Inschriftenkatalog: Stadt Freising

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 69: Stadt Freising (2010)

Nr. 10† Dom Mariä Geburt und St. Korbinian 1161

Beschreibung

Tafel mit Translationsinschrift der Gebeine des hl. Nonnosus. Blei. 1708 wiederentdeckt, seit 1709 in der Schatzkammer des Domes verwahrt, 1803 an das kurfürstliche Münzamt in München abgeliefert und vermutlich eingeschmolzen. Genaues Aussehen und Einteilung der Inschrift nicht bekannt, die Abschrift von 1708 jedoch weitgehend am Buchstabencharakter des Originals orientiert.

Text nach BayHStA Freising Urkunde 1708 Januar 27.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. ANNO . INCARN(ATIONIS) : D(OMI)NI . M°C°LXIa) . ANNO . ALBERTI . FRISING(ENSIS) : EP(ISCOP)I . III° PRESENTE . EBERARDO . SAL(IS)BVRG(ENSI) : ARCH(I)EP(ISCOP)O . T(RANS)LATV(M) . (ES)T . CORP(VS) : S(AN)CT(I) : NONNOSI . C(ON)FES(SOR)Eb) : POST . INCENDIV(M) . IN . HANC . CRIPTA(M)c).

Übersetzung:

Im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1161, im dritten Jahre des Freisinger Bischofs Albert wurde in Anwesenheit des Salzburger Erzbischofs Eberhard der Leib des heiligen Bekenners Nonnosus nach dem Brand in diese Krypta überführt.

Kommentar

Die Bleitafel dokumentierte die sog. erste Wiederentdeckung der Reliquien des hl. Nonnosus nach dem Brand von 1159. Im Zuge von Fundamentierungsarbeiten für den romanischen Domneubau waren u. a. Reliquien aufgefunden worden, die man mit den unter Bischof Nitger (1039–1052) für Freising erworbenen Gebeinen eines hl. Nonnosus in Verbindung brachte1). Deren Wiederbestattung in der neuen Krypta durch Bischof Albert I. (1158–1184), die in Anwesenheit des Salzburger Erzbischofs Eberhard I. (1147–1164) geschah, zog eine rege Verehrung des Heiligen nach sich. Schon bald wurde jener Nonnosus mit dem von Papst Gregor d. Großen in seinen Dialogen2) gewürdigten wundertätigen Heiligen identifiziert, der als Prior des auf dem Berg Sorakte unweit von Rom gelegenen Klosters St. Silvester wirkte3).

Neben einigen wenigen Reliquien, die im Domschatz aufbewahrt wurden, wurde in Freising zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit dem Namen des hl. Nonnosus nur noch den Brauch verbunden, unter dem Steinbogen durchzuschlüpfen, der dem in der Krypta freistehenden Margarethenaltar angefügt war. Erst der auf Veranlassung von Bischof Eckher vorgenommene Abbruch des Margarethenaltars führte am 27. Januar 1708 zur Wiederentdeckung des Reliquien-Sarkophags oberhalb der Bogenkonstruktion. Ihm waren neben den Gebeinen des Heiligen die bleierne Inschriftentafel, je ein Siegel der bei der Translation 1161 beteiligten Bischöfe sowie eine Goldmünze beigegeben. Dazu ist das von Notar Joseph Anton Bockmair verfaßte Notariatsinstrument erhalten, das vom Tage des Reliquienfundes datiert4). Über die Dokumentation der genauen Fundumstände hinaus enthält es auch eine Abschrift des Translationstextes der Bleitafel, wobei der Schreiber offensichtlich darauf bedacht war, den Buchstabencharakter des 12. Jahrhunderts wiederzugeben, so etwa auch die Majuskel-Form des unzialen M der Datierung. Im Vergleich zu den späteren Abschriften von Heckenstaller, die einige mit dem 12. Jahrhundert nur schwer zu vereinbarende Kürzungsformen bzw. Auflösungen enthalten, kann dem kopialen Inschriftentext der notariellen Urkunde eine weitgehende Nähe zum Original zugebilligt werden, ungeachtet der fehlenden Zeileneinteilung. Im Vergleich mit den späteren Transkriptionen fällt die nur hier anzutreffende, grammatikalisch falsche Endung bei C(ON)FES(SOR)E auf, die jedoch, da das Schluß-E bewußt in unzialer Form wiedergegeben ist, wohl genauso beim Original vorhanden war; spätere Transkriptionen korrigieren meist zu C(ON)FES(S)O(RIS).

Nach der notariellen Beglaubigung des Reliquienfundes wurde dieser zunächst in die Hofkapelle verbracht5). Im Rahmen einer prunkvollen Festoktav erfolgte am 2. September 1709 die Überführung der Gebeine in den Dom6). Während der Schädel des hl. Nonnosus als Büstenreliquiar auf dem neu errichteten Nonnosusaltar (in der Krypta, Südwand des siebten Jochs von Westen) zur Verehrung ausgesetzt wurde, bewahrte man die übrigen Reliquien zusammen mit den anderen Fundstücken in der Schatzkammer des Doms auf7). In einer Inventarliste wird die Bleitafel als mit Silber gefaster Grabstein von dem heil. Nonnos bezeichnet8); die Fassung war vermutlich anläßlich der Feierlichkeiten von 1709 vorgenommen worden. Der Sarkophag kam rechts neben dem Altar an der Wand (in der Krypta, Südwand des sechsten Jochs von Westen) zur Aufstellung. Zugleich wurde in dessen Stirnseite eine quadratische Inschriftentafel eingefügt: TUMBA . / VBI . POTIOR . PARS . / CORPORIS . S. NON:/NOSI . ANNIS . DXLVII . DE:/LITUIT . MODO . INSIG:/NIS . RELIQUIA . IMPO:/SITA . A(NN)o . M.D.CC.IX9).

Eine weitere Inschriftentafel, die sich heute an der Südwand des dritten Jochs von Westen befindet, schildert ausführlich die Geschichte der Freisinger Nonnosus-Reliquien: POSTERITATI . INNOTESCAT, CORPUS . S: NON=/NOSI . A . NITGERO . FRISING(ENSI) . EP(ISCOP)O . EX . ITALIA . CIRCA = AN=/NUM . ML . FRISINGAM . DELATU (Sic!), ET . PUBLICE . CULTUM / USQ(UE) . AD . INGENS . INCENDIU(M), QUOD . A(NN)o . X(RIS)TI . M.C.LIX / ACCIDIT, A(NN)o . POST . III . PRAETER . ALIQUOT . OSSA . IN . SACRI=/STIA . ASSERVATA, A . B(ONAE) . MEMORIAE . ALBERTO . FRISING(ENSI) PRAE=/SULE IN . PRAESENTIA . B(EATI) . EBERHARDI . ARCHI=EP(ISCOP)I . SALISBURG(ENSI) / IN . HANC . CRYPTAM . LOCO . MOX . MEMORANDO . REPO=/SITVM . FUISSE . ALTARI, CUIUS . QUATUOR . ANGULOS . / TOT (Sic!) . PARVAE HUIC . MARMORI . INCISAE . CRUCES . DESIG=/NANT, VERSUS . ORIENTEM : ERECTO (Sic!) . IN . EADEM . LA=/PIDEA . VRNA . QUAE . NUNC . EX . LATERE . ALTARIS . S. NON=/NOSO . SACRI . CERNITUR, SACRUM . CORPUS . ITA . IMPO=/SUIT, UT . MEDIETA . URNAE . EXTRA . ALTARE . BASI . EX . / COCTO . LAPIDE . STRUCTAE . INSISTENS . SUBREPENTIB(US) . / DEVOTIS . LOCUM . DARET . BASIS . LOCUM . CRUX : MAIOR / HIC . INSCULPTA . OSTENDIT . DEUOTIO . ET . PLURIMA . / BENEFICIA . DURABANT; SOLA . SANCTI . MEMORIA . QUA=/SI . PENITUS . INTERIIT . TANDEM . ANNO . M.D.CC.VIII. / XXVII. IANUARII . A . REV(ERENDISSI)mo . ET . CEL(SISSI)mo . IOANNE . FRAN=/CISCO . EPISCOPO AC . S(ACRI) R(OMANI) I(MPERII) PRINCIPE . FRISINGEN=/SI . SACRUM . CORPUS . POST . D.XL.VII . ANNOS . INVEN=/TUM , ANNO . M.D.CC.IX . II . SEPT(EMB)ris . MAXIMA . SOLENNI=/TATE . PUBLICAE . VENERATIONI . DENUO . EXPOSITU(M) . EST10).

Im Jahre 1800 wurden wegen der drohenden Kriegsgefahr dem Kanzleidirektor und Archivar Joseph von Heckenstaller zahlreiche Reliquien zur Verwahrung übergeben, darunter auch die Nonnosus-Reliquien11). Zuletzt befand sich die gefaßte Bleitafel offenbar im Sockel der auf dem Nonnosus-Sarkophag aufgestellten Silberbüste des Heiligen12). Den Untergang von Nonnosus-Tafel und Büstenreliquiar dokumentiert das Ende Dezember 1802 erstellte Protocoll, Welches bey Beschreibung, dann Abwäg- und Abschätzung des samentlich in der Schatzkammer, dann Oberen- und Unteren Domkirchen-Kustorey befindlichen Silbers, Pretiosen, und Ornaten abgehalten worden. Die Beschreibungen lauten hier: 1. Grabstein Sti Nonosi mit Silber gefasst p(e)r – M(ark) 14 L(oth) – q(uin)t (14 Loth = 245 gr) und 1. silbernes Bruststük St: Nonoß mit dem silbernen Laubwerk am Postament p(e)r 26. M(ark) – 8. L(oth) – q(uin)t13). Die nachträglich angebrachten Vermerke zu nehmen bedeuteten die Zustimmung zur Abgabe an die kurfürstliche Münze in München, wo lediglich der Edelmetallanteil der eingelieferten Objekte von Interesse war. Der Verlust wird auch durch einen nach 1803 geschriebenen Vermerk Heckenstallers bestätigt, wonach dem Aufhebungskommissär die Tafel und die Goldmünze aus dem Reliquienfund ausgehändigt worden seien14). So muß davon ausgegangen werden, daß die Bleitafel ebenso wie die Gold- und Silberfassungen der zum Domschatz gehörigen Reliquien eingeschmolzen wurde15).

Textkritischer Apparat

  1. M der Jahreszahl in der Abschrift als unziales M ausgeführt.
  2. Schluß-E in der Abschrift als unziales E ausgeführt. AEM H 77: CONFESS(ORIS); Heckenstaller, Dissertatio: C(ON)FES(SOR)I.
  3. Stellung der Punkte als Worttrennzeichen in der Abschrift nicht eindeutig auf der Zeile oder in der Zeilenmitte.

Anmerkungen

  1. Das Reliquienverzeichnis des Conradus Sacrista berichtet zwar von den Leibern der römischen Heiligen Alexander und Justin, die nach dem Brand 1159 wiederaufgefunden wurden, Nonnosus wird hier jedoch noch nicht explizit genannt, wenngleich an anderer Stelle von einer Verehrung seiner Reliquien die Rede ist, s. Staber, Conradus Sacrista 18f. Die „Identifizierung“ eines nach 1159 gefundenen dritten Leibes mit dem des hl. Nonnosus geschieht erst bei Veit Arnpeck und – ihm folgend – bei Freyberger und Meichelbeck; vgl. Leidinger, Veit Arnpeck 62; Freyberger, Cronica fol. iiiv; Meichelbeck, Historia Frisingensis I,1 357; Meichelbeck, Chronica 158.
  2. Gregorii Magni dialogi I,7 (Ausgabe Moricca).
  3. Nach Ausweis einer in der Pfarrkirche St. Tiburtius zu Molzbichl (Stadt Spittal an der Drau, Pol. Bez. Spittal an der Drau, Kärnten, Österreich) im Jahre 1987 entdeckten frühchristlichen Grabverschlußplatte dürfte es sich jedoch um den im 5. Jahrhundert in Teurnia (heute St. Peter im Holz, Gem. Lendorf, Pol. Bez. Spittal an der Drau, Kärnten, Österreich) wirkenden Diakon Nonnosus handeln, dessen Gebeine im Jahre 533 nach Molzbichl übertragen wurden. St. Peter in Holz, das ab dem 9. Jahrhundert Besitz der Freisinger Bischöfe war, mußte 1072 an die Erzbischöfe von Salzburg abgetreten werden, so daß eine vorherige Übertragung der Reliquien nach Freising denkbar erscheint. Zudem ist in einem um 1050/60 verfaßten Nachtrag zum Festkalender von St. Emmeram in Regensburg unter dem 2. September – dieses Datum nennt auch die Grabverschlußplatte in Molzbichl – das Fest des „Diakons und Bekenners“ Nonnosus verzeichnet. Zum Themenkreis des hl. Nonnosus, insbesondere zur Geschichte der Nonnosus-Reliquien s. ausführlich Hl. Nonnosus von Molzbichl.
  4. BayHStA Urkunde Freising 1708 Januar 27.
  5. Meichelbeck, Chronica 320; Meichelbeck, Historia Frisingensis II,1 441.
  6. Meichelbeck, Chronica 322f.; Meichelbeck, Historia Frisingensis II,1 445f.
  7. AEM H 76 p. 73.
  8. AEM H 76 p. 65.
  9. Vgl. AEM H 77 p. 2; Gandershofer, Denkwürdigkeiten 8; Schlecht, Inschriften II 56 Nr. 134; Alckens, Freising 54.
  10. Vgl. Schlecht, Inschriften II 57 Nr. 136.
  11. AEM H 76 p. 63-65.
  12. AEM H 54 p. 228.
  13. BayHStA Generalkommissariat Freising u. Mühldorf Nr. 70 prod. 41 fol. 6r, 7r. 14 Mark 8 Loth entsprechen 3389 gr.
  14. Heckenstaller in AEM H 77 p. 2: Praeter hanc laminam appositum erat numisma aureum pervetustum, quod A(nn)o 1803 tempore Saecularisationis in manus com(m)issarii electoralis venit. Die Goldmünze wird im o.g. Protocoll jedoch nicht aufgeführt. Dagegen gibt AEM H 54 p. 28 an: NB die reiche Faßung und die Denkmünze nahm zur Zeit der Säkularisation der abgeordnete Commissar zu sich, und erweckt damit den Eindruck, die Bleitafel sei nicht abgegeben worden, führt aber in Bezug auf die Nonnosusstatue, worin sich die Bleitafel befunden haben soll, aus: Diese Statue wanderte anno 1803 mit den übrigen in die Münze nach München zur Zeit der Saecularisation.
  15. Bei Andachtsübung, Freising 1830 (gedrucktes Faltblättchen, in AEM H 76 auf p. 216 aufgeklebt) heißt es im Vorbericht: Bey der Aufhebung des fürst-bischöflichen Sitzes von Freysing, im Jahre 1803, wurden mehrere heilige Reliquien, welche bis dahin theils der öffentlichen Verehrung ausgesetzt, theils im Kirchenschatze aufbewahrt waren, ihres reichen Schmuckes entkleidet.

Nachweise

  1. BayHStA Urkunde Freising 1708 Januar 27; Eberschwang, Sanctus Nonnosus Redivivus 29; Acta SS Sept. I (1746) 415; AEM H 77 p. 2; AEM H 81 p. 10; Heckenstaller, Dissertatio 3; Gandershofer, Denkwürdigkeiten 7f.; AEM H 54 p. 228; Kdm Obb II 360; Schlecht, Inschriften II 56 Nr. 135; Ehrentraut, Bleierne Inschrifttafeln 105.

Zitierhinweis:
DI 69, Stadt Freising, Nr. 10† (Ingo Seufert), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di069m012k0001001.