Inschriftenkatalog: Stadt Freising

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 69: Stadt Freising (2010)

Nr. 68(†) Diözesanmuseum 1420, 1577, 1752

Beschreibung

Kranzleisten eines Chorgestühls mit Spruch und Stifterinschrift des Stiftskanonikers Berthold Aublinger. Im Depot. Ursprünglich im Chor der Kollegiatstiftskirche St. Andreas, 1577 und 1752 renoviert1), im Frühjahr 1803 ausgebaut und vom Freisinger Schreiner Moosbeck um 12 fl. 1 kr. ersteigert2), später um 28 fl. an die Pfarrkirche in Zolling verkauft und eingebaut, dabei die nordseitige Kranzleiste unter teilweisem Inschriftenverlust beidseitig gekürzt3), um 1850 von Joachim Sighart erworben, 1857 der Kunstsammlung des Klerikalseminars einverleibt, 1907 in der Martinskapelle, 1974 in das Diözesanmuseum überführt (Inv.-Nr. P 182)4). Eichenholz. Die südseitige Kranzleiste mit Stifterinschrift (I) verloren, von der nordseitigen Leiste mit Spruch (II) die letzten beiden Drittel heute fehlend. An den Ecken der Leisten zwei heute verlorene Renovierungsdaten (III). Die Leisten mit Dreipässen im Rapport verziert, davon bei der erhaltenen Leiste (II) noch einige Fragmente vorhanden. Der Schriftgrund nach Ausweis noch vorhandener Farbreste ursprünglich rot bemalt, die Oberfläche der Leiste(n) offenbar in blauem Farbton gefaßt. Auf einer der Leisten ein Wappen wohl als Bekrönung5). In der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts die nahezu vollständig erhaltenen Leisten in ihrer Gesamtbreite von 11,20 m durch Verlust auf den verbliebenen Rest von 2,90 m reduziert. Zwei zugehörige Gestühlwangen mit Weinrankenschnitzereien ebenfalls im Diözesanmuseum erhalten (Inv.-Nr. P 181). Eine in einer Kopiale überlieferte Wappenkartusche, die am Gestühl angebracht war, ist wohl nicht ursprünglich zugehörig6).

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/4]

Maße: H. 11 cm, B. 290 cm, Bu. 7 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

I. Ehem. südseitig.

Text nach Hoffmann, Kunstaltertümer.

  1. ANNO · DOMINI · MILLESIMO · CCCC · VICESIMOa) · DOMIN(VS) · BERCHTOLDVSb) · AVBLINGER · CANONICV(S) · HUI(VS) · ECC(LESI)E · PERFECITc) · HAS · SEDES · IN · HONORE(M) · SANCTI · ANDREE · AP(OSTO)LId) ·

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1420 vollendete Herr Berthold Aublinger, Kanoniker dieser Kirche, diese Sitze zu Ehren des heiligen Apostels Andreas.

II. Ehem. nordseitig.

Ergänzt nach Hoffmann, Kunstaltertümer.

  1. IN · CHORO · SICVTe) · ASELLUS · IN · FORO · · EST · LOCUS · HIC · HORVMf) · [QVI · CANTANT · ET · NON · ALIORVM · HOS · CHR(IST)Ig) · FAM(V)LOS · HIC · PSALLENTES · CONSERVA · TVOS ·]

Übersetzung:

Im Chor ist der Ort für diejenigen, die singen, nicht für die anderen, die wie ein Esel auf dem Marktplatz (schreien). Behüte diese, deine Psalmen singenden Diener Christi.

III. Ehem. nordseitig.

Text nach Heilmaier, Chorgestühl.

  1. 1577h) // 1752

Kommentar

Das Ende der Gotischen Majuskel tritt bei Steininschriften in Deutschland ziemlich genau mit dem Jahr 1400 ein, danach kommt es bis ca. 1470 zur ausschließlichen Verwendung der Gotischen Minuskel. Wenn hier noch 1420 im Medium Holz eine Gotische Majuskel zur Ausführung gelangt, dann offenbar im Hinblick auf die besondere Eignung der Majuskelschrift als Monumentalschrift. Ein Vergleich mit der 1441 entstandenen Minuskelinschrift auf der Kranzleiste des Gestühls von St. Veit (Nr. 82(†)) unterstreicht den repräsentativeren Schriftcharakter der Majuskel. Diese zeigt außerdem ein ausgewogenes Schriftbild, mit der Tendenz zu Zierformen. Zu den Schriftformen s. Einleitung XCIII.

Bei Text II wird die Absicht des Verfassers erkennbar, zweisilbig leoninisch gereimte Hexameter (oder elegische Distichen) zu verfassen, doch mißlang ihm eine vollständige Umsetzung des metrischen Schemas.

Der in die Leisten des nordseitigen Chorgestühls eingeschnittene Spruch (II) war offenbar im späten Mittelalter weit verbreitet, Beispiele finden sich u. a. in den schwedischen Orten Film7) und Björkeberg8). Die Inschrift II wurde vom bayerischen Schriftsteller Ludwig Ganghofer (1855–1920), wohl von ihrer Publikation durch Sighart und Riezler angeregt, in Kap. 7 seines historischen Romans Das Gotteslehen (1899) verarbeitet.

Berthold Aublinger ist als Chorherr von 1407 bis 1421 nachgewiesen9). Er veranlaßte die Stiftung eines Jahrtags nach St. Andreas10).

Textkritischer Apparat

  1. Irrige Datierung CCC bei Hoffmann korrigiert nach BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 162, ebd.: VIGESIMO; Meichelbeck: MCDXX; BSB Clm 1289, BSB Clm 1293: 1420.
  2. Meichelbeck, BSB Clm 1289, BSB Clm 1293: Bertolinus.
  3. Meichelbeck, BSB Clm 1289, BSB Clm 1293: peregit.
  4. BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 162: HUJUS.
  5. Rundes T ohne Deckbalken, ähnlich einem unzialen D.
  6. Worttrennzeichen in Form kleiner Quadrangeln, obere und untere Spitzen in Zierpunkten endend.
  7. Gekürzt: XPI. BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 162: CHRISTE.
  8. Die Jahreszahlen auf die Ecken einer oder beider Kranzleisten verteilt, genaue Stelle der Anbringung unbekannt.

Anmerkungen

  1. BayHStA Br. Pr. Freising Nr. 121, 1752, p. 403, 31. Oktober 1752; Heilmaier, Chorgestühl 3 bzw. 11 (Sonderdr.); Feuchtner/Koschade, Kirchen und Grabdenkmäler 140.
  2. BayHStA Generalkommissariat Freising u. Mühldorf Nr. 175 prod. 1 p. 56; Schlecht, Inventar 28 Nr. 507.
  3. Heilmaier, Chorgestühl 3 bzw. 10f. (Sonderdr.); Ramisch, Chorgestühl 36f. Heilmaier bezieht sich auf Aufzeichnungen des Pfarrers Joseph Grob aus dem Jahre 1854, wonach ein Teil des Gestühls im Auftrag der Kirchengemeinde Zolling durch den Lehrer Joseph Roßmaier angekauft wurde. Die Inschrift der südseitigen Kranzleiste (I) wurde beim Einbau seitlich verkürzt, jedoch läßt sich anhand der von Heilmaier mitgeteilten Transkription nicht feststellen, welche Teile davon genau betroffen waren: ESIMO ... CCC VICESIMO DOMIN(US) / BERCHT ..... INGER. Zolling, Lkr. Freising.
  4. Sighart, Künste 397, zitiert die Inschrift I mit irriger Jahreszahl und verändertem Text: Anno d. 1320 dom. Bertholdus Aublinger canonicus hujus ecclesiae perfecit has sedes in honorem st. Andreae, ebenso Inschrift II: Cantent in choro sicut asello in foro. Hic locus est horum qui cantant non aliorum. Hos Christe famulos hoc psallentes conserva tuos. Die markanten Abweichungen gegenüber dem in BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 162 überlieferten Text könnten Anlaß zur Vermutung geben, daß die Leisten bereits um 1850 nur mehr fragmentarisch erhalten oder schon verloren waren. So weist auch die Textedition bei Hoffmann, Kunstaltertümer 256 bzw. 48 (Sonderdr.), auf vermeintliche Lücken hin. Dabei zeigt sich jedoch im Vergleich mit der Transkription in BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 162, daß zu Zeiten Hoffmanns die Kranzleiste noch weitgehend vollständig erhalten gewesen sein muß – vgl. die angegebenen Abmessungen – und folglich die vorhergehende Edition Sigharts wohl auf eklatanten Übertragungsfehlern beruht.
  5. Eine kolorierte Wappennachzeichnung in BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 162 p. 486. Offenbar war der Wappenträger der Stifter einer Renovierungsmaßnahme, die im 17. oder zu Anfang des 18. Jahrhunderts stattfand.
  6. In Schmidts Chronik von St. Andreas wird angegeben, es handle sich um das Wappen des Stifters Berthold Aublinger. Die Nachzeichnung zeigt jedoch in einer (früh)barocken Kartusche ein stark vermehrtes Wappen, wie es in dieser Form für das 15. Jahrhundert nicht denkbar ist: Geteilt, oben in Gold drei silberne Lilien nebeneinander, über jeder eine vom Schildhaupt herabstürzende rote Spitze, unten von Gold und Silber gespalten, darüber aus einem grünen Dreiberg wachsend ein Hirschgeweih in verwechselten Farben. Helmzier: aus einer Krone ein von Gold und Silber gespaltenes Hirschgeweih, dazwischen Figur einer silbernen Königin mit goldenem Haar, in jeder Hand eine Geweihstange haltend, s. BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 162 p. 486.
  7. Dijkman Petter, Antiquitates Ecclesiasticae, Stockholm 1703, zit. nach: Hildebrand Hans, Bidrag till Svenska medeltidens konsthistoria. In: Antiqvarisk tidskrift för Sverige 2 (1869) 339-416, hier: 385. Die Inschrift lautet hier: Rudtice buck, / quis te tulit huc? / Est locus illorum, / qui cantant, et non aliorum.
  8. Nordén Arthur, Östergötlands runinskrifter. Projektet Samnordisk runtextdatabas, 2004. Antikvarisk-topografiska arkivet, Riksantikvarieämbetet, Stockholm, Nr. ÖG N265A . Die Inschrift – eine Ritzinschrift mit Runen – lautet hier: * hik ÷ lo=kus ÷ illo=rum ÷ kui ÷ ka=nta=nt ÷ non * aliorum : Björkebergs SN, Gullbergs HD, Östergötland, Schweden.
  9. AEM FS 118 p. 26: 1413–1421; Prechtl, St. Andreas 113.
  10. BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 163a fol. 7r, 8r, 29v; BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 161 fol. 352r, 353r, 354v; AEM H 484 p. 388 Nr. 32.

Nachweise

  1. Meichelbeck, Historia Frisingensis II,1 194; BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 161 fol. 124v; BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 162 p. 486; BSB Clm 1289 p. 319; BSB Clm 1293 p. 267; AEM H 408 p. 462; AEM B 8 I p. 583, II p. 393; AEM H 270; Sighart, Künste 397; HVF U XI 10 St. Andreas p. 39; Prechtl, St. Andreas 22; Riggenbach, Chorgestühle 217, 222; Otte, Kunst-Archäologie 2004, 2875; Riezler, Geschichte Baierns II 582; Kraus, Christliche Kunst II 483; Hoffmann, Kunstaltertümer 256 bzw. 48 (Sonderdr.) Nr. 182; Reiners, Chorgestühle 80; Neugass, Chorgestühl 37; Heilmaier, Chorgestühl 3 bzw. 10f. (Sonderdr.); AK Freising 1989, 291 Nr. III.26; Feuchtner/Koschade, Kirchen und Grabdenkmäler 141 Anm. 56.

Zitierhinweis:
DI 69, Stadt Freising, Nr. 68(†) (Ingo Seufert), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di069m012k0006800.