschrift in der überlieferten Form (vgl. Anm. a und b) sprachlich unklar ist (vgl. Anm. c). Leuckfeld, der den Text im Kontext der Vita Äbtissin Gerbergas II. (949–1001) überliefert, bezieht die Erwähnung des Henricus Bavariae Dux auf den Bruder Gerbergas II., Heinrich den Zänker, Herzog von Bayern, der sich oft in Gandersheim aufgehalten habe, dort im Jahr 995 an der Pest gestorben und in der Krypta der Stiftskirche begraben sei. Er bezeichnet die Inschrift, die noch vor einigen Jahren in den Fenstern gemehlet gestanden als Epitaphium Heinrichs, zum Andenken, daß er den Bavenberg ans Stift geschenkt.3) Die Stiftung eines „Bavenbergs“ ließ sich in den Gandersheimer Quellen nicht nachweisen. Die Bezeichnung vir pius legt auch nicht unbedingt eine Verbindung zu Heinrich dem Zänker nahe, sondern lenkt den Blick eher auf den später heilig gesprochenen Heinrich II., der seit 995 auch Herzog von Bayern war. In seiner Amtszeit sind reiche Schenkungen von Königsgut an das Stift bezeugt. Goetting verweist insbesondere auf zwei große Tauschgeschäfte des Jahres 1009, bei denen Gandersheim gegen die Abtretung geschenkter Güter in Franken, die Gerberga II. erhalten hatte, Königshöfe im Nordostharz erhielt.4)

Entstanden ist die Inschrift sicherlich nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den Stiftungen Heinrichs II. Schon formale Gründe sprechen dagegen: Die Form des elegischen Distichons mit zweisilbigem leoninischen Reim im dritten Vers ist eher in Inschriften ab dem 12. Jahrhundert anzutreffen. Vor allem aber ihre Ausführung als Glasmalerei macht ihre Entstehung vor dem 12. Jahrhundert unwahrscheinlich. Einen Anhaltspunkt für die Datierung könnte die Wiederherstellung der Stiftskirche nach dem dritten Brand und ihre Wiederweihe im Jahr 1168 unter Äbtissin Adelheid IV. (1152/53–1184) bieten. Der Cluser Mönch Henricus Bodo teilt in seinem „Syntagma ecclesie Gandesiane“ zu dieser Wiederherstellung mit, daß Adelheid die Kirche mit Fenstern, Bildern und Tafeln ausschmücken ließ.5) Aber auch eine spätere Entstehung der Inschrift läßt sich nicht ausschließen.

Diese Inschrift bewahrt als einzige das Gedenken an eine liudolfingische Schenkung für das Stift Gandersheim.

Textkritischer Apparat

  1. se condigna] re consigna Letzner, Leuckfeld. Die überlieferte Form consigna (Imperativ von consignare ‚besiegeln, schriftlich festhalten‘) läßt sich nicht in den vorliegenden Kontext einpassen. Die emendierte Form condigna ‚angemessen, adäquat, passend zu‘ muß zu dote gehören; re dürfte aus se verlesen sein. Res ist Objekt zu confert und im Sinne von ‚dieser Besitz‘ zu verstehen.
  2. sub dote] sub Sole Leuckfeld.
  3. Bavenberg] So Leuckfeld; Bannenderus Letzner (SUB Göttingen, Ms. Hist. 248), Bannenberg Letzner (SUB Göttingen, Ms. Hist. 249). – Das nicht lateinisch flektierte Bavenberg statt Bavenbergensis gehört zu vir pius im Sinne von ‚der fromme Mann aus Bamberg‘.

Anmerkungen

  1. Letzner, 3. Buch der Braunschweigisch-Lüneburgischen und Göttingischen Chronik, (SUB Göttingen, Ms. Hist. 248), S. 438.
  2. Harenberg, Historia ecclesiae Gandershemensis, Tafel XXXVI. Herr Dr. Martin Hoernes, Bad Gandersheim/Berlin, hat mich freundlicherweise auf diese Bilder hingewiesen. Vgl. auch Anm. 4.
  3. Leuckfeld, Antiquitates Gandersheimenses, S. 223.
  4. Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 265.
  5. Vgl. Henricus Bodo, Syntagma ecclesie Gandesiane, hier zitiert nach Harenberg, Historia Ecclesiae Gandershemensis, S. 717, Fußnote (r): Haec (sc. Adelheid) suo tempore combustum monasterium Gandesianum decentissime reaedificauit, et ecclesiam, fenestris, picturis, tabulis, et id genus aliis ornamentis decoratam, a quinque Episcopis consecrari fecit. Soweit das Zitat aus der Chronik Bodos. Harenberg selbst fährt fort: Fenestrae perpaucae illis antiquis picturis ornatae supersunt, quod omnino dolendum. Poterant inde gestamina et vestitus varii innotescere, quibus haec regio tum fuit usa. Exstant adhuc tres picturae in tribus fenestris. Vna inaugurationem templi repraesentat, condecoratam Patronis eius, statoribus sanctis Episcopisque. Secunda exhibet Adelheidam, velo instructam et habitu suo reliquo vestitam. Tertia sistit reginam (!), sceptro liligero et corona Imperiali ornatam, quae templum Gandershemensi manui sinsitrae impositum sustinet. Das hier als drittes beschriebene Fenster könnte mit dem bei Harenberg im Anhang abgebildeten, obengenannten mittleren der drei Fenster identisch sein, das zwar nicht eine Herrscherin, alle übrigen Details aber entsprechend der in der Fußnote (r) gegebenen Beschreibung abbildet. Es ist nicht ausgeschlossen, daß damit das von Letzner beschriebene Fenster wiedergegeben ist, in dessen Zusammenhang die Alta stirpe-Inschrift Letzners Überlieferung nach gestanden haben soll.

Nachweise

  1. Leuckfeld, Antiquitates Gandersheimenses, S. 220.
  2. Letzner, 3. Buch der Braunschweigisch-Lüneburgischen und Göttingischen Chronik (SUB Göttingen, Ms. Hist. 248), S. 438; (SUB Göttingen, Ms. Hist. 249), fol. 512v.
  3. DBHi, HS 534, ‚Rupius-Chronik‘, fol. 42r und fol. 43r.

Zitierhinweis:
DIO 2, Kanonissenstift Gandersheim, Nr. 7† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio002g001k0000709.